Lyra & Fenris - Moonbound Kapitel 2
Die Geheimnisse der Stadt
Lyra und Fenris erkunden Rosevil und stoßen auf erste Zeichen einer dunklen Mythologie, die die Stadt durchzieht. In einem Antiquitätenladen finden sie das Bett des Grafen - ein Artefakt voller Wollust, Verfall und unausgesprochener Pakte. Noch bevor sie die Tragweite ihrer Entscheidung begreifen, steht das Bett bereits in ihrem Haus. Während Lyra im Rausch der Hingabe Ruhe findet, bleibt Fenris wach - denn das Bett beginnt zu flüstern. Die Vergangenheit fordert ihren Tribut, und Rosevil macht klar: Jeder Aufenthalt hat seinen Preis.
Sie kommen nicht weit mit dem Käfer. Die Straßen von Rosevil, konzipiert für Kutschen und die flüsternden Schritte der Toten, werden schnell enger und unbefahrbar. Das grobe Kopfsteinpflaster verschluckt die moderne Mobilität. Fenris stellt den Käfer mit einem frustrierten Ruck am Straßenrand ab, wo seine mattschwarze Lackierung sofort mit den dunklen Schatten der Fassaden verschmilzt.
„Dann eben ein Spaziergang“, murrt Fenris, die geringfügige Störung seiner Pläne reizt ihn. Doch der Ärger verfliegt schnell, als die fremde, aufregende Atmosphäre der Stadt ihn umfängt.
Sie folgen der Straße in Richtung Hafenbezirk, Schulter an Schulter. Die Architektur ist genau das, was sie gesucht haben: Hohe, schmale Häuser mit finsteren Giebeln und geschnitzten Holzmasken über den Türen, deren Augenpaare die Neuankömmlinge stumm und unbewegt mustern. Das gotische Erbe ist nicht nur Fassade; es fühlt sich lebendig an, atmet die Kälte und die Last unzähliger Generationen. Die Stadt ist ein einziges, gewaltiges Grabmal.
An einer Ecke, wo eine zerbrochene Wasserleitung unaufhörlich in den moosbewachsenen Abfluss läuft, entdecken Lyra und Fenris das erste Geheimnis. Auf einem blanken, polierten Stein, halb verborgen unter einer dicken Schicht Efeu, bleibt Fenris abrupt stehen. Er bückt sich, seine Konzentration ist sofort eisern. Mit dem Finger kratzt er das feuchte Moos und den Schmutz ab.
Darunter kommt ein Symbol zum Vorschein: ein stilisierter, zerrissener Kreis, der von drei feinen Linien durchschnitten wird. Das Zeichen ist nicht gemeißelt, sondern in den Stein geritzt, als hätte es jemand im tiefsten Geheimnis dort hinterlassen.
„Was ist das?“, fragt Lyra, die Kälte des Tages ist vergessen. Die Faszination brennt in ihren Augen; dies ist die Bestätigung, dass Rosevil mehr ist als nur eine verlassene Kulisse.
Fenris mustert das Zeichen lange. „Kein christliches Emblem“, urteilt er. „Zu unsauber, zu wild. Das ist älter. Ein Siegel.“ Er zieht eine kleine Skizzenblock und einen Stift aus seinem Mantel und zeichnet das Symbol mit seinen ruhigen, präzisen Künstlerhänden detailgetreu ab. Die Zeichnung ist makellos, die Essenz des Symbols sofort erfasst.
Sie beugen sich beide über den kleinen Block und betrachten die saubere, dunkle Linie. Das Zeichen scheint im Tageslicht zu pulsieren, ein unheilvoller Hauch von verborgener Magie sickert in ihre gemeinsame Realität.
„Ein erster Schatz“, haucht Lyra. „Rosevil führt uns.“
„Es bedeutet, dass hier jemand verschwunden ist“, beginnt Fenris erneut, seine Stimme wird tiefer, die Melancholie klingt an, wie der ferne Ton einer zerbrochenen Glocke. Er steckt den Skizzenblock sorgfältig in seine Manteltasche, als hätte er ein Stück Beweismittel verstaut. „Das ist das Zeichen der Gejagten. Ein Pakt, der mit Blut versiegelt wurde, damit der Schatten nicht die ganze Seele frisst. Jemand hat hier bis zur letzten Sekunde gekämpft.“
Lyra hört ihm zu. Ihr Mund formt sich zu einem leichten Lächeln, das Fenris in diesem Moment nicht sehen kann. Sie weiß, dass er die Geschichte in diesem Augenblick erfindet - er spinnt das düstere Garn aus seiner eigenen, ungezähmten Fantasie, indem er die unsaubere Welt der Fakten mit der überwältigenden Schönheit der Fiktion überzieht. Es ist sein Weg, die Welt zu verstehen und sie durch das Erzählen von Geschichten zu beherrschen.
