Falkensee - Kapitel 3



Der Morgen ist hell, aber die Sonne fühlt sich kalt an.
Elysia steht in der Küche, rührt mechanisch in ihrer Kaffeetasse. Der Duft nach gerösteten Bohnen füllt den Raum. Das Haus ist still. Zu still. Valerian ist schon früh zu einem Termin gefahren. Kein Wort zum Abschied, kein Blick. Nur das leise Klicken der Tür.

 

Elysia atmet flach, setzt sich an den Küchentisch und sieht hinaus in den Garten. Die Rosen sind nass vom Tau, und der Himmel über Falkensee scheint viel zu weit weg.

 

Das Telefon liegt vor ihr. Sie starrt auf den Bildschirm.
Dann seufzt sie leise und tippt auf Hannahs Nummer. Es klingelt nur kurz.


„Na, Gräfin?“ erklingt Hannahs vertraute Stimme. „Du klingst, als wärst du schon wieder im Elfenbeinturm gefangen.“


Elysia lächelt schwach. „Eher im goldenen Käfig.“


„Oh-oh. Was ist passiert?“

 

Elysia zögert einen Moment, dann bricht es aus ihr heraus.


„Er war wütend. Richtig wütend. Nur, weil ich gestern mit dir im Café war. Ich hab mir anhören müssen, dass ich mich unangebracht verhalte, dass ich mich benehmen soll, dass ich…“


Sie verstummt, ringt nach Worten. „Er hat mir vorgeworfen, ich sei nicht mehr die Frau, die er geheiratet hat.“

 

Hannahs Stimme wird sanft, aber fest. „Und was, wenn das stimmt? Vielleicht bist du heute die Frau, die er aus dir gemacht hat.


Elysia schweigt. Der Satz trifft sie tiefer, als sie zugeben will.

 

„Ich fühl mich gefangen, Hannah,“ sagt sie leise. „Wie ein Vogel in einem goldenen Käfig. Alles glänzt, alles ist schön – aber ich kann nicht raus. Ich hab das Gefühl, ich verlerne zu leben.“


„Dann musst du anfangen, die Tür zu suchen,“ murmelt Hannah.


„Und wenn es keine gibt?“


„Dann baust du dir eine.“

 

Elysia lacht leise, traurig. „Du klingst, als wärst du aus einem Film.“


„Nein,“ sagt Hannah. „Ich klinge wie jemand, der dich liebt und dich endlich wieder lachen sehen will.“

 

Elysia sieht hinaus. Der Nebel über dem Garten hebt sich langsam, die Sonne bricht durch.


„Ich weiß nicht, ob ich das kann,“ flüstert sie.


„Natürlich kannst du. Du musst nur irgendwann beschließen, dass du’s willst.“

 

Einen Moment lang schweigen beide. Nur das leise Summen der Kaffeemaschine füllt den Raum.


Dann sagt Hannah mit einem Lächeln in der Stimme:


„Komm doch heute Nachmittag zu mir. Oder ins Dock 11. Ein Kaffee, ein bisschen Luft. Kein goldener Käfig, versprochen.“

 

Elysia denkt kurz nach, dann nickt sie, obwohl Hannah es nicht sehen kann.


„Ich überleg’s mir.“


„Nein, du kommst. Ich hab’s im Gefühl – heute wird ein guter Tag.“

 

Als das Gespräch endet, hält Elysia das Handy noch einen Moment in der Hand.
Sie sieht hinaus in den hellen Morgen, und obwohl in ihr noch alles schwer ist, spürt sie ein leises Ziehen.


Etwas, das sich nach Freiheit anfühlt – ganz klein, ganz zart.

 

Sie stellt die Kaffeetasse in die Spüle, streicht ihr Haar aus dem Gesicht und flüstert:


„Vielleicht wird er das ja wirklich – ein guter Tag.“

 

Doch als sie das Handy weglegt, holt sie die Erinnerung an den Streit ein. Sie fühlt sich als nimmt ihr jemand den Atem. Valerians Blick war so kalt und sie verkrampft sich innerlich und sie kann kaum noch atmen. 

 

Es regnet wieder. Feine Tropfen, dicht und gleichmäßig, als hätte der Himmel sich mit ihr verschworen.

 

Elysia steht mitten im Wohnzimmer, die Hände zu Fäuste geballt, die Worte von Valerian in den Ohren.


