Falkensee - Kapitel 16
Die Sonne steht warm über Falkensee, als Elysias Auto langsam in die kleine Seitenstraße einbiegt. Die Luft flimmert leicht, mischt sich mit dem leisen Summen der Stadt. Hannah steht schon auf dem Gehweg vor dem Haus, eine Hand über die Augen gelegt, um gegen das Sonnenlicht zu blinzeln.
Kaum erkennt sie den Wagen, hebt sie freudig den Arm.
„Da bist du endlich!“ ruft sie, und in ihrer Stimme liegt so viel Wärme, dass Elysia gar nicht merkt, wie sehr sie das gebraucht hat.
Sie parkt, steigt aus – und im nächsten Moment liegen sich die beiden Frauen fest in den Armen. Eine Umarmung, die länger dauert als gewöhnlich, weil in ihr all das steckt, was Worte nicht ausdrücken können:
Erleichterung, Vertrautheit, und ein kleines Stück Heilung.
„Du hast dich verändert,“ murmelt Hannah schließlich, als sie sich leicht voneinander lösen.
„Hoffentlich zum Guten,“ sagt Elysia lächelnd.
Hannah mustert sie mit offenem Blick.
„Definitiv. Du siehst richtig gut aus. Frischer, irgendwie… lebendig. Und –“ sie schmunzelt, „du hast ein bisschen zugenommen.“
Elysia lacht leise. „Ja, meine Mutter sagt das Gleiche. Scheint, als hab ich endlich aufgehört, mich selbst zu übersehen.“
„Es steht dir,“ sagt Hannah ernst. „Wirklich.“
Dann wandert Elysias Blick automatisch zu Hannahs Bauch, der sich unter dem engen T-Shirt leicht wölbt. Nicht stark, aber sichtbar genug, um zu zeigen, dass da neues Leben wächst.
Ein sanftes Lächeln huscht über Elysias Gesicht.
„Und du,“ sagt sie leise, „hast das schönste Strahlen von uns beiden.“
Hannah legt instinktiv eine Hand auf ihren Bauch und lacht verlegen. „Ich fühl mich manchmal eher wie ein gestrandeter Wal, aber danke.“
„Unsinn,“ sagt Elysia warm. „Du siehst wundervoll aus. Es steht dir, Hannah. Dieses Glück.“
Für einen Moment sehen sie sich nur an, und in dieser Stille steckt so viel Vertrautheit, dass es fast wehtut.
Dann öffnet sich die Haustür, und Ben kommt heraus, ein breites Grinsen im Gesicht, das sofort alles ein wenig leichter macht.
„Na endlich!“ ruft er und breitet die Arme aus. „Wenn das keine willkommene Überraschung ist!“
Elysia lacht und umarmt ihn herzlich. „Danke, dass ich wieder bei euch sein darf.“
„Blödsinn,“ sagt Ben, „hier ist immer Platz für dich. Hannah hat das Gästezimmer geputzt, als würdest du mindestens drei Monate bleiben.“
„Ben!“ protestiert Hannah lachend, und er grinst nur. „Was denn? Ist doch wahr.“
Elysia lächelt, sieht sich kurz um. Das Haus wirkt genauso wie sie es in Erinnerung hat – warm, ein bisschen chaotisch. Ein Zuhause.
Nicht ihres, aber eines, das sie in den letzten Monaten immer wieder aufgefangen hat.
„Komm rein,“ sagt Hannah sanft. „Wir haben Eistee, Obstsalat – und ich hab dein Lieblingskissen auf das Bett gelegt.“
Elysia nickt, und während sie über die Schwelle tritt, spürt sie, wie etwas in ihr leichter wird. Die Fahrt, die Angst, das, was noch vor ihr liegt – all das verliert für einen Moment an Gewicht.
Hier, in dieser kleinen Oase aus Freundschaft und Vertrautheit, darf sie einfach nur sie selbst sein. Sie lächelt Hannah zu.
