Falkensee - Kapitel 8



Der Nachmittag liegt still über Falkensee.
Die Sonne steht warm über dem See, das Wasser glitzert, als wäre nichts geschehen. Nur Kian spürt, dass der Tag sich anders anfühlt – zu ruhig, zu leer.

Er hat versucht, sich mit Arbeit abzulenken, ein paar E-Mails beantwortet, kurz telefoniert.


Aber die Gedanken schweifen immer wieder ab –
zu dem leeren Gästezimmer, zu dem Zettel auf dem Küchentisch,
zu der Stimme, die jetzt nicht mehr da ist. Schließlich hält er es nicht mehr aus. Er zieht die Jacke an, verlässt das Haus und folgt dem schmalen Weg hinunter zum Ufer. Der Wind ist mild, die Luft riecht nach Seegras und Sonne.
Überall glänzt das Licht auf den Wellen, friedlich, fast trügerisch. Er bleibt stehen, sieht hinüber – dorthin, wo jenseits des Wassers die Häuser liegen, darunter auch ihres.

 

„Vielleicht bist du da,“ murmelt er, „vielleicht… auch nicht.“

 

Er geht weiter am Ufer entlang. Seine Schritte sind langsam, gedankenverloren. Er weiß nicht genau, was er sucht – vielleicht ein Zeichen, dass sie noch in der Nähe ist, oder einfach nur Bewegung, um das Schweigen in sich zu übertönen.

 

Immer wieder sieht er hinüber zu den Bäumen auf der anderen Seite. Er erinnert sich an die Angst in ihren Augen, an die Anspannung in jeder Geste, an das leise Zittern ihrer Hände, als sie gestern Nacht endlich ruhiger wurde.

 

Warum bist du zurückgegangen?


Der Gedanke kommt leise, fast schmerzhaft. 

 

Nach allem, was du gesagt hast… warum wieder dorthin?

 

Er schüttelt den Kopf, als könne er die Frage damit vertreiben.


„Du schuldest mir keine Erklärung,“ sagt er leise in den Wind. Und doch wünscht er sich eine. Die Sonne spiegelt sich auf dem Wasser, blendet ihn.
Kian bleibt einen Moment stehen, schiebt die Hände in die Taschen, atmet tief durch. Vielleicht, denkt er, ist es besser so. Vielleicht braucht sie Abstand – von allem, auch von ihm. Aber der Gedanke tröstet ihn nicht.


Er sieht noch einmal über das Wasser, als könne sie dort plötzlich stehen.
Nur das Licht bewegt sich, weich und golden, als würde es sie forttragen.

 

Langsam dreht er sich um und geht zurück zum Haus. Jeder Schritt hallt nach – leise, schwer, unausgesprochen.

 

Der Nachmittag neigt sich dem Ende zu, als Kian den Kiesweg hinaufgeht. Die Sonne steht tief, das Licht färbt den See in warmes Gold. Trotz der Schönheit des Moments liegt etwas Schweres in der Luft – diese Art von Stille, die man nur bemerkt, wenn etwas fehlt.

 

Er tritt ins Haus, schließt die Tür hinter sich, lässt die Jacke achtlos über die Lehne fallen. Das Wohnzimmer ist still, die Luft leicht abgestanden, als hätte sie den ganzen Tag auf Bewegung gewartet. Auf dem Tisch liegt der Zettel.
Er nimmt ihn noch einmal in die Hand, liest die Worte, die er längst auswendig kennt.

 

Danke für alles.

 

Zwei Zeilen. Mehr nicht. Aber sie hängen in seinem Kopf wie ein Lied, das nicht aufhört.

 

Kian stellt sich ans Fenster, sieht hinaus auf den See. Der Wind kräuselt die Wasseroberfläche, das Licht spiegelt sich in kleinen goldenen Wellen. Irgendwo drinnen regt sich Unruhe. Er greift nach seinem Handy, starrt einen Moment auf den Bildschirm, bevor er Bens Nummer wählt. Nach zwei Mal Klingeln meldet sich sein Freund.


