Falkensee - Kapitel 22



Elysia tritt aus dem Supermarkt, die Türen gleiten summend hinter ihr zu. Die Hitze des Spätsommertags schlägt ihr sofort wieder entgegen, aber sie spürt sie kaum. In ihrer Hand hält sie eine kalte Flasche Wasser und eine Tüte Gummibären – kleine Reisebegleiter für später. Sie lächelt. Ein weiches, heimliches Lächeln, das sie nicht einmal versucht zu unterdrücken.

 

Die letzten Tage haben so viel in ihr bewegt. Und obwohl sie gleich nach Hause fährt, fühlt es sich nicht wie ein Abschied an. Nicht wirklich. Nicht, wenn sie Kian vorher noch einmal sehen kann.

 

Dieser Gedanke lässt ihr Herz ein bisschen schneller schlagen. Sie erreicht ihr Auto, öffnet die Tür und legt die Flasche und die Gummibären sorgfältig auf den Beifahrersitz. Einen Moment verharrt sie, ihre Hand am Lenkrad, und schließt kurz die Augen.

 

Ich freue mich auf ihn.

 

Es fühlt sich gut an, das zuzulassen. Sie setzt sich hinein, schnallt sich an und startet den Motor. Das Radio springt an, leise Musik erfüllt den Wagen. Elysia wirft einen Blick in den Rückspiegel, atmet tief durch – ein Hauch Nervosität, ein Hauch Vorfreude, irgendwo dazwischen ein warmes Brennen.

 

„Nur ein paar Minuten“, murmelt sie lächelnd, während sie den Gang einlegt. „Nur noch einmal… bevor ich fahre.“

 

Der Motor schnurrt, und langsam rollt das Auto vom Parkplatz. Elysia biegt auf die Straße ein, die Luft flimmert über dem Asphalt vor Hitze. Aber in ihr drin ist es hell und leicht. Mit jedem Meter kommt sie Kian näher. Und sie kann es kaum erwarten.

 

Die rote Ampel wirkt wie ein schlechter Scherz. Elysia trommelt mit den Fingern leicht auf das Lenkrad, als könnte sie damit die Zeit beschleunigen. Die Hitze flimmert über dem Asphalt, ein leichter Windzug bewegt ein paar staubige Blätter am Straßenrand. Neben ihr liegt die Wasserflasche, in der sich kleine Kondensperlen sammeln.

 

Jetzt mach doch…

 

Als die Ampel endlich auf Grün springt, atmet sie erleichtert aus und fährt an. Und mit jedem Meter, der sie Kians Haus näher bringt, klopft ihr Herz schneller.

Sie kann nichts dagegen tun, will es auch gar nicht.

 

Ihr Blick wandert kurz in den Rückspiegel, aber in ihrem Kopf taucht sofort sein Gesicht auf. Dieses offene, ehrliche Lächeln, das ein bisschen verlegen wirkt, wenn er nicht weiß, was er sagen soll. Seine dunklen Augen, in denen man immer ein kleines bisschen mehr sieht, als er preisgibt. Dieser Ausdruck, der ihr das Gefühl gibt, wirklich gesehen zu werden.

 

Und, ja…


sie kann es sich eingestehen: verdammt attraktiv ist er auch.

 

Ein kleiner, unfreiwilliger Seufzer entweicht ihr. Sie schmunzelt.

 

Die Tattoos…


Am Anfang hatte sie sich damit schwergetan. Linien, Muster, Symbole, die seine Haut erzählten. Geschichten, die sie noch nicht kennt.

 

Sie stören sie  gar nicht mehr. Im Gegenteil. Sie passen zu ihm.
Zu dem Mann, der er ist.

 

Elysia biegt in seine Straße ein. Ihr Herz macht einen kleinen Sprung, als sie das vertraute Haus erkennt – seinen Garten, die Terrasse, wo er vielleicht gerade steht. Oder sitzt. Oder – ein kurzer Stich durchfährt sie – vielleicht gar nicht mehr wartet.

 

Sie schluckt, versucht, sich zu beruhigen.

Aber als sie näherkommt, ist da nur eine einzige, klare Wahrheit in ihr:

Sie will ihn sehen.


Jetzt.


Und alles andere wird sich zeigen.

 

Langsam rollt ihr Auto vor sein Haus.
Ihr Puls hämmert. Und ihr Lächeln wird weich und nervös zugleich.