„Ich bin so froh, hier zu sein.“
„Ich auch,“ antwortet Hannah leise. „Mehr, als du denkst.“
Der Nachmittag liegt golden über dem Garten, die Sonne bricht durch das Laub und zeichnet tanzende Lichtpunkte auf den Tisch. Zwischen den drei Freunden duftet es nach frisch gebrühtem Kaffee und noch Apfelkuchen, den Hannah am Morgen gebacken hat.
Eine leichte Brise bewegt die Gardinen an der geöffneten Terrassentür.
Elysia sitzt mit leicht zurückgelehntem Rücken, die Hände um ihre Kaffeetasse gelegt, als würde die Wärme ihr helfen, ruhig zu bleiben.
Ben hat es sich gegenüber bequem gemacht, Hannah sitzt neben ihr, und beide sehen sie immer wieder aufmerksam an – dieses feine Gleichgewicht zwischen Fürsorge und Neugier.
„Also… du fährst morgen hin?“ fragt Hannah leise.
Elysia nickt. „Ja. Ich will’s hinter mich bringen. Je länger ich warte, desto schwieriger wird’s.“
Ben hebt die Augenbraue. „Und Valerian weiß, dass du kommst?“
„Ich hab ihm geschrieben,“ antwortet sie ruhig. „Ich hab ihn gebeten, nicht da zu sein. Ich… will einfach nur meine Sachen holen. Ohne Drama.“
„Meinst du, er hält sich dran?“ fragt Hannah vorsichtig.
Elysia zuckt mit den Schultern, blickt kurz auf die schimmernde Oberfläche ihres Kaffees. „Ich hoffe es. Früher hätte ich gesagt nein. Aber irgendwas sagt mir, dass er diesmal nicht kämpfen wird. Er hat sich gefügt – vielleicht, weil er selbst weiß, dass es vorbei ist.“
Ein Moment Stille folgt, nur das Zwitschern der Vögel füllt die Luft.
„Und wie fühlst du dich dabei?“ fragt Hannah schließlich, sanft, ohne Drängen.
Elysia atmet langsam aus. „Zwiegespalten. Es ist… seltsam. Dieses Haus war so lange mein Zuhause – und gleichzeitig mein Käfig. Ich hab dort geliebt, gelacht, gelitten. Und jetzt… fahr ich hin, um die Reste von dem Leben einzusammeln, das ich nicht mehr will.“
Ben nickt verständnisvoll. „Manchmal muss man ein altes Kapitel wirklich anfassen, um’s schließen zu können.“
„Ich weiß,“ sagt Elysia leise. „Aber ich hab Angst, dass es mich wieder einholt, sobald ich durch diese Tür gehe.“
Hannah legt ihre Hand auf Elysias. „Nicht, wenn du weißt, wer du jetzt bist. Du bist nicht mehr die Frau, die damals dort gelebt hat. Du gehst da morgen als jemand anderes hin.“
Ein Lächeln huscht über Elysias Gesicht. „Das klingt so einfach, wenn du’s sagst.“
„Ich mein’s ernst,“ sagt Hannah und drückt sanft ihre Hand. „Du hast dich verändert. Du wirkst… frei. Und stark. Ich glaub, er wird das merken.“
„Wenn er überhaupt da ist,“ murmelt Elysia.
Ben lehnt sich zurück, nippt an seinem Kaffee. „Egal, wie das läuft – du hast hier immer ein Zuhause. Und wenn du’s nicht schaffst, rufst du an, dann holen wir dich da raus, verstanden?“
Elysia lacht leise, aber in ihren Augen glitzert kurz etwas wie Rührung. „Ihr seid verrückt. Aber genau das liebe ich an euch.“
„Wir wissen’s,“ grinst Ben. „Und außerdem – Hannah lässt mich sowieso nicht ruhig schlafen, wenn sie sich Sorgen um dich macht.“
„Stimmt,“ sagt Hannah, und alle drei lachen leise, die Spannung kurz vergessen.
Ein paar Minuten lang reden sie über andere Dinge – die Bäckerei, Hannahs Schwangerschaft, Bens neue Ideen fürs Büro. Doch irgendwann wird Elysia wieder still. Sie sieht hinaus in den Garten, wo der Wind das Licht durch die Blätter trägt, und flüstert fast unhörbar:
„Morgen ist es also so weit.“
Hannah folgt ihrem Blick und nickt. „Morgen ist der letzte Schritt, Elysia.