„Hey, Kian! Vermisst du nur meine Stimme?“

 

„Ben,“ sagt Kian leise, „kannst du Hannah fragen, ob sie was von Elysia gehört hat?“

 

Am anderen Ende wird es still.


„Ich frag mal.“

 

„Danke. Ihr Handy ist aus.“

 

„Okay, warte kurz.“


Man hört Schritte, gedämpfte Stimmen, ein leises Rascheln. Dann kehrt Ben zurück. Seine Stimme klingt ernster als sonst.

 

„Ich hab Hannah gefragt. Sie weiß auch nichts. Sie hat’s selbst ein paarmal probiert, aber Elysia geht nicht ran. Ihr Handy ist aus. Keine Nachricht, kein Anruf, nichts. Sie macht sich Sorgen.“

 

Kian nickt unbewusst, obwohl Ben ihn nicht sehen kann.

 

„Vielleicht wollte sie nur Abstand,“ meint Ben vorsichtig. „Nach allem, was da los war… vielleicht braucht sie einfach Ruhe.“

 

„Vielleicht,“ murmelt Kian.


Doch der Gedanke klingt hohl.

 

Am anderen Ende schweigt Ben kurz, dann:


„Ich sag Hannah, sie soll’s mir sofort sagen, wenn sich was tut, okay?“

 

„Danke, Ben.“

 

„Hey… mach dich nicht verrückt. Du hast getan, was du konntest.“

 

Kian nickt wieder. „Ja. Ich weiß.“

 

Dann legen sie auf.

 

Er bleibt stehen, das Handy noch in der Hand. Draußen färbt sich der Himmel rosa, der See glitzert im letzten Licht des Tages. Es ist schön – und gleichzeitig so leer, dass es weh tut. Langsam legt Kian das Telefon neben den Zettel, lehnt sich an den Türrahmen und sieht hinaus.

 

Er weiß, dass er sie wahrscheinlich nicht wiedersehen wird. Aber irgendetwas in ihm weigert sich, das zu glauben.


Das Zimmer riecht noch genauso wie damals – nach Vanille, altem Papier und Lavendel. Elysia sitzt auf dem großen runden Rattansessel, den sie als Teenager so geliebt hat. Ihr Blick wandert über den hellen Laminatboden, über den weißen Läufer in Fellform, der schon immer dort lag.

 

Durch das Fenster fällt das warme Licht der untergehenden Sonne, malt goldene Streifen über den Schreibtisch. Der kleine Spiegel auf der Kommode, die Fotos an der Wand, die alte Schmuckschatulle – alles ist noch da. Unverändert.


Nur sie selbst fühlt sich anders.

Sie atmet tief durch, nimmt das Haustelefon ihrer Eltern in die Hand und wählt eine vertraute Nummer. Es klingelt. Einmal, zweimal, dreimal...

 

„Hannah Thiel,“ meldet sich ihre Freundin, hörbar müde.

 

„Hannah… ich bin’s.“

 

Einen Moment lang Stille. Dann:


„Elysia?!“ Hannahs Stimme überschlägt sich fast. „Oh mein Gott, bist du verrückt?! Ich hab dich versucht zu erreichen! Wir alle! Kian war völlig durch, und Ben...“

 

„Hannah,“ unterbricht sie sanft. „Bitte. Atme erst mal.“

 

„Ich… ich kann’s nicht glauben,“ murmelt Hannah. „Wo bist du? Geht’s dir gut? Sag mir bitte, dass dir nichts passiert ist.“

 

„Mir geht’s gut,“ sagt Elysia ruhig. „Ich bin bei meinen Eltern.“

 

Ein erleichtertes Aufatmen am anderen Ende der Leitung.