Dann geschieht etwas, das sie selbst überrascht:
Sie greift nach ihrer Tasche – und geht. Ohne Jacke, ohne Schirm, ohne Ziel. Nur hinaus.

 

Die Haustür fällt hinter ihr ins Schloss, und kalte Luft schlägt ihr entgegen.
Der Regen trifft ihr Gesicht, durchnässt sofort ihr Haar, doch sie bleibt nicht stehen. Ihre Schritte sind hastig, fast fluchtartig, als wolle sie der Enge entkommen, bevor sie es sich wieder anders überlegt.

 

Die Straße ist leer. Die Bäume tropfen, das Pflaster glänzt nass und grau.
Sie läuft vorbei an den gepflegten Vorgärten, an dem Bäcker an der Ecke, an Autos, die langsam durch die Pfützen fahren. Jeder Schritt klingt wie ein Herzschlag – dumpf, gleichmäßig, entschlossen. Elysia weiß nicht, wohin sie geht. Nur, dass sie nicht stehen bleiben darf.

 

Der Regen wird stärker, ihr Pullover klebt an der Haut, die Jeans ist durchnässt, und der Wind zerrt an ihrem Haar. Sie atmet schwer, fast keuchend, als sie am See entlangkommt – einem Weg, den sie früher oft mit Hannah gegangen ist.

 

Der Nebel liegt tief über dem Wasser. Und irgendwo dort, halb verdeckt von Bäumen, steht das moderne Haus, das sie immer für unbewohnt gehalten hat.

Glasfronten, Flachdach, klare Linien – es wirkt wie ein stiller Fremdkörper zwischen all den alten Villen. Sie bleibt stehen, ohne zu wissen warum.
Vielleicht, weil sie außer Atem ist. Vielleicht, weil etwas an diesem Haus sie anzieht.

 

Einen Moment lang steht sie einfach da, den Blick auf die Fenster gerichtet.
Das Wasser tropft aus ihren Haaren, läuft ihr über das Gesicht. Sie friert, aber es fühlt sich anders an als sonst – ehrlich, echt, lebendig. Durch den Regen erkennt sie Bewegung hinter der Scheibe.
Ein Schatten.Nur für einen Augenblick.

 

Elysia blinzelt, unsicher, ob sie es sich einbildet.
Dann dreht sie sich langsam um, atmet tief durch und geht weiter, die Arme eng um sich geschlungen. Der Regen begleitet sie, leise, wie ein Rhythmus ihres eigenen Herzschlags.


Und hinter ihr, hinter der großen Glasfront des Hauses, steht Kian am Fenster, die Kaffeetasse in der Hand, und runzelt die Stirn. Er sieht die Silhouette einer Frau, allein im Regen, die sich hastig entfernt. Etwas in ihm zuckt – ein leises, instinktives Gefühl. Er weiß nicht, warum. Aber er merkt sich den Anblick.

 

Kian bleibt noch eine Weile am Fenster stehen. Draußen tropft der Regen leiser, das Wasser läuft in schmalen Bahnen über das Glas. Er weiß nicht, wer sie ist. Aber irgendetwas an diesem kurzen Augenblick bleibt in ihm hängen - wie eine Melodie, die man nicht kennt, aber nicht mehr loswird.

 

Schließlich atmet er tief durch, greift nach seiner Jacke und verlässt das Haus.
Der Tag wartet. Doch in seinem Kopf hallt ein Bild nach:


Eine Frau im Regen.


Ein stiller Moment, der sich anfühlt, als hätte das Leben kurz den Atem angehalten.

 

Kian sitzt im Wagen, die Scheibenwischer schlagen gleichmäßig, der Regen prasselt gedämpft auf das Dach. Der Duft von nassem Asphalt dringt durch die Lüftung, während er langsam durch die kleine Straße am See fährt. Er denkt noch immer an die Frau, die eben vor seinem Haus gestanden hat – ohne zu wissen, warum.

 

Die Stadt wirkt leer. Nur graue Gärten, Nebel und das Rauschen des Regens.
Dann, ein Stück weiter, erkennt er sie wieder. Sie geht am Straßenrand entlang, die Arme eng um sich geschlungen, die Kleidung dunkel vom Regen durchtränkt. Ihr Haar klebt an den Wangen, und sie scheint kaum zu merken, wo sie hintritt. Sie zittert.