Danach kann’s nur besser werden.“
Elysia nickt langsam, fast andächtig, und zum ersten Mal seit Tagen liegt in ihrem Lächeln kein Zögern mehr – nur noch Entschlossenheit.
Der Nachmittag ist noch warm, die Sonne hängt gold über den Dächern, als Elysia mit dem kleinen Einkaufskorb in der Hand den Supermarkt betritt. Die Luft riecht nach frisch gebackenem Brot und Obst, die Menschen bewegen sich gemächlich durch die Gänge – es ist einer dieser ruhigen, friedlichen Momente, die fast gewöhnlich wirken.
Sie geht direkt zum Bäckerstand im Eingangsbereich.
„Zwei Kräuterbaguettes und ein Weißbrot, bitte,“ sagt sie freundlich, und die Verkäuferin packt alles sorgfältig in eine braune Papiertüte.
Elysia bezahlt, bedankt sich, und für einen Moment bleibt sie einfach stehen, den Duft des warmen Brotes in der Nase. Sie atmet tief durch, lächelt kurz und dreht sich dann um – und prallt gegen jemanden.
Die Tüte wackelt gefährlich, sie stolpert einen Schritt zurück.
„Oh, Entschuldigung, ich hab...“
Sie bricht mitten im Satz ab. Vor ihr steht Kian.
Jeans, helles Hemd, die Ärmel locker hochgekrempelt, Sonnenbrille in der Hand. Er sieht aus wie immer – ruhig, auf eine unaufdringliche Art sicher. Aber als sich ihre Blicke treffen, bleibt für einen Moment alles stehen. Kein Geräusch, keine Bewegung – nur dieser flüchtige, intensive Augenblick. Seine braunen Augen weiten sich leicht, und in seinem Gesicht liegt diese ehrliche Überraschung, die nicht gespielt ist.
Er sagt erst nichts.
Und auch sie steht nur da, das Brot in der Hand, unfähig, den Blick abzuwenden.
Es ist, als würden die letzten Monate in Sekunden an ihnen vorbeiziehen.
Der Regen. Die Nacht. Die Küche mit dem warmen Licht. Und das unausgesprochene „Was wäre wenn“.
„Elysia,“ sagt er schließlich leise, fast tonlos, als hätte er ihren Namen schon unzählige Male gedacht, aber nicht zu sagen gewagt.
Sie schluckt, ein flüchtiges Lächeln huscht über ihre Lippen. „Kian…“
Ein paar Sekunden Stille – die Art, die nicht unangenehm ist, sondern voller Erinnerungen steckt.
„Ich… hab nicht gedacht, dass ich dich hier sehe,“ sagt er, seine Stimme ruhig, aber mit diesem Hauch von Unglauben.
„Ich auch nicht,“ antwortet sie. „Ich… bin nur kurz hier. Bei Hannah und Ben.“
Er nickt, und ein feines, fast unmerkliches Lächeln zieht über seine Lippen.
„Natürlich.“
Sie merkt, dass ihr Herz schneller schlägt, und sie sucht nach Worten, doch ihr Kopf scheint leer. Alles, was sie sich vorstellen konnte – was sie sagen würde, wenn sie ihm je wieder begegnet – löst sich in Luft auf.
„Du siehst… gut aus,“ sagt er schließlich, schlicht, ehrlich.
Sie senkt kurz den Blick, lächelt. „Danke. Du auch.“
Ein Moment vergeht, in dem beide nicht wissen, ob sie stehen bleiben oder gehen sollen.
„Ich… wollte nicht im Weg stehen,“ murmelt sie und macht einen kleinen Schritt zur Seite.
Kian nickt, aber seine Augen bleiben an ihr hängen.
„Elysia?“
Sie blickt zu ihm zurück.
„Es ist schön, dich zu sehen.“
Für einen winzigen Moment scheint die Welt stillzustehen –
dann nickt sie, leise, fast flüsternd:
„Dich auch.“
Und in ihren Augen liegt etwas, das weder Vergangenheit noch Zukunft ist –
sondern einfach nur jetzt.