Kian tritt aus dem Badezimmer, noch dabei, sich mit dem Handtuch durchs Haar zu rubbeln. Seine Haut ist warm vom heißen Wasser, die Jeans sitzt noch etwas lose auf seinen Hüften, und sein Oberkörper ist unbedeckt. Das Haus wirkt stiller als vorher, als hätte die Dusche den letzten Rest Hoffnung weggespült.

 

Er läuft barfuß den Flur entlang, zielstrebig, obwohl er innerlich am liebsten stehenbleiben würde. Am liebsten nicht nachsehen würde.

 

Aber er kann nicht.

 

Als er den Esstisch erreicht, wirft er das Handtuch über einen Stuhl und greift nach seinem Handy. Sein Daumen weckt den Bildschirm. Ein grauer Haken. Immer noch. Nichts. Keine Nachricht. Keine Antwort. Nicht einmal ein „gesehen“.

 

Ein schweres, dumpfes Gefühl breitet sich in seiner Brust aus - nicht dramatisch, aber schmerzhaft genug, dass er kurz die Schultern sinken lässt.

 

„Okay…“, murmelt er, seine Stimme kaum mehr als ein rauer Hauch. „Dann war’s das wohl.“

 

Er stützt eine Hand auf die Tischkante, den Blick auf das Display gerichtet, als könnte er mit purer Willenskraft etwas herbeizwingen, das nicht passieren wird. Der Chat bleibt stumm.

 

Sein Gesicht verliert diesen Funken Hoffnung, der sich dort seit dem Morgen gehalten hatte. Die Enttäuschung ist kein richtiger Schmerz - mehr ein langsames, kaltes Einsickern von Realität. Ein Gefühl, das er kennt. Eines, von dem er dachte, er hätte es hinter sich gelassen.

 

Vielleicht… war es für sie einfach ein Moment gewesen. Ein schöner, aber eben nur ein Moment.


Und er?


Er hatte zu viel hineininterpretiert. Wie früher. Wie immer.

Kian atmet tief durch, das Handy noch in der Hand. Er sollte den Tag einfach abhaken. Er sollte sich nicht hineinsteigern. Aber seine Brust fühlt sich enger an, als sie sollte.

 

Er dreht sich weg, legt das Handy wieder auf den Tisch und fährt sich frustriert durch die Haare. Er glaubt, sie verloren zu haben - bevor es überhaupt richtig begonnen hat.

 

Er schnappt sich halbherzig das Handtuch und macht sich auf den Weg ins Schlafzimmer, um endlich sein T-Shirt anzuziehen. Er fühlt sich ausgebrannt. Leer. Er will einfach nur irgendetwas tun, das ihn von dem blöden Gefühl in der Brust ablenkt.

 

Doch genau in diesem Moment klingelt es. Ein kurzes, helles Ding-dong, das durch das ganze Haus hallt. Kian bleibt stehen, schließt genervt die Augen.


Ben… natürlich. Wer sonst?

 

Er dreht sich nicht einmal um, ruft nur laut in Richtung Flur:

 

„Komm rein! Tür ist offen!“

 

Ohne groß nachzudenken, läuft er weiter Richtung Schlafzimmer. Er hat nicht die Energie für Bens neckende Sprüche. Nicht heute.

 

Doch etwas hält ihn auf halbem Weg an. Eine leise Bewegung.
Ein kaum hörbares Schließen der Haustür.


Dann: Schritte. Leichter, zögerlicher. Nicht Bens stampfender Gang.

Etwas in ihm erstarrt für einen Herzschlag lang. Langsam dreht er den Kopf und blickt über seine Schulter. Und da steht sie.

 

Elysia.

 

In der offenen Tür. In der Hand noch die Autoschlüssel, die Schritte unsicher… aber ihr Lächeln warm. Sanft. Ein bisschen nervös.

 

Sein  Atem stockt. Für einen winzigen Moment glaubt er, er würde halluzinieren. Aber sie ist da. Wirklich da. Das Handtuch rutscht ihm beinahe aus der Hand. Sein Herz setzt aus – und schlägt dann doppelt so schnell.

 

Und dann… breitet es sich aus. Wie von selbst. Ein Lächeln.
Eines, das er nicht zurückhalten könnte, selbst wenn er wollte.
Eines, das langsam seine ganze Enttäuschung wegwischt. Ein echtes, ehrliches, warmes Kian-Lächeln. Eines, das nur für sie ist.