„Und was passiert mit der Seele, die nicht ganz gefressen wird?“, fragt sie, ihre Stimme ist verführerisch leise, sie spielt das Spiel mit der Hingabe einer Priesterin.
„Sie wandert“, antwortet Fenris, ohne Lyra anzusehen. Sein Blick scannt die hohen, gotischen Fassaden, als würde er die Antwort in den Schatten der Gesimse suchen. „Sie wartet in den Schatten, bis ein neuer Pakt geschlossen wird.“
Sie gehen weiter. Das erfundene, aber sofort real geglaubte Geheimnis liegt nun wie ein unsichtbarer, faszinierender Mantel um sie. Es ist das erste, gemeinsame Fundament ihrer Existenz in Rosevil, ein Versprechen, dass diese Stadt ihre dunkle Mythologie nähren wird. Die Jagd nach Kaffee und einem Bett ist nun auch die Jagd nach dem unvollendeten Pakt.
Sie kommen dem Hafenbezirk näher - die Luft wird salzig und feucht, vermischt mit dem fauligen Geruch des Hafenbeckens. Die Umgebung wirkt rauer, die Gebäude stehen dichter und die dunklen Ziegel werden von Salz und Feuchtigkeit angefressen. Es ist eine Welt aus altem Holz und rostendem Metall, die ihre eigene Art von Schönheit besitzt.
Zwischen alten, geschlossenen Lagerhallen und einem Stapel verrottender Netze entdecken sie den Laden, den Fenris auf den Satellitenbildern ausgemacht hatte: Die Ewige Sammlung. Die Fenster sind staubig und so vollgestellt mit dunklen, undefinierbaren Objekten - von geschnitzten Vögeln bis zu verrosteten astronomischen Instrumenten -, dass man das Innere kaum erahnen kann.
Fenris öffnet die schwere, quietschende Holztür. Sie treten ein. Ein dumpfer, süßlicher Geruch von altem Holz, Wachs und verwelkten Kräutern schlägt ihnen entgegen, ein Aroma, das von der Zeit selbst destilliert wurde. Der Raum ist ein Labyrinth aus Schatten, überladen mit den Skeletten von Möbeln, zerbrochenen Spiegeln und unzähligen Viktoriabüsten, deren starre Gipsaugen die Neuankömmlinge aus jeder dunklen Ecke stumm verfolgen. Jeder Gegenstand hier hat eine Geschichte, wahrscheinlich eine blutige. Mitten in diesem Chaos herrscht eine tiefere Stille als draußen in Rosevil.
Eine kleine, hagere Frau mit Augen, die wie poliertes Obsidian glänzen, taucht fast lautlos hinter einem Stapel von verblichenen Samtkissen auf. Sie trägt Kleidung, die selbst ein Antiquitätenstück sein könnte: eine schwarze Seidenbluse, die so dicht gewebt ist, dass sie das Licht zu absorbieren scheint, und eine schwere, dunkle Brosche, die ein nicht identifizierbares Wappen trägt.
Ihre Augen fixieren Lyra und Fenris mit einer Intensität, die weit über bloße Neugier hinausgeht. Sie lächelt nicht. Sie scheint nicht einmal überrascht. Sie scheint nur darauf gewartet zu haben.
„Ich wusste, dass Sie kommen“, sagt die Frau, ihre Stimme kratzt wie trockenes Leder, ein Geräusch, das perfekt in die Sammlung von Vergangenem passt. „Sie suchen etwas Bestimmtes. Etwas, das zu Ihrer Dunkelheit passt.“ Ihre Augen, wie poliertes Obsidian, mustern sie, als würde sie die Konturen ihrer Seelen lesen.
Fenris antwortet ruhig, seine Beherrschung ist sein Schild. „Wir suchen ein Bett. Ein Bett, das nicht provisorisch ist. Etwas Schweres.“
Die Frau lächelt - ein Ausdruck, der ihre Züge mehr verzieht als erhellt. Es ist ein kaltes, wissendes Grinsen. „Ah. Das Bett des Grafen. Es wartet in der Kammer hinten. Es wird Ihnen gefallen. Es hat eine Geschichte.“
Sie führt sie durch ein Gewirr aus Schränken und dunklen Gängen. Der Boden knarrt unter Lyras Stiefeln, aber die alte Frau bewegt sich lautlos wie ein Geist. Lyra berührt im Vorbeigehen einen zerbrochenen Holzkäfig. Sie spürt eine Kälte, die nicht von der Raumtemperatur stammt, sondern von einer festsitzenden Erinnerung. Sie ist sich sicher: Rosevil wird ihnen mehr geben, als sie gesucht haben - es wird ihnen Bestimmung geben.
Die Verkäuferin, deren Name Lyra und Fenris nicht kennen und auch nicht zu fragen wagen, führt sie in eine kleine, fast fensterlose Kammer im hintersten Teil des Ladens. Die Luft ist hier noch dicker, und es riecht intensiv nach Moschus und vergangener Wollust, ein schweres, erotisches Parfüm des Verfalls.