Kian steht da, noch immer mit diesem leicht fassungslosen Ausdruck im Gesicht.
Dann fängt Kian sich, atmet flach durch und lächelt – dieses warme, ehrliche Lächeln, das in seinen Augen beginnt, bevor es seine Lippen erreicht.
„Ich… sollte wohl weiter,“ sagt er schließlich und macht eine kleine Bewegung zur Seite, als wolle er die Unsicherheit mit einem Schritt vertreiben.
Doch er kommt nicht weit.
„Kian?“
Ihre Stimme ist leise, aber sie bleibt hängen.
Er bleibt stehen. Dreht sich langsam wieder zu ihr um.
Elysia steht da, einen Schritt näher als eben, das Sonnenlicht fällt durch die große Glasfront des Supermarkts und spielt in ihren Haaren. Sie sieht ihn an, ernst, aber weich.
„Ich wollte dir danken,“ sagt sie ruhig. „Für damals. Für alles, was du getan hast. Wenn du nicht gewesen wärst, hätte ich vielleicht nie den Mut gefunden, zu gehen.“
Kian braucht einen Moment, um etwas zu sagen. Ihre Worte treffen ihn tiefer, als er zugeben möchte.
„Du musst dich nicht bedanken,“ sagt er schließlich leise. „Ich hab nur getan, was jeder getan hätte.“
„Nein,“ widerspricht sie sanft. „Nicht jeder hätte das getan. Du schon.“
Ein kleines, fast verlegenes Lächeln zuckt über seine Lippen.
„Dann… gern geschehen,“ murmelt er.
Elysia lächelt zurück, und für einen Augenblick ist es, als würde sich die Luft zwischen ihnen verändern – leichter, vertrauter.
„Wie geht’s dir?“ fragt sie schließlich, vorsichtig, als wüsste sie selbst nicht, ob sie das Recht hat, das zu wissen.
„Ganz gut,“ sagt er, und in seinem Blick liegt etwas Unausgesprochenes. „Arbeit läuft. Ich hab viel zu tun. Und dir?“
„Auch,“ antwortet sie. „Ich hab… mein Leben wiedergefunden, glaub ich.“
„Das freut mich,“ sagt er, und es klingt ehrlich. „Wirklich.“
Sie gehen gemeinsam hinaus, bleiben vor dem Supermarkt stehen, die Sonne wärmt ihre Gesichter. Es ist, als würde sich der Tag neu ordnen, als wäre er nur für diesen Moment gemacht. Sie reden weiter – über nichts und doch über alles. Über Falkensee, über Hannah und Ben, über die Arbeit, das Leben, die Zeit dazwischen.
Lachen, wenn sich ihre Worte überschneiden, und schweigen, wenn der Blick des anderen mehr sagt als die Sprache. Die Minuten werden zu einer Stunde, ohne dass sie es bemerken. Der Himmel färbt sich langsam in ein weiches Abendgold, und ein lauer Wind weht durch die Bäume am Parkplatz.
Kian sieht sie an, als sie gerade etwas erzählt – ihr Lachen, die leichte Unsicherheit in ihrer Gestik, die Ruhe, die sie jetzt ausstrahlt. Und er merkt, dass er sie vermisst hat.
Elysia spürt seinen Blick und wird leiser, ihr Lächeln bleibt, zart und ehrlich.
„Es ist seltsam,“ sagt sie schließlich, „dich wiederzusehen. Schön, aber seltsam.“
„Seltsam trifft’s ganz gut,“ sagt er, und sie lachen beide leise.
Dann schweigen sie – dieses angenehme Schweigen, das sich zwischen zwei Menschen legt, die sich verstehen, ohne es erklären zu müssen.
Elysia blickt auf ihren Korb, dann wieder zu ihm. „Ich sollte langsam zurück. Hannah wartet.“
„Klar,“ sagt Kian, nickt langsam. „Natürlich.“
Aber er bleibt stehen, während sie sich abwendet, und sie dreht sich noch einmal zu ihm um.
„Kian?“
„Ja?“
„Ich hab mich wirklich gefreut, dich wiederzusehen.“
Er lächelt – diesmal offen, warm, mit einem Hauch von etwas, das sich fast nach Hoffnung anfühlt.
