Falkensee - Kapitel 36



Die Küche in Hannahs und Bens Haus riecht nach Kaffee und warmem Toast. Normalerweise ist das ihr gemütlicher Start in den Tag. Aber heute liegt etwas Scharfes in der Luft.

 

Hannah stellt eine Tasse vor Ben ab – etwas zu fest. Der Kaffee schwappt über den Rand. Sie sagt nichts, doch ihr Blick spricht Bände: enttäuscht, verletzt, ängstlich.

 

Ben seufzt leise. Er weiß genau, was kommt.

 

Hannah setzt sich ihm gegenüber, legt eine Hand auf ihren Babybauch - eine beruhigende Geste, die diesmal weniger für das Kind als für sie selbst gedacht ist. Dann sieht sie ihn an.

 

„Ich bin sauer auf dich.“

 

Kein Vorwurfston. Es ist schlimmer.

 

Ben lehnt sich zurück und streicht sich über den noch leicht geschwollenen Kiefer. „Ich weiß.“

 

„Dann sag mir,“ beginnt Hannah mit zitternder Stimme, „warum du Valerian nicht angezeigt hast. Warum du es schon wieder laufen lässt. Warum er schon wieder einfach machen darf, was er will.“

 

Ben weicht ihrem Blick kurz aus. Hannah lässt das nicht zu. „Ben. Sieh mich an.“

 

Er hebt den Kopf. Ihre blauen Augen funkeln vor Sorge und Frust.

 

„Dieser Mann“, sagt Hannah leise, aber mit einer Schärfe, die Ben selten bei ihr hört, „wird erst aufhören, wenn jemand ihn stoppt. Und eigentlich hätte das schon längst passieren müssen.“

 

Ben atmet schwer durch. „Ich wollte nicht…“, er stockt, „…ich wollte nicht noch mehr eskalieren. Ich dachte, die Polizei reicht, um ihm klarzumachen, dass er zu weit gegangen ist.“

 

Hannah schnaubt. „Valerian? Einsichtigkeit? Ben, bitte! Der Mann lebt in seiner eigenen Welt. Der glaubt, dass alle ihm etwas schulden. Und Elysia erst recht.“

 

Ben reibt sich die Stirn. „Ich hab in dem Moment einfach nur gedacht, dass ich aus dem Haus rausmuss. Ehe es schlimmer wird. Ich war voller Adrenalin. Und… vielleicht auch etwas Angst.“

 

Hannahs Gesicht wird weicher. „Ben… ich weiß, dass du mutig warst. Aber Mut heißt nicht, alles allein schultern zu müssen.“

 

Er sieht sie an. Die Worte treffen. Gut, aber auch schmerzhaft.

 

„Wenn du ihn angezeigt hättest“, sagt Hannah ruhiger, „dann gäbe es endlich Akten gegen ihn. Beweise. Druck. Etwas, das Elysia und Kian schützen könnte.“

 

Sie legt ihre Hand auf seine. „Ich hab Angst, Ben.“

 

Er senkt den Blick. „Ich auch.“

 

Sie atmet tief durch. „Und genau deshalb darf Valerian nicht ungestraft davonkommen. Nicht wieder.“

 

Eine lange Pause.

 

Ben nickt schließlich langsam. „Du hast recht.“

 

Hannah presst die Lippen zusammen, Tränen in den Augen. „Bitte… lass uns nicht darauf warten, dass er noch weitergeht.“ Ihre Stimme bricht. „Ich will nicht, dass du verletzt wirst. Oder Kian. Oder Elysia.“

 

Ben greift ihre Hand fester. „Ich werde darüber nachdenken. Versprochen.“

 

„Nein, Ben.“ Sie sieht ihm tief in die Augen. „Denk nicht nur darüber nach. Tu etwas.

„Mach es jetzt“, sagt sie leise. „Bevor du es wieder aufschiebst.“

 

Ben hebt den Blick. Ihre Augen sind fest, warm – und voller Sorge. Er nickt.

Dann steht er auf, greift sein Handy vom Tisch und geht ein paar Schritte weg, als würde er Luft zum Atmen brauchen. Er drückt auf Kians Namen. Das Freizeichen klingt nur zweimal, bevor Kian rangeht.