 

Kian bremst instinktiv ab, fährt rechts ran. Der Scheibenwischer wischt das Bild frei, und sein Herz schlägt etwas schneller. Er öffnet das Fenster.

 

„Entschuldigung?“


Die Frau bleibt stehen, überrascht, blinzelt gegen den Regen.


„Alles in Ordnung?“ fragt er, laut genug, um gegen das Prasseln anzukommen.

 

Sie nickt automatisch, doch ihre Lippen sind blass, und ihre Stimme klingt rau.

 

„Ja… ja, alles gut.“


Aber das ist es nicht.

 

Kian steigt aus, zieht sich die Kapuze über. Der Regen schlägt ihm ins Gesicht, kalt und stechend.


„Sie sehen aus, als wär’s das nicht,“ sagt er ruhig, ohne sich aufzudrängen.

 

Elysia steht da, atemlos, unsicher. Ihre Hände zittern, ihre Jeans klebt an den Beinen. Sie weiß nicht, was sie sagen soll.

 

„Ich bin nur spazieren gegangen,“ murmelt sie schließlich.


Kian lächelt sanft. „Ohne Jacke? Mutig. Oder spontan?“


Ein schwaches Lächeln huscht über ihre Lippen. „Vielleicht beides.“

 

Er nickt, zögert einen Moment, dann öffnet er die Beifahrertür.


„Steigen Sie ein. Sie frieren sich sonst noch was weg. Ich kann Sie irgendwohin bringen – oder zumindest aufwärmen.“

 

Sie sieht ihn an – diese fremden, warmen Augen, die nichts fordern, nur anbieten. Ein Moment Stille. Dann nickt sie langsam.

 

Kian hält ihr die Tür auf, sie steigt vorsichtig ein. 


Er reicht ihr ein Handtuch vom Rücksitz. „Hier. Ist frisch aus der Notfallkiste – eigentlich für verschütteten Kaffee gedacht.“


Elysia nimmt es mit einem leisen Lächeln. „Danke.“

 

Kian setzt sich wieder ans Steuer, startet den Wagen, und für einen Augenblick herrscht nur das gleichmäßige Trommeln des Regens auf dem Dach. Er wirft einen kurzen Blick zu ihr. Sie sitzt still, eingehüllt in das Handtuch, die Tropfen glitzern noch in ihrem Haar. Er sagt nichts weiter.


Und trotzdem hängt etwas zwischen ihnen in der Luft – still, unaufdringlich, aber deutlich spürbar. Zwei Menschen, die sich zufällig begegnet sind.

Oder vielleicht nicht ganz zufällig.

 

Kian fährt langsam los, der Motor brummt gleichmäßig. Der Regen prasselt weiter, sanft, rhythmisch, fast beruhigend. Ein paar Minuten herrscht Stille. Nur das leise Surren der Reifen auf dem nassen Asphalt. Er wirft einen kurzen Blick zu ihr, will nicht starren, aber sie wirkt so verloren, dass es ihm schwerfällt, nichts zu sagen.


„Sie wohnen hier in der Gegend?“ fragt er schließlich, ruhig, vorsichtig.

 

Elysia nickt, ohne den Blick vom Fenster zu lösen. „Ja… am See. Ein Stück weiter südlich.“


„Ich auch,“ sagt er, und ein kleines Lächeln huscht über seine Lippen. „Dann sind wir wohl Nachbarn.“


Sie sieht ihn kurz an, überrascht. „Ach?“


„Das moderne Haus mit den großen Fenstern. Ich bin erst vor ein paar Tagen eingezogen.“

 

Sie nickt langsam.


„Ich dachte, das steht leer,“ murmelt sie.


„Das dachten viele, glaub ich. Aber jetzt wohne ich drin – und kämpfe noch mit Kartons und kaputten Regalen.“

 

Ein leises, fast ungläubiges Lächeln zeigt sich auf ihrem Gesicht. „Dann haben Sie meinen Respekt. Ich hasse Umzüge.“


„Ich auch. Aber anscheinend bin ich ein Fan davon, alles neu zu machen. Auch wenn’s anstrengend ist.“

 

Wieder ein kurzer Moment Schweigen.


Elysia sieht hinaus. Die Tropfen auf der Scheibe laufen ineinander, das Grau draußen wirkt weich und verschwommen.