„Ich mich auch, Elysia.“
Dann geht sie, die Sonne im Rücken, und Kian bleibt einen Moment länger dort stehen, die Hände in den Taschen, das Herz unruhig und leicht zugleich.
Als er sich schließlich umdreht und selbst geht, weiß er, dass etwas in Bewegung geraten ist, das längst vorbei sein sollte – aber nie wirklich aufgehört hat zu existieren.
Elysia geht ein paar Schritte vom Supermarkt weg, den Korb fest in der Hand, das Herz noch immer schneller als sonst. Sie spürt den warmen Wind auf ihrer Haut, hört das Rascheln der Bäume, das entfernte Summen der Stadt – doch in ihr klingt nur noch seine Stimme nach.
„Ich mich auch, Elysia.“
Sie bleibt stehen. Dreht sich um. Kian ist noch nicht weit gekommen. Er geht langsam den Parkplatz entlang, die Hände in den Taschen, den Blick auf den Boden gerichtet – so, als würde er mit seinen Gedanken kämpfen. Und plötzlich weiß sie, dass sie ihn nicht einfach gehen lassen will. Nicht diesmal.
„Kian!“
Er bleibt sofort stehen. Dreht sich um, überrascht, fast erschrocken – aber als er sie sieht, hellt sich sein Gesicht auf.
Elysia läuft die paar Schritte zu ihm, bleibt kurz vor ihm stehen und atmet tief durch.
„Ich… wollte dich fragen, ob du heute Abend zu Hannah und Ben kommen willst. Wir grillen – ganz spontan.“
Kian sieht sie einen Moment lang an, als müsse er sicher sein, dass sie das wirklich meint.
„Du meinst… ich soll einfach so mitkommen?“
Sie nickt, lächelt, etwas unsicher, aber herzlich.
„Ja. Ich weiß, es ist plötzlich, aber… ich würd mich freuen, wenn du kommst. Ich… glaub, die anderen auch.“
Ein kleines, warmes Lächeln breitet sich in seinem Gesicht aus.
„Und du bist sicher, dass ich eingeladen bin? Nicht, dass Hannah mich mit einer Grillzange vertreibt.“
Elysia lacht leise. „Wenn sie das versucht, beschütz ich dich. Versprochen.“
„Dann kann ich ja schlecht nein sagen,“ sagt er.
Seine Stimme klingt ruhig, aber in seinen Augen blitzt ein Funkeln auf – eine Mischung aus Erleichterung, Freude und diesem stillen Erkennen, dass sich etwas verändert hat.
Elysia nickt, das Lächeln bleibt. „Es ist um sechs. Komm einfach rüber – du weißt ja, wo sie wohnen.“
„Ich bring was mit,“ sagt Kian. „Irgendwas zum Trinken vielleicht?“
„Mach das,“ sagt sie, dreht sich halb um, dann sieht sie ihn noch einmal an.
„Ich freu mich wirklich, dass du kommst.“
Er erwidert den Blick, sein Lächeln ist leise, ehrlich.
„Ich auch, Elysia.“
Und in diesem Moment, während sie sich verabschieden und in entgegengesetzte Richtungen gehen, liegt etwas in der Luft, das sich wie ein Neubeginn anfühlt. Nicht laut, nicht dramatisch – sondern still, zart, wie das leise Anklopfen von Hoffnung nach langer Zeit.
Elysia kann ihr Lächeln kaum unterdrücken, als sie zurück zum Auto geht.
Sie weiß nicht genau, warum sie ihn eingeladen hat – nur, dass es sich richtig angefühlt hat. So selbstverständlich, so leicht.
Und Kian, der inzwischen über den Parkplatz schlendert, spürt zum ersten Mal seit langer Zeit, dass das Schicksal manchmal nur eine zufällige Begegnung braucht, um etwas wieder zu entzünden, das nie ganz erloschen ist.
Kian fährt mit offenem Fenster nach Hause. Der Wind rauscht durch die geöffneten Scheiben, trägt den Duft von Spätsommer und Sonne hinein. Auf seinem Gesicht liegt ein stilles, fast ungläubiges Lächeln. Er hatte nicht erwartet, dass dieser Tag so enden würde. Er hatte nicht erwartet, sie wiederzusehen.