 

„Hey Ben. Alles okay?“

 

Ben schließt kurz die Augen. Man hört die Müdigkeit in seiner Stimme. „Kian… ich wollte dir etwas sagen. Etwas Wichtiges.“

 

„Sag an.“

 

Eine Pause.

 

Dann: „Ich werde Valerian anzeigen.“

 

Stille am anderen Ende. Kian braucht einen Moment, um sicherzugehen, dass er sich nicht verhört hat.

 

„Du… meinst das ernst?“

 

Ben nickt, obwohl Kian es nicht sehen kann. „Ja. Sehr. Hannah hat mir den Kopf gewaschen. Und sie hat recht. Je länger wir warten, desto gefährlicher wird der Typ.“

 

Kian atmet hörbar aus, ein Gemisch aus tiefer Erleichterung und schwelender Wut. „Ben… das ist die beste Entscheidung, die du treffen konntest.“

 

„Ich hätte es gestern schon tun sollen“, sagt Ben leise. „Es tut mir leid, dass ich gezögert habe. Ich war überfordert, und ich wollte nicht noch mehr Ärger… aber jetzt sehe ich klarer.“

 

Kian schüttelt am anderen Ende des Telefons bestimmt den Kopf. „Du hast getan, was du konntest. Gestern war heftig, und du standest da allein gegen einen Irren. Du brauchst dich für nichts entschuldigen.“

 

Ben schluckt. „Ich will nicht, dass er damit durchkommt. Und ich will nicht, dass er dir oder Elysia was tut. Das wird jetzt aktenkundig. Und ich hoffe… ich hoffe wirklich, dass es etwas bewegt.“

 

Kians Stimme wird warm, dankbar: „Danke, Mann. Wirklich. Das bedeutet uns viel. Mehr, als du glaubst.“

 

Ben lächelt schwach. „Dann war’s das wert.“

 

Kian lehnt sich zurück, die Spannung in seiner Brust löst sich etwas. „Was brauchst du von mir?“

 

„Vielleicht eine schriftliche Aussage später. Falls es dazu kommt.“

 

„Natürlich. Jederzeit.“

 

Ben atmet tief durch, als würde er danach zum ersten Mal seit gestern Abend wieder frei Luft bekommen. „Gut… Dann ruf ich nachher bei der Wache an und mach einen Termin.“

 

„Mach das. Und sag Hannah, ich bin ihr was schuldig.“

 

Ben schmunzelt. „Das sag ich ihr.“

 

Ein kurzer Moment Stille. Ein angenehmer, bedeutungsvoller.

 

Dann beendet Ben das Gespräch.


Kian legt das Handy langsam auf den Küchentisch zurück. Er atmet einmal tief durch, um die eigenen Gedanken zu sortieren, die Wut und die Erleichterung in Balance zu halten.

 

Dann dreht er sich um. Elysia steht an der Arbeitsplatte, eine Tasse Kaffee in den Händen. Sie hat ihn angesehen, seit er aufgelegt hat – vorsichtig, suchend.

 

„Ist… irgendwas passiert?“, fragt sie leise.

 

Kian geht zu ihr, nimmt ihr die Tasse aus der Hand und stellt sie beiseite. Dann nimmt er ihre Hände in seine.

 

„Ben hat angerufen“, beginnt er ruhig. „Er hat mir gesagt… dass er Valerian anzeigen wird.“

 

Elysias Augen weiten sich leicht. Sie blinzelt. Einmal. Zweimal.

 

„Ben… zeigt ihn an?“

 

„Ja.“ Kian drückt ihre Hände etwas fester. „Er hat verstanden, dass das so nicht weitergehen kann. Er will damit ein Zeichen setzen – und uns schützen.“

 

Eine lange Pause folgt. Elysias Blick senkt sich langsam auf ihre verschränkten Hände. Kian sieht, wie sich Gefühle in ihrem Gesicht spiegeln: Erleichterung. Traurigkeit. Angst. Hoffnung. Alles gleichzeitig.