„Bei deinen Eltern… okay. Das erklärt, warum dein Handy aus ist. Wir dachten schon, du wärst…“

 

Sie bricht ab.

 

„Ich musste einfach weg,“ sagt Elysia leise. „Weg von allem. Ich konnte das Haus nicht mehr sehen, nicht ihn, nichts davon. Ich hab mich gefühlt, als würde ich ersticken.“

 

„Ich versteh dich,“ sagt Hannah sanft. „Aber du hättest dich melden müssen. Wir haben uns Sorgen gemacht – Ben, ich, sogar Kian. Er hat mich heute anrufen lassen, weil er dachte, dir wäre was passiert.“

 

Elysia schließt kurz die Augen.


Kian. Nur der Gedanke an ihn reicht, um ihr Herz ein bisschen schneller schlagen zu lassen.

 

„Bitte sag Ben und Kian nicht, wo ich bin,“ flüstert sie. „Niemand darf’s wissen, Hannah. Ich brauche Ruhe. Nur für ein paar Tage.“

 

„Aber Kian meint es doch nur gut,“ erwidert Hannah vorsichtig. „Er hat dich beschützt, Ely.“

 

„Ich weiß,“ sagt sie leise. „Und ich bin ihm dankbar. Aber wenn er wüsste, wo ich bin, würde er sich nur wieder Sorgen machen. Ich will das nicht. Nicht jetzt.“

 

Hannah seufzt, aber ihre Stimme bleibt warm.


„Okay. Dein Geheimnis ist sicher. Aber versprich mir, dass du dich meldest, ja?“

 

„Ich verspreche es.“

 

Einen Moment lang schweigen beide. Nur das leise Rauschen der Leitung bleibt.

 

„Ich bin froh, dass es dir gut geht,“ sagt Hannah schließlich, mit einem weichen Lachen in der Stimme. „Ich hatte schon Angst, ich müsste mich ins Auto setzen und dich suchen.“

 

Elysia lächelt schwach.


„Das wäre typisch für dich.“

 

„Und wie,“ antwortet Hannah.

 

Sie reden noch eine weile und dann legen sie auf, schweigend bleibt Elysia noch eine Weile im Sessel sitzen.


Draußen färbt die Sonne den Himmel in zartes Orange, das Licht spiegelt sich im Glas des Fensters. Das Zimmer um sie herum fühlt sich an wie eine Zeitkapsel – ein Ort, an dem sie wieder zu sich selbst finden kann. Langsam legt sie das Telefon beiseite, zieht die Knie an und lehnt den Kopf an die Rückenlehne.

 

Zum ersten Mal seit Tagen ist da kein Druck mehr. Nur ein leises, vorsichtiges Gefühl von Frieden.

 

Das Licht im Zimmer ist weicher geworden.  Die Sonne steht tief, färbt die Wände in warmes Gold, bevor sie langsam verblasst.


Elysia bleibt  in ihrem alten Rattansessel sitzen, die Beine angewinkelt, den Kopf an die Lehne gelehnt. Im Hintergrund hört sie Eltern, die unten miteinander reden. Ihr Blick wandert durch das Zimmer. Alles ist wie früher.
Der Schreibtisch am Fenster, auf dem noch ein paar vergilbte Notizzettel liegen. Das Himmelbett mit der hellen Decke, das sie sich so lange gewünscht hatte. Der weiße Fellläufer auf dem Laminat, leicht ausgefranst an den Rändern, wie damals.

 

Und sie selbst – mit nichts als einer kleinen Einkaufstüte auf dem Boden neben sich. Darin die Jeans, das schwarze T-Shirt, das sie gestern trug. Darunter, ordentlich gefaltet, die Jeans und das das schwarte T-Shirt, das sie gestern gewählt hatte und bei Kian trug.


Ihre gesamte „neue“ Welt in einer Papiertüte. Sie seufzt leise, zieht die Decke von der Sessellehne über ihre Beine und starrt aus dem Fenster. Draußen färbt sich der Himmel langsam violett. Die Bäume im Garten wiegen sich im Wind, und irgendwo ruft eine Amsel ihr letztes Lied in den Abend.