Und jetzt?
Jetzt hat sie ihn eingeladen.
Zum Grillen. Zu Hannah und Ben. Als wäre keine Zeit vergangen, als hätte das Schicksal still gewartet, bis sie beide bereit sind. Er parkt vor dem Haus, steigt aus, atmet tief durch. In seinem Bauch kribbelt es – ein Gefühl zwischen Aufregung und leiser Nervosität.
So lange hatte er sich eingeredet, dass das Kapitel abgeschlossen ist, und doch… fühlt es sich heute anders an.
Richtig.
Drinnen streift er die Schuhe ab, geht durch den Flur ins Bad. Er zieht sich aus und tritt unter die Dusche. Das Wasser unter der Dusche ist kühl, angenehm nach dem heißen Tag. Er lässt es über sich laufen, den Kopf gesenkt, die Augen geschlossen. Und in Gedanken sieht er Elysia wieder vor sich – so wie vorhin.
Das Licht im Supermarkt, ihr leises Lächeln, dieses ehrliche „Ich hab mich gefreut, dich wiederzusehen.“
Er spürt, wie sich seine Mundwinkel heben, und schüttelt über sich selbst den Kopf.
Reiß dich zusammen, Sterling, murmelt er leise. Aber das Grinsen bleibt.
Er trocknet sich ab, zieht sich an – eine dunkle Jeans, ein schlichtes, helles Hemd, das leicht aufgeknöpft ist. Nicht zu viel, nicht zu wenig.
Er will nicht wirken, als hätte er sich Mühe gegeben – obwohl er das natürlich hat.
In der Küche greift er in den kleinen Weinschrank, den er selten benutzt.
Seine Finger gleiten über die Flaschenhälse, bis er sie findet – eine alte Flasche italienischer Rotwein, die er seit Jahren aufbewahrt.
„Für etwas Besonderes“, hatte er damals gedacht.
Er hält sie einen Moment in der Hand und lächelt. Vielleicht ist das jetzt dieser Moment. Er geht nach oben, um nach seinem Schlüssel aus der Jeans im Bad zu holen.
Vor dem Gästezimmer bleibt er stehen. Sein Blick fällt auf das Bett. Auf die Decke, das Kissen– aber er sieht es nicht so, wie es jetzt ist.
Er sieht es, wie es damals war. Mit Elysia darauf, in eine Decke eingehüllt, die Haare über das Kissen verteilt. Wie sie ruhig geatmet hat. Alles ist noch genauso.
Sogar das Kissen liegt noch schief , wie sie es damals hinterlassen hat. Er geht langsam näher, streicht mit der Hand über die Bettdecke – und für einen kurzen Moment ist es, als würde er sie wieder spüren. Die Stille, die sie teilten. Die Wärme, die kein Wort brauchte.
„Verrückt,“ murmelt er. „Wie viel sich ändert, wenn man’s am wenigsten erwartet.“
Dann geht er ins Schlafzimmer, nimmt den Schlüssel aus der Hosentasche am Boden, geht wieder nach unten greift nach der Flasche Wein und atmet tief durch. Ein letztes Mal sieht er sich im um, dann zieht er die Tür hinter sich zu.
Draußen färbt die Sonne den Himmel in ein weiches Goldrosa.
Und Kian, der sonst immer ruhig und kontrolliert ist, spürt etwas, das er lange nicht gefühlt hat – Vorfreude. Nicht nur auf den Abend.
Sondern auf das, was kommen könnte.
Elysia kommt mit dem Korb in der Hand zurück, die Sonne steht schon tiefer und taucht den Garten in ein sanft goldenes Licht. Der Duft von gegrilltem Gemüse und frischen Kräutern liegt in der Luft, irgendwo läuft leise Musik aus der Küche.
Hannah steht gerade am Tisch, deckt Teller und Gläser, während Ben mit einer Schürze am Grill hantiert, als Elysia durch die Terrassentür tritt.