 

Elysia bleibt wie angewurzelt stehen, kaum einen Schritt im Zimmer. Als Kian sich ganz zu ihr umdreht, trifft es sie wie ein Schlag – nicht unangenehm, eher wie ein warmes, überwältigendes Aufflammen in der Brust.

 

Ihr Blick wandert unwillkürlich über ihn. Von seinem zerzausten Haar… über seine Schultern… seinen nackten Oberkörper… die kleinen, glänzenden Wassertropfen, die noch seine Haut hinunterrinnen.

 

Und dann bemerkt sie etwas, das sie verblüfft innehalten lässt. Keine Tattoos.
Nicht am Oberkörper. Nicht dort, wo sie es erwartet hätte. Die Tattoos sind offenbar nur an seinen Armen – und gerade sind die Ärmel nicht vorhanden. Zu ihrer Überraschung gefällt ihr dieser Anblick sogar noch mehr. Viel mehr. Vielleicht zu sehr.

 

Kian erkennt es. Oh, er erkennt es genau. Sein leichtes, schelmisches Grinsen sagt alles, bevor er überhaupt etwas sagt. Die kleine Falte am linken Mundwinkel, die sie schon gestern verrückt gemacht hat, taucht wieder auf.

 

Elysia merkt, dass sie starrt. Wirklich starrt. Und sie bekommt die Kontrolle über ihren Blick erst zurück, als ihre Wangen heiß werden. Sie blinzelt, reißt sich los – und erwischt ihn dabei, wie er amüsiert eine Augenbraue hebt. Ein warmes, nervöses Lächeln breitet sich auf ihren Lippen aus.

 

„Hi“, bringt sie endlich hervor, etwas zu leise, etwas zu schnell, aber es ist da.

 

Kian schmunzelt noch immer, tritt ein paar Schritte auf sie zu, langsam, fast vorsichtig – als wäre er sich selbst nicht sicher, ob sie wirklich da ist.

 

„Hi“, antwortet er, leise, tief, mit diesem Unterton, der ihr eine Gänsehaut beschert.

 

Für einen Moment stehen sie einfach nur da. Ein paar Meter voneinander entfernt. Die Luft zwischen ihnen flimmert vor Hitze und unausgesprochenen Dingen.

 

Kian wischt sich eine Haarsträhne aus der Stirn und sieht sie an, als wäre sie das Letzte, womit er heute gerechnet hatte – und gleichzeitig genau das, was er sich gewünscht hat.

 

Elysia kann ihren Blick nicht ganz beherrschen. Noch einmal wandert er kurz – viel zu kurz, viel zu deutlich – über seinen Oberkörper. Über die feinen Linien seiner Bauchmuskeln, die Art, wie die letzten Tropfen Wasser dort glitzern, bevor sie hinabgleiten.


Sie schluckt.


Dann sieht sie ihm wieder ins Gesicht.

 

„Ich wollte dich noch einmal sehen, bevor ich fahre“, sagt sie, ihre Stimme warm, leise – und ehrlicher, als sie geplant hatte. Sie macht einen Schritt auf ihn zu. Ein kleiner Schritt für den Raum. Ein großer für die Stimmung zwischen ihnen.

 

Kian nickt langsam, seine Augen bleiben an ihr hängen. So, wie sie gerade an ihm hingen.

 

„Ich hatte schon gedacht, du hättest dich einfach aus dem Staub gemacht“, sagt er. Es klingt halb scherzhaft, halb verletzlich – und viel zu echt für einen lockeren Spruch.

 

Elysia schüttelt sofort den Kopf.


„Nein. Niemals.“

 

Und sie geht noch einen Schritt auf ihn zu. Nur noch wenige Zentimeter trennen sie. Sie kann jetzt sein Duschgel riechen. Warm, sauber, männlich, ein wenig nach Zedernholz. Ein Duft, der viel zu gut zu ihm passt. Ein Duft, der ihr Herz einmal kräftig gegen die Rippen stoßen lässt.

 

Kians Brust hebt sich ein wenig schwerer. Er merkt ihre Nähe. Er merkt ihren Blick. Er merkt alles.