 

Sie atmet tief ein. „Ich weiß, dass das richtig ist…“, flüstert sie. „Wirklich. Aber… es macht mir trotzdem Angst.“

 

Kian zieht sie näher zu sich, legt seine Hände an ihre Wangen. „Was genau macht dir Angst?“

 

Ihre Lider flattern, als sie die Augen schließt. „Valerian“, sagt sie leise. „Er wird das als persönlichen Angriff sehen. Und er reagiert auf Angriffe… nicht gut.“

 

Kian nickt. Versteht. Spürt mit ihr. „Ich weiß. Aber gerade deshalb ist die Anzeige so wichtig. Damit er nicht länger machen kann, was er will. Damit das offiziell festgehalten wird, bevor etwas Schlimmeres passiert.“

 

Elysia schmiegt ihre Stirn an seine Brust. „Ich will niemandem schaden. Auch ihm nicht. Ich wollte einfach nur… frei sein.“

 

Kian schließt die Augen und hält sie fest. „Und genau das wird passieren. Schritt für Schritt. Aber du kannst nicht frei sein, solange er noch glaubt, er hätte irgendeine Macht über dich.“

 

Sie hebt den Kopf, Tränen spiegeln sich am Rand ihrer Augen. „Findest du mich schwach? Weil ich solche Angst habe?“

 

Kian schaut sie an, zärtlich, ernst. „Nein. Ich finde dich unglaublich mutig.“ Er streicht mit dem Daumen ihre Wange entlang. „Du hast fünf Jahre lang mit diesem Mann gelebt. Fünf Jahre lang seine Kontrolle ausgehalten. Und trotzdem stehst du heute hier. Du hast ihn verlassen. Du kämpfst für dein Leben. Für ein neues Leben.“

 

Elysias Lippen beginnen zu zittern. „Ich versuche es…“

 

„Und es gelingt dir.“ Kian legt die Stirn an ihre. „Und ich bin bei jedem Schritt dabei. Du machst das nicht allein.“

 

Eine Träne löst sich und rollt über ihr Gesicht. „Danke…“, flüstert sie. „Danke, dass du da bist.“

 

Kian küsst sie sanft. Zuerst ihre Stirn. Dann ihre Lippen. Zärtlich, aber fest.

 

„Immer.“

 

Sie sinkt in seine Arme, atmet tief durch – und zum ersten Mal seit Tagen spürt sie wieder so etwas wie Hoffnung. Eine leise, vorsichtige Hoffnung.

 

Nachdem Elysia sich wieder etwas beruhigt hat, sitzen sie gemeinsam auf der Couch. Es geht jetzt um etwas anderes. Etwas Größeres.

 

Kian legt einen Arm um sie, Elysias Kopf ruht an seiner Schulter, doch man spürt: Ihre Gedanken sind überall.

 

Sie schweigen eine Weile. Dann ist es Elysia, die zuerst spricht.

 

„Kian… ich weiß nicht mehr, ob ich hier bleiben kann.“ Ihre Stimme ist leise, fast brüchig. „Brunnental ist so klein… hier kennt jeder jeden. Und Valerian war hier überall vernetzt, selbst wenn er nie hergekommen ist. Leute reden. Leute beobachten. Und manche… brauchen nur Geld, um zu tun, was man ihnen sagt.“

 

Kian verkrampft den Kiefer, sein Arm um sie wird etwas fester. „Ich weiß“, sagt er. „Und du hast recht, Elysia.“

 

Sie hebt den Kopf ein wenig. „Ich fühle mich nicht mehr sicher. Nicht in meiner Wohnung. Nicht auf dem Weg zur Arbeit. Nicht einmal hier, in meinem Zuhause.“

 

Er streicht ihr beruhigend durch die Haare. „Und du musst dich auch nicht sicher fühlen. Du darfst Angst haben. Ich habe sie auch.“

 

Sie sieht ihn überrascht an.

 

„Ja, Elysia. Ich habe Angst. Um dich.“ Er holt tief Luft. „Und um uns. Denn ich weiß, wozu dieser Mann fähig ist.“

 

Eine Weile sitzen sie still nebeneinander, während in der Stille alles gesagt wird, was sie nicht laut aussprechen können.