„Na endlich!“ ruft Ben, ohne aufzusehen. „Wir dachten schon, du bist im Supermarkt verschollen!“
Hannah sieht auf, die Augen leicht zusammengekniffen – und erkennt sofort den Ausdruck auf Elysias Gesicht. Etwas liegt darin, ein Funkeln, das sie schon lange nicht mehr gesehen hat.
„Ich… hab jemanden getroffen,“ sagt Elysia schließlich, etwas zögerlich, aber mit einem leichten, unbewussten Lächeln.
„Aha,“ sagt Ben und legt die Grillzange beiseite. „Und dieser jemand ist der Grund, warum du so strahlst?“
Elysia hebt abwehrend die Hände. „Nein, ich ... Also… doch. Es war Kian.“
Für einen Moment herrscht Stille.
Dann sehen sich Hannah und Ben an – dieses typische, wortlose Grinsen, das sie nur austauschen, wenn sie beide genau dasselbe denken.
„Kian?“ wiederholt Hannah betont beiläufig.
„Ja,“ sagt Elysia, und ihre Stimme klingt plötzlich etwas weicher. „Wir sind uns zufällig begegnet… im Supermarkt. Ich war gerade beim Bäcker. Und dann stand er einfach da.“
„Einfach so?“ fragt Ben grinsend. „Das Schicksal hat also endlich mal seine Mittagspause beendet?“
Elysia verdreht die Augen, aber sie kann das Lächeln nicht verbergen. „Du bist unmöglich.“
„Ich weiß,“ sagt Ben trocken, „und genau deswegen magst du mich.“
Hannah lacht leise, tritt näher und legt den Arm um Elysia. „Und? Hast du mit ihm gesprochen?“
„Ja,“ sagt Elysia. „Eigentlich… länger, als geplant. Und dann… hab ich ihn eingeladen. Zum Grillen. Heute Abend.“
Beide, Hannah und Ben, sehen sie gleichzeitig an – und diesmal ist in ihrem Blick kein Spott, kein Erstaunen, sondern leise Freude.
„Das hast du gut gemacht,“ sagt Hannah mit einem warmen Lächeln. „Er hat sich bestimmt gefreut.“
Elysia nickt leicht, und ein leiser Schimmer huscht über ihr Gesicht. „Ich glaub, ja.“
Ben grinst. „Dann sollte ich wohl die guten Steaks aus dem Kühlschrank holen. Und Hannah, du versteckst den Kuchen – wir wollen ja, dass er wiederkommt.“
Hannah stößt ihn lachend mit der Hüfte an. „Lass sie in Ruhe, Ben. Ich finde, das klingt… schön. Ganz ehrlich.“
Elysia lacht mit, hilft beim Tischdecken, und während sie Messer und Gläser ordnet, spürt sie, wie sich etwas in ihr beruhigt – und gleichzeitig aufregend bewegt. Es fühlt sich an wie der Anfang von etwas, das sie nicht geplant hat, aber das sich seltsam richtig anfühlt.
„Ich geh schnell duschen,“ sagt sie schließlich.
„Natürlich,“ sagt sie mit einem kleinen, vielsagenden Lächeln. „Ich leg dir ein Handtuch hin.“
Elysia verschwindet ins Bad, lässt das warme Wasser über sich laufen, schließt für einen Moment die Augen. Das Herz klopft schneller, ohne Grund – oder vielleicht gerade wegen eines. Als sie sich abtrocknet, steht sie kurz vorm Spiegel. Dann föhnt ihre Haare, lässt sie locker über die Schultern fallen.
Ein dezenter Lidstrich, etwas Wimperntusche, ein Hauch Farbe auf den Lippen.
Dann zieht sie ein schlichtes Sommerkleid an – hell, weich, unaufdringlich – und bemerkt, wie ihr Spiegelbild anders aussieht.
Lebendiger. Leichter.
Sie lächelt sich kurz zu. Nicht, weil sie Kian beeindrucken will – sondern weil sie sich zum ersten Mal seit Langem wieder auf jemanden freut. Und während draußen die Sonne langsam hinter den Bäumen verschwindet, beginnt in Elysias Brust ein leises, warmes Pochen, das sie schon fast vergessen hatte.