 

„Gut“, murmelt er, seine Stimme jetzt tiefer. „Weil… ich wollte dich  auch gerne… noch sehen.“

 

Seine Hand fährt sich nervös durch die feuchten Haare, doch seine Augen lassen ihre nicht los. Die Spannung zwischen ihnen zieht sich enger, dichter, wärmer. Nur ein kleiner Schritt mehr, und sie könnten sich berühren. Nur ein Atemzug mehr, und sie würden es tun.

 

Kian spürt die Spannung zwischen ihnen so deutlich, dass es ihm fast den Atem nimmt.


Elysia spürt sie genauso – in ihrem Bauch, in ihrer Brust, in jeder Faser ihres Körpers.


Ihre Blicke verhaken sich ineinander, warm, intensiv, gefährlich ehrlich.

Für einen Moment ist es still. So still, dass jeder Schritt weiter alles verändern würde. Bevor es zu viel wird… räuspert sich Kian leise. Seine Stimme klingt etwas rau, als er das Schweigen bricht:

 

„Hast du noch Zeit auf einen Kaffee?“

 

Elysia atmet hörbar aus. Ein ganz kleiner, leiser Atemzug – beinahe ein Entgleiten der Anspannung. Sie senkt kurz den Blick, hebt ihn wieder.

 

„Eigentlich nicht“, antwortet sie. „Ich habe drei Stunden Fahrt vor mir.“

 

Kian nickt, und obwohl er versucht, es zu überspielen, huscht ein Schatten über sein Gesicht.

 

„Schade“, sagt er leise. „Aber… kann man nichts machen.“

 

Doch sie sieht es.
Natürlich sieht sie es.


Die Enttäuschung, die in seinen Augen aufblitzt, bevor er sie wegzwingt.
Die leichte Spannung in seinem Kiefer. Die Art, wie er seinen Blick kurz abwendet. Und diesem Blick… kann sie nicht widerstehen. Sie schnaubt leise, ein kleines, gespieltes Seufzen.


„Also gut…“, sagt sie und hebt den Kopf, ihre Lippen zu einem schiefen Lächeln verzogen.


„Dann einen schnellen.“

 

Kian blinzelt – überrascht, sichtbar erfreut – und für einen Moment sieht er aus wie jemand, dem gerade plötzlich wieder die Farbe in die Welt zurückgekehrt ist.

 

„Einen schnellen“, wiederholt er, sein Mundwinkel hebt sich zu einem warmen, dankbaren Lächeln.

 

Die Spannung zwischen ihnen wird nicht kleiner.


Sie verändert sich nur – sie wird… weicher. Intimer. Direkter.

 

Und als Kian den Kopf leicht zur Seite neigt, um in die Küche zu deuten, streift sein Blick wieder ihren – und bleibt dort hängen.

 

„Ich verspreche, er wird gut“, sagt er.

 

Elysia schmunzelt.


„Ich hoffe es.“

 

Und sie tritt neben ihn, so nah, dass sein Duft sie wieder einhüllt.
So nah, dass ihre Arme sich beim Vorbeigehen fast berühren.

So nah, dass die Luft wieder knistert.

 

Sie sind kaum zwei Schritte in Richtung Küche gegangen, da wird die Stille zwischen ihnen dichter. Wärmer. Greifbarer.


Kian spürt sie überall – wie eine unsichtbare Hand, die ihn vorwärts schiebt.
Wie Hitze unter der Haut. Er kann nicht mehr.

In einer fließenden, völlig instinktiven Bewegung greift er nach ihrem Arm.
Nicht grob, nicht hastig – aber bestimmt. Mit dieser Mischung aus Unsicherheit und tiefem Verlangen, die er nicht länger verstecken kann.

 

Elysia keucht leise vor Überraschung, doch ihr Körper reagiert schneller als ihr Kopf. Kein Widerstand. Keine Sekunde Zögern.
Sie lässt es einfach zu – als hätte sie genau darauf gewartet.

 

Kian zieht sie zu sich, direkt in seine Nähe, so nah, dass sie seinen Atem auf ihrer Haut spürt. Elysia hebt den Blick, ihre Augen weit, warm, voller Gefühl – und er verankert sich darin.

 

Für einen Herzschlag stehen sie nur da. Einen Atemzug. Einen unausweichlichen Moment, in dem alles gesagt ist, obwohl kein Wort fällt.