In der Mitte des Raumes steht es: das Bett des Grafen. Es ist ein monströses, hoch aufragendes Himmelbett aus schwarzem Eichenholz, dessen Pfosten geschnitzt sind wie verdrehte, knöcherne Arme, die zum Himmel greifen. Die Schnitzereien an der Kopflehne zeigen keine Engel, sondern leidende Gesichter, die in den Holzfasern gefangen und erstarrt scheinen, ihre stummen Qualen für die Ewigkeit konserviert. Der massive Baldachin wirft tiefe, undurchdringliche Schatten, selbst im spärlichen Licht, das durch die Ritzen dringt.
Fenris tritt näher. Er streicht über das Holz, seine Hände verfolgen die kalten, harten Linien der Schnitzerei. Er spürt die Dichte des Holzes, fast eine metallische Kälte, die die Wärme der menschlichen Körper, die es einst getragen hat, abgewiesen hat.
„Ich möchte die Geschichte hören“, fordert Fenris, seine Stimme ist tief und resonierend in der kleinen Kammer. Er fordert nicht nur eine Erklärung, sondern die Blutsgeschichte dieses Artefakts.
Die alte Frau lehnt sich gegen einen Stapel staubiger Bücher, ihre Obsidianaugen fixieren Fenris. Ihr Lächeln verblasst ganz, weicht einem ernsten, alten Ausdruck.
„Der Graf hatte es einst“, beginnt die Verkäuferin, ihre Stimme kratzt und knistert wie altes, trockenes Pergament. „Graf Lorcan von Valerius. Ein Mann, der nur die Nacht und die schwarze Romantik liebte. Dieses Bett war nicht für den Schlaf. Es war für das Warten.“
Lyra spürt, wie sich eine Gänsehaut über ihre Arme legt. Die Kälte des Raumes ist nun mit einer fiebrigen Erregung vermischt. Sie tritt dicht an Fenris heran, ihre Schulter berührt seinen Arm; die Geschichte zieht sie in ihren Bann wie ein dunkler Strudel.
„Graf Lorcan hat viele Frauen in dieses Bett gebracht“, fährt die Frau fort, ihre Obsidianaugen fixieren Lyra, als würde sie die Worte in ihre Seele einbrennen. „Doch keine konnte ihm die Art von Hingabe schenken, die er forderte. Er glaubte, dass wahre Liebe nur vollendet wird, wenn der Geist zerbricht. Er suchte eine Frau, die freiwillig ihr Wesen im Tausch gegen seine Leidenschaft gibt.“
Fenris’ Blick ist nun nicht mehr nur auf das Bett gerichtet; er sieht in die dunkle Essenz des Holzes, in die gefangene Leidenschaft. „Und fand er sie?“, fordert er zu wissen.
„Er fand sie. Eine junge Frau, die gläubig war, aber von seiner Dunkelheit besessen war. Er nahm sie in diesem Bett, bis ihr Verstand riss und sie ihm alles gab, was sie war. Aber er verlor dabei etwas.“
Die Verkäuferin neigt den Kopf. Die Falten in ihrem Gesicht vertiefen sich. „Der Graf fiel in einen tiefen, ununterbrochenen Schlaf. Er liegt noch heute irgendwo unter Rosevil, in einer Krypta. Und man sagt, dass jede Frau, die in diesem Bett schläft, entweder die Wollust des Grafen erbt - oder dass sie denkt, sie hört ihn atmen, wenn der Mond voll ist.“
Lyra schaut zu Fenris auf. Die unheilvolle Warnung in der Geschichte ist für sie beide keine Abschreckung, sondern ein aufregendes, tiefes Versprechen. Sie spüren, dass dieses Bett sie entweder zerstören oder in ihrer gemeinsamen, makabren Bestimmung vollenden wird. Es ist der perfekte Anker für ihr neues Leben.
„Wir nehmen es“, entscheidet Fenris, ohne Lyra auch nur eines Blickes zu würdigen. Die Dominanz ist zurück in seiner Stimme, verstärkt durch die dunkle Romantik des Bettes des Grafen. „Was kostet es? Und wie bekommen wir es in unser Haus?“
Die Frau lächelt triumphierend. „Für Sie kostet es alles. Es wird Sie binden, nicht entlasten. Und die Lieferung ist der kleinste Preis.“ Sie nimmt einen winzigen Notizblock, der nach Weihrauch riecht, und drückt Fenris einen dünnen, silbernen Stift in die Hand. „Die Adresse.“
Fenris schreibt die Straße und Hausnummer auf. Die Frau zieht das Geld, das Fenris aus seinem Mantel gezogen hatte, aus dem Umschlag und steckt es weg, ohne es zu zählen. Ihre Geste impliziert, dass der wahre Preis des Bettes nicht in moderner Währung bemessen werden kann. „Es wird vor Sonnenuntergang bei Ihnen sein. Manchmal kommt die Geschichte schneller als die Kunden.“
Fenris nickt. Das Bett, die Falle und das Versprechen sind gesichert. Nun fehlt nur noch der Kleiderständer - das eiserne Tor des Friedhofs. Sie drehen sich um und verlassen den Laden, die Kühle des gestohlenen Schicksals liegt auf ihren Schultern.