 

Was jetzt?


Die Frage hängt in ihrem Kopf, seit sie angekommen ist. Sie hat keinen Plan. Keine Kleidung. Kein Ziel. Nur diesen instinktiven Wunsch, Abstand zu allem zu gewinnen. Zur Stadt. Zum Haus. Zu ihm.

 

Der Gedanke an Valerian lässt sie frösteln, obwohl der Abend mild ist.
Sie sieht sein Gesicht vor sich, ruhig und kalt, die Art, wie er sie ansah, wenn sie etwas tat, das ihm nicht passte.


„Nicht zurück,“ flüstert sie.


„Nie wieder.“

 

Sie zieht die Decke enger um sich, legt die Stirn an die Rückenlehne.Ihre Mutter ruft unten etwas aus der Küche, das dumpf durch die geschlossene Tür klingt. Es klingt nach Geborgenheit, nach Normalität – Dinge, die sie fast vergessen hatte.

 

Elysia schließt kurz die Augen. In ihrem Kopf taucht für einen Moment ein anderes Gesicht auf – dunkle Augen, ruhig, ehrlich, freundlich.


Kian.


Wie er gestern Abend gekocht hatte, wie er sie ansah, als wäre sie keine Fremde. Sie lächelt schwach, kaum sichtbar.
Dann atmet sie tief durch, sieht hinaus in die beginnende Dämmerung.

Sie weiß nur eins:


Nach Falkensee wird sie so schnell nicht zurückkehren. Nicht, solange er dort ist. Nicht, solange sie sich noch so schwach fühlt. Aber irgendwann – vielleicht – wird sie bereit sein. Für einen neuen Anfang. Für sich.


Der Himmel über Falkensee hat sich zugezogen, als Valerian zum zweiten Mal an diesem Tag sein Büro verlässt. Das Telefonat mit seinem Sicherheitschef hallt noch in seinen Ohren.


Keine Spur, Sir. Weder in der Stadt noch außerhalb.

 

Er fährt schneller, als er sollte.
Die Straßen verschwimmen, die Sonne ist längst hinter grauen Wolken verschwunden. Seine Hände liegen fest am Lenkrad, die Kiefer angespannt.


Elysia.


Wie konnte sie einfach verschwinden – ohne Nachricht, ohne ein Wort?

 

Er hat seine Leute überall hingeschickt, aber die Stadt scheint sie verschluckt zu haben. Und in ihm wächst dieser brennende Gedanke: Jemand muss helfen. Jemand weiß, wo sie ist. Er parkt unsauber vor dem kleinen Mehrfamilienhaus, in dem Hannah wohnt. Ein schlichtes Gebäude, mit Blumenkästen an den Fenstern und einem Postkasten, der nicht zu seiner Welt passt.

 

Er steigt aus, schlägt die Autotür zu, atmet einmal tief durch, bevor er klingelt. Nur kurz darauf öffnet Hannah – überrascht, aber sofort wachsam.

 

„Herr Auberon?“ Ihre Stimme klingt kühl, fast fragend.


„Wo ist sie?“ Seine Worte sind kein Gruß, sondern eine Forderung.

 

Hannah hebt das Kinn leicht. „Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.“


„Spielen Sie keine Spielchen mit mir, Frau Thiel. Sie sind ihre beste Freundin. Sie wissen, wo sie ist.“

 

„Ich weiß, dass sie endlich das tut, was gut für sie ist,“ sagt Hannah ruhig „Und das ist nicht, mit Ihnen unter einem Dach zu leben.“

 

Valerian tritt einen halben Schritt näher, seine Stimme senkt sich, schneidend:


„Sie haben keine Ahnung, was Sie da sagen. Elysia gehört nach Hause.“

 

„Elysia gehört dahin, wo sie frei atmen kann,“ kontert Hannah, die Hände verschränkt.