Dann senkt er den Kopf. Ihr Atem mischt sich mit seinem – und fast im selben Moment spürt sie seine Lippen. Der Kuss trifft sie wie ein Stromstoß.

 

Das ist nicht vorsichtig. Nicht tastend. Nicht zaghaft wie gestern.

Dieser Kuss ist klar. Deutlich. Heiß. Einnehmend. Fordernd.

 

Ein Kuss, der ihr ohne ein einziges Wort sagt, wie sehr er sie will.


Wie sehr er sie braucht.


Wie lange er diesen Moment herbeigesehnt hat.

 

Elysia schmilzt in ihn hinein, als hätte ihr Körper nur auf dieses Signal gewartet. Eine Hand wandert an seine nackte Seite, spürt die Wärme seiner Haut, seine Atmung, seine Spannung.

 

Kian zieht sie noch näher, sein Griff fester, sein Kuss tiefer – als wolle er jeden Zweifel, jede Distanz, jede Stunde, die sie gleich trennen wird, auslöschen.

 

Für einen Moment gibt es nur sie.


Nur ihre Lippen.


Nur seinen Atem.


Nur dieses brennende Gefühl, das sie beide überrollt.

 

Kian zieht sie enger an sich, so fest, als hätte er Angst, sie könnte ihm wieder entgleiten. Sein nackter Oberkörper presst sich warm gegen ihren, und Elysia spürt jeden Atemzug, jede Bewegung, jede Spannung unter seiner Haut.

 

Ihre Hände finden von allein den Weg nach oben. Über seine Seite, seine Rippen, die leichte Wölbung seiner Brust. Seine Wärme zieht wie ein Schauer durch sie hindurch. Ihre Finger erkunden ihn, als hätten sie schon lange darauf gewartet – zögernd und doch völlig selbstverständlich.

 

Kian antwortet auf ihre Berührung mit einem tiefen, kaum hörbaren Laut, der irgendwo zwischen einem Seufzer und einem leisen Knurren liegt. Seine Hand gleitet an ihren Rücken, von ihrer Taille hinauf bis zwischen ihre Schulterblätter, sanft und gleichzeitig fordernd.

 

Und dann vertiefen sie den Kuss.


Ihre Lippen öffnen sich im selben Moment, als hätten sie sich abgesprochen, und ihre Zungen finden einander – zuerst vorsichtig, ein Streifen, dann ein Spiel, das schnell intensiver wird.

 

Der Kuss ist nicht mehr nur Zuneigung. Nicht mehr nur Sehnsucht.
Er ist ein Bekenntnis. Ein unmissverständliches Ich will dich.


Von beiden.

 

Elysias Hände gleiten weiter, erkunden die Linien von Kians Schulter, seinen Nacken, spüren, wie sich seine Muskeln unter ihrer Berührung anspannen. Kian hält sie fest, seine Finger graben sich in ihr Shirt, als wolle er sie schlicht an sich festhalten, um nie wieder loszulassen.

 

Ihre Körper bewegen sich im gleichen Rhythmus wie ihr Kuss – warm, verlangend, eng miteinander verwoben. Für einen Moment ist alles andere verschwunden:


Die Hitze des Tages, die bevorstehende Fahrt, die Unsicherheiten.
Es gibt nur diesen Raum. Diesen Atem. Diese zwei Menschen, die einander viel zu lange vermisst haben.

 

Dieser Kuss sagt mehr, als Worte es könnten.

 

Er sagt, wie sehr sie beide diesen Moment wollen.
Wie sehr sie ihn gebraucht haben.
Und wie schwer es wird, sich davon wieder zu lösen.

 

Doch dann  löst sich Elysia langsam aus dem Kuss, ihre Lippen verweilen noch einen Herzschlag lang an seinen, bevor sie Abstand schafft. Nur wenige Zentimeter. Nicht genug, um wirklich voneinander wegzugehen – gerade so viel, dass sie sich wieder ansehen können.

 

Beide atmen schwer.
Warm.
Unkontrolliert.


Wie zwei Menschen, die gerade etwas viel Größeres entfacht haben, als sie geplant hatten.

 

Kian sieht sie an, sein Blick weich und gleichzeitig so voller Glut, dass es Elysia erneut heiß durchfährt. Ein Lächeln stiehlt sich auf seine Lippen, breit, atemlos, glücklich.

 

„Das war…“ beginnt er, immer noch leicht außer Atem.