Fenris und Lyra treten aus der Ewigen Sammlung auf das nasse Kopfsteinpflaster zurück. Der Geruch von Altem und Modrigem haftet noch an ihren Mänteln. Die Lieferung des Bettes ist seltsam schnell arrangiert, fast zu einfach, als hätte die Stadt selbst entschieden, dass dieses Paar in diese dunkle Erzählung gehört.
Fenris schmunzelt. Er wendet sich Lyra zu, seine tiefgrünen Augen blitzen mit düsterer Vorfreude. Die Kargheit des Müsliriegels ist vergessen, ersetzt durch die Erregung der Jagd. „Wir werden viel Spaß in dem Bett haben, Lyra“, sagt er. Seine Stimme ist leise, aber das Versprechen hallt zwischen den hohen, finsteren Häusern wider.
Lyra grinst. Das Grinsen zieht ihre Lippen zu einem gefährlichen Bogen der Verheißung. Ohne Vorwarnung springt sie in einer fließenden Bewegung auf Fenris’ Rücken und schlingt ihre Beine fest von hinten um seine Hüften. Sie hängt an ihm, eine dunkle Last der Leidenschaft, eine plötzliche, fordernde Intimität mitten auf der Straße.
„Wir machen uns keine Gedanken um Kaffee, wenn wir dieses Bett haben, Fenris“, haucht Lyra in sein Ohr. „Wir machen uns Gedanken um die nächste Ewigkeit.“
Fenris lacht laut auf, ein tiefes, freies Geräusch, und hält ihre Beine fest. Mit Lyra auf dem Rücken geht er weiter. Der erste Schritt in Rosevil ist getan. Sie sind nicht nur Besucher; sie sind die neuen dunklen Herrscher der Straße.
Fenris schwankt nicht. Seine großen, kräftigen Hände greifen sofort nach Lyras Oberschenkeln, halten sie fest und fixieren sie an seinem Körper. Er stabilisiert sie, als wäre sie ein Teil seiner selbst, eine schwere, notwendige Rüstung aus Leidenschaft.
Lyra lehnt sich vor und drückt einen Kuss auf seine Wange, genau dort, wo seine Haut unter dem sorgfältig getrimmten Bart weich ist.
„Vielleicht hören wir den Grafen ja wirklich ächzen“, flüstert sie ihm verwegen ins Ohr. Die Vorstellung des unheimlichen Liebhabers ist ein erotischer Stachel. „Und dann müssen wir ihn übertreffen.“
Ein leiser Laut, der zwischen einem tiefen Lachen und einem zufriedenen Seufzen liegt, entkommt Fenris. Er beginnt zu gehen, Lyra fest auf seinem Rücken. Die Bewegung ist mühelos, seine Schritte sind rhythmisch, fast marschierend.
Sie durchqueren die Hauptstraße des Hafenbezirks. Lyra spürt die unbewegliche Dominanz seines Körpers unter ihren Händen. Sie sind ein unzertrennliches Ganzes, ein Fremdkörper in der grauen Stadt, der jedoch perfekt zur gotischen Melancholie passt.
Der Friedhof liegt am Ende der Straße. Fenris trägt seine Beute - Lyra - direkt auf die Jagd nach dem eisernen Kleiderständer. Kurz bevor die Straße in das dunkle, gewundene Gitterwerk des alten Friedhofs mündet, lässt Fenris Lyra sanft zu Boden gleiten. Die plötzliche Trennung ist ein minimaler Schock, aber Lyra steht sofort stabil. Die unbewegliche Dominanz seines Körpers weicht nun der zielgerichteten, fokussierten Energie der Jagd.
Das Friedhofstor ist genau so, wie sie es erwartet haben: Massiv, schmiedeeisern, die Spitzen laufen in verrosteten Fleur-de-Lis aus. Der Zaun umfasst das Gelände wie ein alter, zähnefletschender Wächter.
„Kein Schloss“, stellt Lyra fest, ihre Stimme ist aufgeregt. „Sie setzen hier auf Ehrfurcht, nicht auf Barrieren.“ Die Abwesenheit physischer Sicherheit ist einladend.