 

Dann sagt Kian langsam, behutsam: „Elysia… ich weiß, das klingt radikal. Vielleicht sogar verrückt. Aber…“ Er dreht sich zu ihr. „Was wäre, wenn wir… gehen?“

 

Elysia blinzelt. Ihr Atem stockt kurz. „Gehen?“

 

„Ja.“ Seine Stimme bleibt ruhig. „Brunnental hinter uns lassen. Falkensee hinter uns lassen. Eine neue Stadt… eine große. Wo wir aufgehen können, ohne aufzufallen. Ein Ort, an dem Valerian keine Kontakte hat. Ein Ort, an dem er nicht sofort weiß, wo du steckst.“

 

Sie sieht ihn an, als hätte er ihr etwas Unfassbares gesagt. „Du meinst… untertauchen.“

 

„Vielleicht ja.“ Er nickt. „Vielleicht muss das genau das sein, was wir tun. Für eine Zeit. Oder länger. Damit du frei bist. Damit wir… frei sind.“

 

Elysia schweigt lange. Sehr lange. Ihre Finger spielen mit seiner Hand, als müsste sie Halt in etwas Greifbarem finden.

 

„Kian… das wäre ein riesiger Schritt.“

 

„Ich weiß. Und ich würde ihn nur gehen, wenn du ihn auch willst.“

 

Ihr Blick wandert durch den Raum. Ihre Wohnung. Ihr Ort. Ihr Leben.

Dann schließt sie die Augen.

 

„Aber vielleicht… ist es genau das, was ich brauche.“ Ein Zittern in ihrer Stimme. „Ich wollte immer irgendwo sein, wo mein Leben nicht von Angst bestimmt ist. Vielleicht…“ Sie holt tief Luft. „…beginnt ein neues Leben wirklich erst, wenn man das alte hinter sich lässt.“

 

Kian legt ihre Hand an seine Brust, über sein Herz. „Und wir machen das zusammen. Schritt für Schritt. Nicht überstürzt. Aber wir fangen an, darüber nachzudenken. Jetzt.“

 

Elysia nickt – langsam, aber bewusst. „Ja. Lass uns darüber nachdenken.“

 

Sie lehnt sich an ihn, und dieses Mal ist es eine andere Art von Stille: Keine Angst. Sondern ein Plan. Eine Zukunft. Ein „Wir gegen die Welt“. Und eine Hoffnung, die sich zum ersten Mal größer anfühlt als die Furcht.


Die Villa ist still. Zu still.

 

Valerian wandert rastlos durch den Flur, sein Atem ist unregelmäßig, die Gedanken rasen. Alles fühlt sich an wie ein weiterer Schlag ins Gesicht: Ben. Die Anzeige. Dass Elysia ihn „ersetzt“ hat. Dass Frau Schubert ihn verlassen hat. Und Kian – dieser Fremde, der sich immer wieder in seine Gedanken frisst.

 

Ein schlanker, gefährlich ruhiger Gedanke setzt sich in ihm fest: „Wenn er nicht da wäre… wäre alles anders.“

 

Er bleibt stehen. Mitten im Flur. Sein Blick gleitet nach oben. Zur Treppe. Zu seinem Schlafzimmer. Etwas kippt in ihm. Der Plan entsteht. Ein Plan, der keine Worte braucht. Kein Kessler. Keine Zeugen. Etwas, das er selbst tun muss.

 

Er atmet tief ein, fast zittrig. Dann geht er langsam die Treppe hinauf. Jeder Schritt wirkt schwerer, aber entschlossener. Der Mann, der einst Kontrolle über ganze Geschäftsbereiche hatte, wirkt plötzlich wie ein Schatten seiner selbst – doch in seinem Inneren lodert eine neue, eiskalte Entschlossenheit.

 

Vor seinem Schlafzimmer bleibt er kurz stehen. Er wartet – als prüfe er, ob sein Herz ihn aufhalten will.

 

Es tut es nicht.

 

Er öffnet die Tür. Betritt den großen, dunklen Raum. Nichts an diesem Ort wirkt noch wie ein Zuhause. Nur wie ein Mausoleum für eine Ehe, die längst tot ist.

 

Er geht zum großen Kleiderschrank. Nicht wegen Kleidung. Sondern wegen dem, was dahinter liegt. Er drückt ein verdecktes Panel, das sich bereitwillig öffnet. Dahinter: ein eingelassener Tresor, groß genug, um die Dinge zu verbergen, die niemand sehen sollte.

 

Valerian zögert nicht. Er tippt den Code ein. Ein leises Klicken.