 

Hinter ihr taucht Ben in der Tür auf, in Jeans und T-Shirt, aber mit einem Blick, der keine Diskussion duldet.


„Ist hier ein Problem?“ fragt er mit ruhiger Stimme, aber etwas in seiner Haltung lässt Valerian kurz innehalten.

 

„Ein Missverständnis,“ sagt Ben dann selbst, bevor Valerian antworten kann

 

„Meine Freundin hat Ihnen bereits gesagt, dass Elysia hier nicht ist. Und ehrlich gesagt – selbst wenn sie es wäre, würden wir’s Ihnen kaum sagen.“

 

Valerian atmet hörbar aus, zwingt sich zu einem dünnen Lächeln, das nichts Warmes hat.


„Sie glauben also, Sie schützen sie?“


„Nein,“ sagt Ben schlicht. „Wir respektieren sie.“

 

Ein kurzer Moment Stille. Dann wendet sich Valerian wortlos ab, die Hände zu Fäusten geballt. Er geht die Stufen hinunter, steigt in seinen Wagen, schlägt die Tür zu. Das Motorengeräusch hallt zwischen den Häusern wider, bis es in der Ferne verschwindet.

 

Hannah bleibt einen Moment in der Tür stehen, atmet aus. Ben legt ihr eine Hand auf die Schulter.


„Alles okay?“


„Ja,“ sagt sie leise. „Aber ich glaube, das war nicht das letzte Mal, dass er auftaucht.“

 

Ben nickt. „Dann wird er auch beim nächsten Mal hören, dass er hier nichts zu suchen hat.“

 

Sie schließen die Tür, und die Stille des Abends kehrt zurück –
aber sie trägt einen Schatten in sich.

 

Der Motor seines Wagens brummt tief, während Valerian die Straßen von Falkensee entlangfährt. Die Dämmerung liegt schwer über der Stadt, die Laternen werfen lange Schatten auf den Asphalt. In seinem Inneren tobt es.


Ein unruhiges, heißes Brodeln, das sich nicht mehr unterdrücken lässt. Er schlägt mit der Hand gegen das Lenkrad. Ein dumpfer Schlag, der im Inneren des Wagens verhallt.


„Sie lügen alle,“ zischt er leise. „Alle.“

 

Hannahs Gesicht taucht wieder vor ihm auf – dieses kühle, aufrechte Lächeln.
Bens Tonfall, ruhig, bestimmt. Er hätte sie zur Rede stellen sollen, härter, direkter. Aber irgendetwas an der Gelassenheit dieses Mannes hat ihn davon abgehalten. Und das macht ihn nur noch wütender.

 

Er fährt weiter, die Hauptstraße entlang, dann durch die kleineren Seitenstraßen. Immer wieder hält er an, sieht in die Gärten, auf die Häuser, in die Fenster. Alles still. Nur Menschen, die ihr Leben leben.

 

Elysia könnte überall sein. Oder nirgends.

 

Sein Griff um das Lenkrad wird fester.


Wie konnte sie einfach gehen?


Ohne Nachricht, ohne Erklärung. Nach allem, was er ihr gegeben hat. Er biegt in die Straße am See ein, fährt langsam den schmalen Weg entlang. Die Lichter spiegeln sich im Wasser, kleine goldene Punkte in der Dunkelheit. Dann sieht er das Haus mit den großen Fenstern – modern, hell beleuchtet. Er bremst kurz, sieht hinüber.

 

Jemand ist dort.


Ein Mann vielleicht, die Silhouette kurz erkennbar hinter dem Glas. Valerian mustert das Haus, die ruhige Fassade, das Licht, das warm auf die Terrasse fällt. Dann schüttelt er kaum merklich den Kopf. Nein. Das hat nichts mit ihr zu tun. Er fährt weiter.