Fenris nickt. Er schiebt das knarrende Tor auf, das Geräusch schneidet wie ein Hilfeschrei durch die bleierne Stille.Sie treten ein. Die Atmosphäre ändert sich sofort. Die Bäume sind hier älter, ihre Kronen fangen das wenige Tageslicht ein. Die Luft riecht intensiv nach feuchter Erde, nassem Stein und einer tiefen, unvermeidlichen Ruhe, die sie in ihren Bann zieht.
Der Friedhof ist ein chaotisches, gotisches Labyrinth. Überall stehen hohe, verwitterte Mausoleen mit schwarz gewordenen Engeln auf den Dächern, die in stummer Trauer über die Besucher wachen. Lyra und Fenris durchqueren die Gänge, ihre dunklen Mäntel verschmelzen mit den tiefen Schatten der Grabsteine.
„Wir suchen keine neuen Freunde, Lyra“, flüstert Fenris, der Ton ist spielerisch, aber seine Augen scannen aufmerksam den Boden. „Wir suchen etwas Abgestoßenes. Ein Opfer des Verfalls.“
Sie arbeiten sich tief in den ältesten Teil vor. Dort, wo die Grabsteine schief stehen und die Namen kaum noch lesbar sind, finden sie die perfekte Stelle: Ein kleiner Abschnitt des eisernen Zauns ist durch einen Baumsturz eingedrückt worden. Drei ornamentale Stäbe, dunkel vor Rost und mit Spitzen, die fast wie Galgenhaken wirken, liegen am Boden.
„Das ist es“, haucht Lyra. Sie kniet neben dem Eisen nieder. Das Material ist kalt und schwer, perfekt, um ihre schweren Gothic-Mäntel zu tragen.
Fenris zieht ein kleines Taschenmesser aus seiner Manteltasche, das scharf ist und nach Metall riecht. Er schneidet die verwurzelten Efeustränge durch, die das Eisen noch an den Boden binden.
„Wir nehmen nur, was übrig ist“, stellt Fenris fest, während er das schwere Eisen hochhebt. Die Jagd endet so schnell, wie sie begonnen hat. Sie haben das Bett und den Kleiderständer. Sie haben die Grundlage für ihr neues, dunkles Leben in Rosevil geschaffen.
Fenris hebt die drei Stäbe des Zauns mühelos in seinen Arm. Die Beute ist kalt und klirrend. Lyra greift sofort zu und nimmt das Ende der schwersten Stange. Sie tragen das Diebesgut gemeinsam, ihre Hände berühren sich unter dem Rost des Eisens.
Fenris sieht Lyra an. Er zieht einen Mundwinkel hoch, das dunkle, zufriedene Lächeln passt perfekt zu der Umgebung aus verwittertem Stein und dem herbstlichen Verfall, der sie umgibt.
„Nun, meine Lyra“, fragt er, und seine Stimme vibriert wie der tiefe Ton einer Bassgeige in der feuchten Luft. „Wie gefällt es dir hier? In diesem Friedhof, der fast so schön ist wie du.“
Lyra blickt sich um. Die moosbewachsenen Grabsteine, die weinenden Statuen und die tiefen, unerbittlichen Schatten scheinen sie förmlich anzuerkennen, als hießen sie eine verlorene Verwandte in ihrem Reich willkommen. Sie nickt langsam.
„Hat was“, sagt sie und presst kurz die Lippen zusammen. Das ist ihre Art, die Wahrheit zu sagen, ohne in Kitsch oder Sentimentalität zu verfallen. Für sie ist dieser Ort kein Feld der Toten, sondern ein Versprechen auf Ruhe. Der Friedhof ist ein Zuhause.
„Gut“, sagt Fenris. Er verlangsamt seinen Schritt, obwohl die Last des alten Eisens schwer in seinen Armen liegt und das Metall gegen seine Brust drückt. „Wenn ich die Hände jetzt nicht voll hätte, würde ich dir jetzt sagen und zeigen, was du tun solltest.“
Lyra weiß genau, was er meint. Ein feiner, elektrisierender Schauer läuft ihr über den Rücken, obwohl ihre Hände das kalte Eisen fest umklammern. Seine dunklen Fantasien sind ihr in den drei Jahren ihrer Beziehung natürlich nicht verborgen geblieben. Er führt die Klinge ihres gemeinsamen Lebens, er hat das Sagen, und sie liebt es. Die totale Hingabe an seine Dominanz ist der einzige Anker, der sie in dieser chaotischen Welt des Jahres 2024 hält. Es ist die Freiheit, die sie im Gehorsam findet.
Sie drückt ihren Arm kurz gegen seinen, sucht die Reibung ihrer Mäntel. „Ich bin nicht weg“, flüstert sie, und ihr Atem bildet einen feinen Nebel vor seinen Augen. „Ich warte auf das nächste Kommando.“
Fenris nickt nur, seine Augen dunkeln ab, bis sie fast die Farbe der Schatten um sie herum annehmen, doch seine volle Aufmerksamkeit widmet er nun wieder dem Weg zurück. Er weiß, dass er Lyra jetzt nicht mehr ermahnen muss; ihre Unterwerfung ist so fest wie der Rost am Zaun. Sie tragen die Beute schweigend weiter, der Plan für die nächste Form der Kontrolle liegt unausgesprochen zwischen ihnen, schärfer und brennender als das Taschenmesser in Fenris’ Manteltasche.