 

Elysia lächelt breiter, ihre Stirn an seine gelehnt.


„Ja“, beendet sie den Satz flüsternd. „Das war es.“

 

Ihre Finger bleiben auf seiner Haut, streichen über die warme Linie seines Brustkorbs, folgen einer Spur eines Wassertropfens, die langsam hinabgleitet. Sie berührt ihn wie jemand, der sich vergewissert, dass dieser Moment wirklich ist.

 

Kian schließt kurz die Augen, als würde allein ihre Berührung ihn schwach machen, und öffnet sie dann wieder. Das Schmunzeln kehrt zurück.

 

„Noch Zeit auf einen Kaffee?“ fragt er leise, sein Ton voller Wärme – und einem Funken Neckerei. Er beugt sich etwas vor, seine Stirn wieder an ihrer, seine Lippen gefährlich nah.


„Oder ist der jetzt nicht mehr wichtig?“

 

Sein Lächeln ist frech. Herausfordernd. Und gleichzeitig so liebevoll, dass Elysia kaum atmen kann.

 

Ihre Finger verharren an seinem Brustbein, und sie sieht ihn an, als müsste sie sich erst sammeln, bevor sie antworten kann.

 

Elysia blinzelt, sieht sein freches, viel zu attraktives Lächeln – und weiß genau, dass sie antworten muss, bevor er sie wieder küsst und sie jegliche Selbstkontrolle verliert.

 

„Oh, der Kaffee ist wichtig“, sagt sie mit gespielter Strenge, hebt eine Augenbraue und tippt mit dem Finger gegen seine Brust. „Sehr wichtig sogar.“

 

Kian schmunzelt, ahnt, was sie tut – aber er macht mit.

 

„Ach ja?“ fragt er und beugt sich minimal näher.

 

„Ja“, sagt sie noch entschiedener. „Sonst werde ich grantig.“

 

„Das wäre schrecklich.“

 

„Furchtbar.“

 

Sie versucht, ernst zu bleiben, doch ihre Lippen verziehen sich zu einem Lächeln. Und als sie noch einmal tief Luft holt, um ihre Fassung zurückzugewinnen, schiebt sie ihre Hände an seine Brust – diesmal nicht zärtlich, sondern mit leichter Kraft.

 

„Also los“, drängt sie und schiebt ihn in Richtung Küche. „Bevor du wieder auf dumme Gedanken kommst.“

 

„Ich? Auf dumme Gedanken?“ Er lacht leise, während sie ihn weiter nach vorne schiebt. „Würde ich nie...“

 

„Kian.“ Sie gibt ihm einen letzten, bestimmten Schubs.

 

Er stolpert einen Schritt in die Küche – barfuß, mit nassem Haar, immer noch ohne Shirt – und dreht sich dann zu ihr um. Seine Augen lachen, warm und voller Funken.

 

„Alles klar“, sagt er und hebt beide Hände theatralisch. „Ein schneller Kaffee für die Dame. Nur deshalb, nicht wahr?“

 

Elysia nickt heftig.


„Natürlich. Nur Kaffee.“

 

Aber das Zittern in ihrer Stimme verrät sie. Der Blick in ihren Augen verrät sie.


Und Kian sieht es. Er sieht alles. Doch er lässt es stehen. Für sie. Für diesen Moment. Mit einem kleinen Grinsen dreht er sich zur Kaffeemaschine um.

 

Und Elysia bleibt einen Herzschlag lang stehen, lehnt sich an den Türrahmen, atmet tief durch. Sie tut so, als entkomme sie der Situation. Als brauche sie Abstand. Als sei sie geflüchtet. Aber ihr Herz weiß es besser. Sie will ihn. Sie wollte nie wirklich weg.

 

Kian stellt zwei Tassen bereit und macht sich an der Kaffeemaschine zu schaffen. Das Surren der Maschine füllt die Küche, aber die eigentliche Lautstärke kommt aus etwas ganz anderem:


Aus den Blicken, die sie sich immer wieder zuwerfen.

 

Elysia lehnt am Türrahmen, ihre Arme locker verschränkt, doch ihr Blick verrät sie sofort. Sie sieht ihn. Und zwar nicht nur oberflächlich.

Jedes Mal, wenn Kian sich bewegt, wenn seine Schulter zuckt, wenn das Licht über seinen nackten Oberkörper gleitet oder sich eine Haarsträhne löst, wandern ihre Augen hin – unkontrolliert, kaum zu verbergen.