Der Tresor öffnet sich. Innen liegt es. Sauber verstaut. Kalt. Metallisch. Ein Relikt früherer Zeiten, als Valerian glaubte, Kontrolle bedeute Macht – und Macht bedeute Sicherheit.

 

Er greift danach. Nicht hastig. Langsam. Wie jemand, der längst entschieden hat, welchen Weg er gehen wird.

 

Er hält die Waffe in der Hand, dreht sie leicht, als müsse er ein altes, dunkles Versprechen berühren. Sein Atem geht flach.

 

„Es endet heute nicht“, flüstert er mit kratziger Stimme. „Es endet nur für ihn.“

 

Sein Blick ist leer. Gleichzeitig brennend. Nicht laut. Nicht impulsiv wie früher. Etwas viel Gefährlicheres: eine stille, fanatische Überzeugung.

 

Er schließt den Tresor wieder. Versteckt die Waffe unter seiner Jacke. Dreht sich Richtung Tür.

 

Die Entscheidung ist gefallen. Und diesmal hat er nicht vor, jemanden vorzuschicken.

 

Er schließt den Tresor wieder. Versteckt die Waffe unter seiner Jacke. Dreht sich Richtung Tür.

 

Die Entscheidung ist gefallen. Und diesmal hat er nicht vor, jemanden vorzuschicken.

 

Valerian schließt den Tresor mit einem festen, endgültigen Klicken. Der Klang hallt in seinem Kopf nach wie das Schlagen eines Hammers. Es ist entschieden.

Er dreht sich vom offenen Schrank weg, sein Blick ist hart, ein Tunnel, der nur ein Ziel kennt: Brunnental.

 

Er verlässt das Schlafzimmer schnellen Schrittes. Dann werden die Schritte schneller, unkontrollierter. Als würde jede Sekunde, die er noch hier verbringt, sein Vorhaben gefährden.

 

Er stürmt den Flur entlang und reißt die Tür auf. Als er die Treppe erreicht, rennt er sie beinahe hinunter. Seine Hand gleitet über das Geländer, nicht als Stütze, sondern als Beschleunigung. Sein Atem geht schärfer. Nicht aus Anstrengung – sondern aus aufkochender Wut und dem krankhaften Gefühl von Unrecht. Sein Unrecht.

 

Unten angekommen bleibt er keine Sekunde stehen. Er geht direkt zur Garderobe. Greift seinen Mantel. Schüttelt ihn auf. Zieht ihn an, als hätte er Angst, die Entschlossenheit könnte ihm sonst aus dem Körper fließen.

 

Valerian sieht nicht in den Spiegel neben der Tür. Er weiß, was er dort sehen würde: Nicht den kontrollierten Geschäftsmann. Nicht den eleganten Ehemann, als der er sich gern sah. Sondern einen Mann, der alles verloren hat – und keinen anderen Weg mehr sieht, als das Verlorene mit Gewalt zu erzwingen.

 

Seine Gedanken rasen. Brunnental. Diese kleine, ruhige Stadt, in der Elysia sich versteckt hält. Wo sie geglaubt hat, frei zu sein. Wo dieser Fremde – dieser Kian – an ihrer Seite aufgetaucht ist und alles zerstört hat.

 

Seine Hand ballt sich zur Faust. „Sie gehört zu mir“, zischt er, kaum hörbar. „Sie war immer meine.“

 

Er greift nach seinen Autoschlüsseln. In einer schnellen Bewegung steckt er sie ein, öffnet die Haustür und tritt in die Kälte hinaus. Der Wind schlägt ihm ins Gesicht, doch er spürt ihn kaum. Er spürt nur die Flamme in seiner Brust, heiß und verzweifelt.

 

Sein Auto steht vor der Villa. Bereit. Wie immer. Valerian geht darauf zu. Mit jedem Schritt wächst eine verheerende Entschlossenheit. Er will eine Rückkehr. Er will seine Welt zurück. Er will Elysia zurück. Nicht als Bitte. Nicht als Hoffnung. Sondern als Anspruch.

 

Und Kian Sterling steht diesem Anspruch im Weg.

 

Nicht mehr lange.

 

Mit diesem Gedanken öffnet Valerian die Autotür. Und setzt den ersten Schritt in Richtung Brunnental.