Sie durchqueren schweigend das eiserne Tor des Friedhofs, die Schwelle zwischen dem Reich der Toten und ihrer neuen, unsicheren Existenz. Lyra trägt das Ende der langen, rostigen Eisenstange, die sie als Kleiderständer zweckentfremden werden. Das Metall knirscht leise bei jedem Schritt, ein rauer, rhythmischer Protest gegen seine neue Bestimmung.
„Nun haben wir das Bett und den Ort, um unsere Mäntel aufzuhängen“, stellt Lyra fest. Ihr Tonfall ist eine gefährliche Mischung aus mühsam erkämpfter Zufriedenheit und scharfem Sarkasmus.
Fenris nickt knapp. Sein Blick scannt die Fassaden der Häuser, die im bleichen Licht des Nachmittags wieder höher und verschlossener wirken, als wollten sie ihre Geheimnisse vor den Neuankömmlingen verbergen. „Das sind die notwendigen Grundlagen“, antwortet er, seine Stimme so fest wie der Stein um sie herum.
„Grundlagen, ja“, wiederholt Lyra leise. Als sie eine besonders schmale, schattige Gasse passieren, drückt sie sich eng an ihn, sucht die Reibung seines Mantels. „Aber wir haben nur noch die leeren Dielen und das Putzmittel. Und das Geld, Fenris... du hast alles für den Grafen ausgegeben. Wir besitzen ein Denkmal der Wollust, aber keine einzige Münze mehr.“
Fenris seufzt, ein tiefer Laut, der in den Falten seines schweren Mantels widerhallt. „Ich musste das Bett haben. Es ist das Schicksal dieses Hauses, Lyra. Es verlangte danach.“ Er weist ihren Einwand nicht ab, er inkorporiert ihn in seine dunkle Logik. „Wir brauchen Arbeit. Wir müssen die Währung dieser Stadt finden, bevor sie uns findet.“
Lyra blickt zu den finsteren Fenstern hinauf und fragt sich, wie man in Rosevil - einer Stadt, die zwischen den Zeiten zu schlafen scheint - im Jahr 2024 Geld verdienen soll. „Was machen wir? Verkaufen wir die dunklen Kleider, die wir in Dornenkreuz genäht haben? Oder zeichnest du die Gräber für die Handvoll Touristen, die sich hierher verirren?“
Fenris schüttelt den Kopf. „Wir sind keine Touristenattraktion. Nicht mehr.“ Er bleibt abrupt stehen und dreht sich zu ihr um. Seine Hand schnellt vor und fixiert ihr Kinn mit einer besitzergreifenden Sanftheit, die ihr den Atem raubt.
„Wir werden etwas finden. Etwas, das zu unserer Natur passt. Etwas Seltenes und Kostbares, das nur in der Dunkelheit gedeiht.“
Lyra blickt ihm tief in die Augen, in denen sich die gotischen Giebel spiegeln. Die Realität ist kalt und leer, aber die unerschütterliche Zuversicht in seinem Blick ist eine Wärme, der sie sich bedingungslos anvertraut. Sie neigt den Kopf und küsst seine Hand, die noch immer ihr Kinn hält - ein stilles Versprechen der Treue. „Solange du befiehlst, Fenris. Ich suche mit dir nach der Währung der Schatten.“
Sie erreichen schließlich ihr viktorianisches Haus. Doch als sie vor den Stufen stehen, gefriert das Blut in Lyras Adern. Die schwere Haustür steht einen Spalt weit offen - ein dunkler Schlitz in der Fassade. Sie sind sich beide sicher: Sie hatten sie beim Verlassen fest verschlossen.
Fenris hält inne. Die Anspannung kehrt augenblicklich in seinen Körper zurück. Er lässt die Eisenstange zu Boden fallen; das klirrende Geräusch hallt wie ein Alarm über das feuchte Kopfsteinpflaster.
„Lyra“, murmelt er nur. Die Warnung in seiner Stimme ist so schwer wie das Eisen, das sie gerade geraubt haben.
Sie treten vorsichtig ein, die Sinne bis zum Zerreißen gespannt. Die Halle liegt in tiefer Dunkelheit, doch aus dem Raum, den sie als ihr Schlafzimmer auserkoren haben, dringt ein Lichtschein. Eine einzelne, unbekannte Kerze brennt dort mit einer ruhigen, gelben Flamme.
In der Mitte des zuvor so trostlosen, leeren Zimmers steht es nun - monströs, schwarz und vollendet aufgebaut: Das Bett des Grafen.