Und jedes Mal, wenn sich ihre Blicke treffen, prallt eine Welle aus Wärme zwischen ihnen hin und her.


Zu viel.
Zu nah.
Zu gefährlich.

 

Kian versucht sich zusammenzureißen. Wirklich. Er räuspert sich, greift nach einem Löffel, dreht sich leicht weg, als könnte er sich vor ihrem Blick retten. Er hebt den Kopf – und erwischt sie wieder beim Starren.

 

Elysia errötet leicht, eine kaum wahrnehmbare Röte, die er sofort erkennt.
Und genau das macht es schwerer, nicht leichter.

 

Sie will ihn.


Das sieht er.


Ihr Blick spricht eine zu deutliche Sprache. Aber er sieht auch etwas anderes in ihren Augen:


Zögern.


Ein kleines, leises Stoppschild, das sie selbst kaum wahrnimmt. Nicht, weil sie ihn nicht will – sondern weil alles auf einmal zu schnell gehen könnte.

 

Kian atmet durch. Er zwingt sich, langsamer zu machen.
Seine Bewegungen bewusst ruhig, kontrolliert. Als er sich zu ihr umdreht, zwei dampfende Tassen in der Hand, sieht er sie erneut an. Und diesmal sieht er alles. Verlangen. Unsicherheit. Aufregung.


Eine Grenze, die sie nicht überschreiten will – noch nicht.

Aber sein Blick verrät genauso viel. Er sieht sie mit dieser Mischung aus Wärme und Hunger an, die ihr durch Mark und Bein geht. Nur… nimmt er ein kleines Stück Tempo raus. Er stellt ihr eine Tasse hin.

 

„Hier“, sagt er sanft, fast leise. „Ein schneller Kaffee.“

 

Ihre Finger berühren seine, ganz kurz, ungewollt. Und sofort schießt die Spannung wieder durch sie hindurch. Elysia nimmt die Tasse entgegen und sieht ihn an, als müsste sie sich daran erinnern zu atmen.

 

„Danke“, sagt sie. Ihre Stimme ist etwas rauer, als sie wollte.

 

Kian lehnt sich an die Küchenzeile, nimmt einen Schluck, seine Augen bleiben auf ihr. Nicht drängend. Nicht fordernd. Aber voller Intensität, die er nicht mehr verbergen kann.

 

Und auch wenn er weiß, dass er sie nicht überrollen darf…

…hört er nicht auf, sie mit genau diesem Blick anzusehen.

 

Kian spürt, wie dicht die Spannung noch immer zwischen ihnen liegt, wie schwer die Luft sich anfühlt. Und er weiß, dass er das jetzt ein wenig auffangen muss, für sie beide. Also atmet er leise durch, richtet sich etwas auf und lächelt – dieses weiche, natürliche Kian-Lächeln, das immer etwas mit ihr macht.

 

„Also… erzähl mal“, beginnt er, hebt die Tasse leicht an. „Wie läuft’s eigentlich bei der Arbeit? Was machst du da genau in der Bäckerei?“

 

Elysia atmet erleichtert aus – froh, dass die Situation durch ein Gespräch wieder Boden bekommt. Sie richtet sich auf, hält die Tasse mit beiden Händen fest.

 

„Oh, die Bäckerei…“ Sie schmunzelt. „Da ist eigentlich immer was los. Ich steh morgens sehr früh auf, meistens noch im Dunkeln. Aber es macht mir Spaß. Ich mag das Gefühl, wenn der Laden warm wird und der Duft von frischem Brot kommt.“

 

Kian lächelt, richtig interessiert.


„Ich stehe meistens hinterm Tresen, bediene Kunden, manchmal helfe ich auch hinten beim Vorbereiten. Und ich arbeite mit Phelia zusammen.“

 

Kian zieht die Augenbrauen etwas hoch, neugierig.


„Phelia?“

 

Elysia lacht leise. „Meine Kollegin – und inzwischen echt eine gute Freundin. Sie ist… eine Wucht. Immer gut gelaunt, immer laut, immer ehrlich. Und sie bringt mich jeden Tag zum Lachen.“

 

Kian grinst. „Eine Art persönlicher Wirbelwind?“

 

„Oh ja. Und wahrscheinlich der Grund, warum ich montagmorgens nicht kündige.“ Sie schmunzelt. „Wir haben schon so viel zusammen erlebt. Und wir trinken jeden Morgen unseren ersten Kaffee zusammen, bevor die Türen aufgehen. Das ist wie ein kleines Ritual.“

 

Kian beobachtet sie mit warmem Blick, als würde er jede Nuance in ihrem Gesicht speichern.