 

Der Wagen rollt durch die Nacht, das Motorengeräusch hallt leise zwischen den Häusern wider. Er biegt zurück auf die Hauptstraße, atmet hart aus und schlägt erneut mit der Hand gegen das Lenkrad.

 

„Ich finde dich, Elysia,“ murmelt er, fast tonlos. „Du kannst dich nicht ewig verstecken.“

 

Die Stadt liegt friedlich, doch in ihm tobt ein Sturm, den keiner hört. Nur der schwache Schein der Straßenlaternen begleitet ihn, während er weiterfährt –
allein zwischen Licht und Dunkel.

 

Es ist spät, als Valerian nach Hause kommt.
Das Tor schließt sich hinter dem Wagen mit einem dumpfen Klicken, das in der Dunkelheit nachhallt. Im Haus brennt noch Licht – warm, ruhig, fast zu friedlich.

 

Frau Schubert, die Haushälterin, steht im Flur, gerade im Begriff, einen Wäschekorb die Treppe hinaufzutragen.


„Guten Abend, Herr Auberon,“ sagt sie vorsichtig, „ich wollte gerade...“

 

„Lassen Sie das,“ fällt er ihr scharf ins Wort. „Später.“

 

Sie blinzelt irritiert, bleibt stehen.


„Ich wollte nur...“

 

„Ich sagte, später!“


Die Worte hallen lauter, als er wollte.

 

Frau Schubert nickt stumm, zieht sich leise zurück, den Korb fest an sich gedrückt.


Als sie außer Sicht ist, steht Valerian noch immer im Flur, die Hand an der Treppengeländerstange, den Blick ins Leere gerichtet. Dann geht er nach oben.
Die Schritte auf der Treppe klingen schwer, fast schleppend. Im Schlafzimmer ist alles ordentlich, makellos – das Bett gemacht, die Vorhänge halb geschlossen, der Duft ihres Parfums noch schwach in der Luft. Auf dem Nachttisch steht ein Glas Wasser, daneben ein Buch, das sie zuletzt gelesen hat.

 

Er bleibt in der Tür stehen. Einen Moment lang ist es, als würde sie gleich hereinkommen – mit diesem ruhigen Blick, der gleichzeitig so fern und so vertraut war. Er zwingt sich, weiterzugehen, legt das Jackett auf den Stuhl und fährt sich mit der Hand durchs Haar. Das Schweigen im Raum ist fast unerträglich. Es ist zu still.

 

Er setzt sich auf die Bettkante, der Blick auf das Kopfkissen neben sich.
Ihr Platz. Leer. Er streicht mit den Fingern über den Stoff, als könnte er darin etwas finden – eine Spur, ein Gefühl, irgendetwas, das geblieben ist.

Er presst die Lippen zusammen, atmet schwer aus.


Zum ersten Mal, seit sie weg ist, trifft ihn der Gedanke mit voller Wucht:


Vielleicht kommt sie nicht zurück.

 

Er lehnt sich nach vorn, stützt die Ellbogen auf die Knie. Seine Hände zittern leicht. Er hat sie geliebt – auf seine Weise, still, unausgesprochen, zu sehr durch Kontrolle und Stolz erstickt, um es je zu zeigen. Aber jetzt, in der Leere dieses Zimmers, spürt er es zum ersten Mal. Nicht als Besitz. Nicht als Macht.
Sondern als Schmerz.

 

Ein leises, unruhiges Atmen erfüllt den Raum. Er hebt den Blick, sieht in den Spiegel gegenüber. Sein eigenes Gesicht blickt ihm entgegen – blass, angespannt, müde. Und in seinen Augen etwas, das er nicht kennt: Verlust.

 

Er steht schließlich auf, geht ans Fenster. Draußen liegt der Garten still, die Lichter des Hauses spiegeln sich in den nassen Wegen.


„Wo bist du, Elysia?“ flüstert er.


Aber die Dunkelheit bleibt stumm.