Die dunklen Eichenschnitzereien der Kopflehne ragen wie versteinerte, knöcherne Finger bis zur Decke empor und krallen sich förmlich in die Schatten des Raumes. Auf der Matratze breitet sich eine frische, tiefrote Samtdecke aus – ein Meer aus geronnenem Blut inmitten der düsteren Leere. Es ist weder staubig noch gezeichnet vom Alter; es wirkt, als hätte die Zeit selbst dieses monströse Möbelstück in den Raum geatmet, unberührt von der profanen Welt da draußen.
Neben dem Bett steht ein kleiner, schlichter Holzhocker. Darauf liegt eine Karte, weiß und einsam im dämmrigen Licht. Fenris geht hinüber. Seine Schritte sind auf dem Dielenboden unerwartet leise, fast so, als wollte er den Geist des Zimmers nicht wecken. Er nimmt die Karte zwischen seine kräftigen Finger. Die Frau aus dem Laden hat keinen Namen hinterlassen. Keine Adresse, kein Logo. Nur eine einzige, filigrane Zeile in tiefschwarzer Tinte:
„Ein neues Leben beginnt mit einem großartigen Schlaf.“
Lyra spürt, wie ihr Herz gegen ihre Rippen schlägt, ein wilder, unregelmäßiger Rhythmus. Sie haben heute Morgen nicht nur ein antikes Möbelstück gekauft. Sie haben einen Pakt mit Rosevil geschlossen, ein unsichtbares Band, das sich nun fester um ihre Hälse legt als jeder Schal.Noch immer benommen von der Geschwindigkeit der Ereignisse, steht sie in der dunklen Halle. Das metallische Klirren der zuvor fallengelassenen Eisenstange hallt noch immer in ihrem Kopf nach, das einzige Geräusch, das die unheimliche Stille ihrer Verblüffung unterbricht.
Fenris widmet sich sofort dem Bett. Seine Augen blitzen misstrauisch. Die rote Samtdecke fühlt sich unter seinen Fingern luxuriös und weich an, ein scharfer, fast schmerzhafter Kontrast zur kalten Eiche. Er berührt die kunstvollen Schnitzereien nicht mehr ehrfürchtig wie im Laden, sondern mit der Wachsamkeit eines Mannes, der eine Falle wittert.
Er dreht die Visitenkarte zwischen den Fingern. Die Tinte riecht nicht nach einer modernen Druckerei oder nach Chemie. Sie riecht nach verbranntem Holz und schwerem Weihrauch, nach alten Ritualen und sakralem Feuer. Lyra tritt näher, ihr Körper sucht automatisch seine Wärme. Sie liest die Zeilen erneut, die wie ein Urteil wirken.
„Sie schickt uns eine Nachricht“, stellt Fenris fest, seine Stimme ist rau und gefährlich leise. „Sie weiß mehr, als sie sagt. Rosevil ist kein Zufall. Dieses Haus ist kein Zufall.“
Mit einer plötzlichen, verächtlichen Bewegung wirft er die Karte auf die rote Decke, als wäre sie ein Stück Gift, das er nicht länger berühren will. Lyra jedoch kann den Blick nicht abwenden. Sie mustert das Bett. Es ist wunderschön in seiner Grausamkeit. Es ist düster, es ist monströs - und es gehört nun ihnen.
Schweigend ziehen sie ihre schweren, schwarzen Mäntel aus. Die Last des Stoffes gleitet von ihren Schultern, eine vorübergehende Befreiung. Sie legen sie über eine alte Klappleiter, die der Antiquitätenhändler oder seine namenlosen Boten seltsamerweise im Zimmer zurückgelassen haben - ein profanes Objekt in diesem sakralen Raum der Nacht.
Lyra sieht sich um. Das Zimmer hat sich verändert. Es ist nicht mehr nur ein Raum in einem verfallenen Haus im Jahr 2024. Es ist das Zentrum eines Sturms, und das Bett ist der Altar, auf dem sie ihr altes Leben opfern werden.
Ihr Blick gleitet von dem monströsen, fast sakral wirkenden Bett zu den leeren, schmutzigen Wänden, den gesplitterten Dielen und dem dicken, grauen Staub, der wie ein Leichentuch alles bedeckt. Lyra liebt die Dunkelheit und das Makabre; ihre Seele nährt sich von Ruinen und ihr Stil ist eine Hommage an das Vergängliche. Doch während ihr Geist in der Morbidität schwelgt, verlangt ihre Anatomie nach einer fast klinischen Reinheit. Es ist das Paradoxon ihrer Existenz: die Sehnsucht nach dem Verfall, gebunden an die Notwendigkeit von Sauberkeit.