 

„Du klingst… echt glücklich, wenn du davon erzählst.“

 

Elysia hebt leicht die Schultern. „Bin ich auch. Es ist nicht der glamouröseste Job, aber er macht mich zufrieden. Und Phelia ist inzwischen wie Familie.“

 

Kian nickt langsam, lächelt sie an – ein Lächeln, das zeigt, dass er es schön findet, dass sie einen Platz hat, an dem sie sich wohlfühlt.

 

„Klingt gut“, sagt er leise. „Richtig gut.“

 

Nachdem sie eine Weile über die Bäckerei und Phelia gesprochen haben, senkt sich ein etwas ernsterer Ton zwischen ihnen. Nicht unangenehm – eher notwendig.

 

Elysia stellt ihre Tasse ab, ringt kurz mit sich.


„Kian… wie soll das überhaupt funktionieren? Wir wohnen drei Stunden auseinander.“

 

Kian schluckt, aber er weicht ihrem Blick nicht aus.


„Ich weiß.“

 

„Und…“ Sie streicht nervös über den Tassenrand. „Ich muss samstags arbeiten. Fast immer. Ich hab selten ein ganzes Wochenende frei. Das macht’s nicht leichter.“

 

Ein Moment Stille. Nicht drückend – eher klärend.

 

Kian legt die Hände an die Tresenkante, beugt sich leicht zu ihr.


„Elysia… das schreckt mich nicht ab.“

 

Sie hebt fast überrascht die Augen.


„Wirklich nicht? Es sind drei Stunden. Nicht zwanzig Minuten.“

 

„Dann fahr ich eben drei Stunden.“ Sein Ton ist ruhig, bestimmt. „Wenn ich dich sehen will – und das will ich – dann ist das doch kein Problem.“

 

Elysia öffnet den Mund, schließt ihn wieder. So eine Antwort hatte sie nicht erwartet. Nicht so direkt. Nicht so selbstverständlich.

 

„Kian…“

 

Doch er hebt leicht die Hand, nicht um sie zu stoppen, sondern weil ihm wichtig ist, es richtig zu sagen.

 

„Ich komme zu dir. An den Wochenenden. Wann immer du kannst. Wenn du samstags arbeitest, dann warte ich eben auf dich. Ich bin flexibel.“

 

Elysias Herz schlägt schneller. Er meint das ernst. Kein Zögern. Kein ‚mal schauen‘. Kein ‚vielleicht‘.

 

„Und wenn du irgendwann frei hast,“ fügt er mit einem kleinen Lächeln hinzu, „kannst du zu mir kommen. Aber das soll stressfrei sein.“

 

Sie sieht ihn lange an, ihre Augen werden weich. So weich, dass er es fast körperlich spürt.

 

„Du würdest wirklich jedes Wochenende zu mir fahren?“

 

„Ja.“


Es kommt sofort. Ohne Nachdenken. Ohne Zweifel.

 

„Weil… das hier...“ er deutet vage zwischen ihnen „...für mich nicht irgendwas ist. Und ich will nicht, dass es wieder Monate dauert, bis wir…“ Er bricht ab, schmunzelt. „Bis wir einen Kaffee zusammen trinken.“

 

Elysia lacht leise, warm. Dann legt sich ein Ausdruck – vorsichtig, überwältigt – über ihr Gesicht.

 

„Kian… ich hab ein bisschen Angst davor“, gesteht sie flüsternd. „Aber… ich will es auch.“

 

Er tritt einen Schritt näher an sie. Nicht so nah wie zuvor, aber nah genug, dass sie seine Wärme spürt.

 

„Dann fangen wir einfach an“, sagt er. „Langsam. So, wie du’s brauchst.“

 

Elysia atmet tief ein, ihre Schultern entspannen sich.


„Okay…“, flüstert sie. „Versuchen wir’s.“

 

Kian lächelt – dieses ehrliche, strahlende Lächeln, das ihr tief ins Herz fährt.


„Das wollte ich hören.“