„Neu anfangen,“ sagt sie leise, mehr zu sich selbst als zu ihm. „Das klingt schön.“

 

Kian sieht sie an. „Manchmal ist es das. Manchmal ist es nur nötig.“

 

Sie wendet den Blick zu ihm, und für den Bruchteil einer Sekunde treffen sich ihre Augen. Da ist etwas darin – Müdigkeit, ja, aber auch ein Glanz, der andeutet, dass da mehr ist als bloße Erschöpfung. Er fragt nicht weiter. Es wäre zu viel.


„Soll ich Sie nach Hause bringen?“ fragt er stattdessen sanft.


Elysia nickt. „Ja… bitte.“

 

Er fährt weiter, vorsichtig, das Scheibenwischergeräusch begleitet sie.
Als sie in die Straße einbiegen, in der sie wohnt, sagt sie leise:


„Danke. Ich weiß, das war ungewöhnlich. Einfach… anzuhalten.“


„Nicht wirklich,“ sagt Kian. „Manchmal merkt man einfach, dass jemand Hilfe braucht. Und dann sollte man nicht weiterfahren.“

 

Sie sieht ihn an.


„Das klingt… richtig,“ murmelt sie.

 

Er hält vor dem großen weißen Haus, das sie ihm zeigt. Der Regen hat nachgelassen, der Himmel wirkt heller.


Elysia öffnet die Tür, bleibt aber kurz stehen.


„Ich heiße Elysia,“ sagt sie zögernd.


„Kian,“ erwidert er mit einem leichten Lächeln. „Freut mich – Nachbarin.“

 

Sie nickt, lächelt flüchtig und steigt aus. Der Wind spielt mit einer nassen Strähne ihres Haares, und für einen Moment sieht sie über die Schulter zurück.

 

Kian hebt kurz die Hand, als wollte er winken, tut es aber nicht.
Er wartet, bis sie die Haustür erreicht hat, und fährt dann langsam weiter. Er merkt gar nicht, dass er lächelt. Etwas in ihm fühlt sich… heller an. Ohne Grund. Ohne Erklärung.

 

Und auf dem Weg zum Haus, denkt Elysia dasselbe.


Nur: Warum fühlt sich dieser Moment so wichtig an?

 

Das Büro von TechSphere Solutions summt leise vor Aktivität. Tastaturen klappern, Drucker surren, jemand lacht über einen schlechten Witz in der Entwicklergruppe.


Kian sitzt an seinem Platz, den Blick auf den Bildschirm gerichtet – doch die Zahlen und Zeilen vor ihm verschwimmen. Er hat es versucht. Er hat wirklich versucht, sich auf die Arbeit zu konzentrieren – auf Netzwerkprotokolle, Sicherheitsroutinen und Servertests. Aber in seinem Kopf läuft immer wieder dasselbe Bild ab:

 

Eine Frau im Regen. Durchnässt, blass – und trotzdem so aufrecht, als wollte sie sich selbst nicht klein geben.

 

Ben lehnt sich über den Schreibtischrand, kaut auf einem Stift. „Sag mal, du guckst heute, als würdest du heimlich eine Matrix decodieren. Alles okay?“


Kian blinzelt. „Hm? Ja, klar. Nur müde.“


„Müde sieht bei dir sonst nicht so nach Grübeln aus.“


Kian lächelt knapp. „Ich grüble beruflich.“


„Klar,“ grinst Ben. „Dann denk weiter, Sherlock.“

 

Er lässt ihn in Ruhe, und Kian lehnt sich zurück. Der Code auf dem Bildschirm spiegelt sich in seinen Augen, aber sein Kopf ist längst draußen – auf der Straße, wo der Regen auf den Asphalt fiel und sie dastand, zitternd, verloren.

Er fragt sich, warum. Warum läuft jemand so durch den Regen, ohne Jacke, ohne Schirm, ohne Ziel? War sie verzweifelt? Wütend? Oder einfach… frei für einen Moment, nachdem sie zu lange stillgehalten hat?

 

Er erinnert sich an ihren Blick, als sie im Wagen saß – müde, aber irgendwie stolz. An ihre leise Stimme, an die Art, wie sie „neu anfangen“ gesagt hatte, als wäre das ein Wort, das sie sich selbst nicht ganz glaubt.

 

Kian tippt eine Zeile Code, löscht sie wieder, tippt neu. Nichts passt.


Sie wohnt am See, denkt er. Direkt gegenüber.

 

Er zwingt sich, weiterzuarbeiten. Aber immer wieder wandert sein Blick zum Fenster, hinaus in den grauen Himmel. Der Regen hat aufgehört, aber die Luft draußen sieht noch schwer aus, so wie seine Gedanken. Ein Teil von ihm will sie vergessen – sie ist schließlich nur eine Fremde. Und doch … fühlt sich diese Begegnung nicht wie Zufall an. Eher wie ein Satz, der mitten in einer Geschichte begonnen hat, von der er den Anfang verpasst hat. Er atmet tief durch, schiebt die Hände über das Gesicht und murmelt:


„Du denkst zu viel, Sterling.“

 

Aber der Gedanke bleibt. An sie. Und an das Rätsel, das sie in seinen Kopf gesetzt hat – leise, aber unausweichlich.

 

Der Regen hat aufgehört, als Elysia nach Hause kommt.
Ihre Kleidung klebt an der Haut, die Schuhe quietschen bei jedem Schritt über den Marmorboden.


Frau Schubert eilt herbei, erschrocken:


„Gnädige Frau! Sie sind ja völlig durchnässt!“

 

Elysia hebt nur eine Hand. „Schon gut, Frau Schubert. Ich komme zurecht. Bitte machen Sie sich keine Umstände.“


„Aber...“


„Wirklich.“ Ihre Stimme ist ruhig, aber müde.

 

Sie geht die Treppe hinauf, langsam, jeder Schritt hinterlässt eine Spur aus Tropfen auf dem weißen Teppich. Oben öffnet sie die Badezimmertür.

Der Raum empfängt sie mit vertrauter Stille – helle Fliesen, Kerzen auf dem Rand der Badewanne, die noch unangezündet dastehen.


Sie dreht den Wasserhahn auf. Das Rauschen füllt den Raum, Dampf steigt auf.

Langsam zieht sie die nasse Kleidung aus, legt sie achtlos auf den Boden. Das Wasser in der Wanne wird heiß, beinahe zu heiß, aber sie steigt trotzdem hinein.


Ein leises Zittern läuft ihr über den Rücken, als die Wärme ihre Kälte vertreibt.

Elysia sinkt tiefer ins Wasser, schließt die Augen. Für einen Moment fühlt sie sich schwerelos, fast sicher. Doch dann kommen die Gedanken.


Wie immer.

 

Der Streit mit Valerian hallt in ihr nach. Seine Worte, kalt und schneidend, wiederholen sich in ihrem Kopf: Du brauchst mich.


Sie öffnet die Augen, starrt auf die Oberfläche des Wassers. Ihr Spiegelbild bricht in flimmernde Linien, verzerrt und doch ehrlich.

 

„Ich brauche dich nicht,“ flüstert sie leise.


Es klingt, als müsste sie sich erst daran gewöhnen, diesen Satz auszusprechen.

Und dann – wie aus dem Nichts – sieht sie wieder die braunen Augen vor sich.


Warm. Offen. Ruhig.


Kians Blick, der nichts forderte. Nur fragte. Nur sah. Er war ein Fremder, und doch hatte sie sich sicher gefühlt in seiner Nähe. Für ein paar Minuten. Zum ersten Mal seit langer Zeit. Sie taucht die Hand unter Wasser, zieht kleine Kreise, beobachtet, wie das Licht darin glitzert.


Ein Teil von ihr will das alles vergessen. Aber ein anderer Teil klammert sich an diesen Moment – an die Wärme in seinen Augen, die ehrliche Ruhe in seiner Stimme.

 

Warum war er da? Warum gerade jetzt?

 

Sie lehnt den Kopf gegen den Wannenrand, die Augen halb geschlossen. Das Wasser rauscht leise, eine einzelne Träne mischt sich unbemerkt unter die Tropfen auf ihrer Wange. Draußen, hinter dem Fenster, ist der Himmel klar geworden. Die Sonne fällt in schmalen Strahlen durch die Wolken – und das Wasser auf ihrer Haut schimmert wie flüssiges Licht.

 

Elysia schließt die Augen wieder. Für das erste Mal seit langem fühlt sie nicht nur Traurigkeit. Da ist etwas anderes, zart und gefährlich zugleich.

 

Hoffnung.


Oder Sehnsucht.


Vielleicht beides.