„Es ist abstoßend“, flüstert Lyra. Ihre Augen fixieren eine Spinwebe in der Ecke, die wie ein alter, verstaubter Trauerflor herabhängt. „Ich mag es düster, Fenris. Ich liebe die Ruine. Aber ich brauche es sauber. Hier ist alles nur Schmutz und Moder.“
Fenris versteht sie ohne weitere Worte. Er kennt die Grenzen ihres Wahnsinns; er weiß, dass ihre Ästhetik niemals die Hygiene ausschließen darf. Es ist ihr ungeschriebenes Gesetz, die Ordnung inmitten des Chaos zu bewahren.
„Wir machen es bewohnbar“, verspricht er, und seine Stimme ist das Fundament, auf dem ihre Sicherheit ruht. „Zuerst schlafen wir im Bett des Grafen. Morgen reinigen wir es Zentimeter für Zentimeter. Wir vertreiben den Schmutz, aber wir behalten die Schatten.“
Doch der heldenhafte Kampf gegen den Schmutz gerät augenblicklich in den Hintergrund, als die physische Realität ihren Tribut fordert. Lyra presst die Hand gegen ihren Bauch; das zarte Gewebe ihrer Kleidung kann das Knurren nicht verbergen. Die Müsliriegel sind längst nur noch eine blasse Erinnerung.
„Ich habe Hunger“, sagt sie schlicht. In der weiten, leeren Halle klingt diese einfache Aussage beinahe ernüchternd, ein menschlicher Makel in ihrer gotischen Inszenierung. „Und wir haben nichts mehr. Das ganze Geld liegt nun bei dieser unheimlichen Frau im Antiquitätenladen.“
Fenris tritt an das Fenster. Sein Blick wandert über den Friedhof, dessen Grabsteine im fortgeschrittenen, grauen Licht wie mahnende Finger aus der Erde ragen. Seine Hände schieben sich tief in die Taschen seines schweren Gehrocks.
„Wir finden etwas“, sagt er, doch der gewohnte Unterton absoluter Zuversicht fehlt. „Wir müssen morgen arbeiten. Wenn Rosevil uns das Bett gibt, dann wird die Stadt uns auch einen Weg zeigen, uns zu nähren. Aber heute Nacht...“ Er dreht sich um, und das flackernde Licht der Kerze fängt das Raubtierhafte in seinem Blick ein. „... heute Nacht gehört diese rote Decke uns.“
Er geht zurück zum Bett und zieht die schwere, tiefrote Samtdecke mit einer herrischen Bewegung zurück. Es ist ihre einzige Zuflucht vor der Kälte des Hauses und dem nagenden Hunger in ihren Eingeweiden. In dieser Dunkelheit muss die körperliche Erfüllung die materielle Leere ersetzen. Der Hunger nach Brot wird durch den Hunger nach Haut verdrängt.
„Erst muss ich ins Bad“, sagt Lyra mit einem wissenden Lächeln, das die Verheißung dessen, was folgen wird, wie ein dunkles Siegel auf seine Lippen brennt. Lyra betritt das Badezimmer, die Zahnbürste in der Hand wie eine profane Waffe gegen den Verfall. Die notdürftige Reinigung von heute Vormittag hält der gierigen Umgebung kaum stand; es ist, als würde das Haus den Schmutz aus seinen eigenen Poren schwitzen. Die Fugen der Kacheln sind bereits wieder von einem grauen Schleier überzogen, und der süßliche, betäubende Geruch des Moders steigt schwer aus dem Abfluss empor, als atme das Fundament selbst.
Lyra zieht die Lippen zusammen. Die unerbittliche Makelhaftigkeit dieses Ortes prallt hart auf ihre eigene dunkle Ästhetik. Ein feiner, beinahe unmerklicher Ekel regt sich in ihr - ein Verrat ihres Körpers an ihrem Geist, der die Ruine so sehr liebt. Sie verlangt nach den Schatten, aber ihre Haut schreit nach Reinheit.
Fenris steht am Ende des Ganges, eine unbewegliche Silhouette in der rauchigen Finsternis. Die Tür zum Bad steht einen Spalt offen - gerade genug, damit er die geschmeidigen Linien ihres Rückens sehen kann, und gerade genug, um ihr eine Privatsphäre zu lassen, die sie in dieser aufgeladenen Stille ohnehin nicht sucht. Er bemerkt das Zucken ihrer Schultern, die leichte, bittere Anspannung um ihren Mund. Er atmet leise durch; die abgestandene Luft des Hauses brennt wie Eis in seiner Lunge.
Geld, denkt er, und die Erkenntnis ist so scharf und unerbittlich wie die Klinge seines Messers. Die bittere Realität des Jahres 2024 dringt durch die gotischen Mauern. Er würde alles für diese Frau tun - er würde Götter stürzen oder Dämonen rufen, nur um ihr das Exil zu bereiten, das sie verdient. Sie braucht diesen Schmutz nicht. Sie ist eine Königin der Schatten, keine Magd des Verfalls.
Er muss die Währung der Dunkelheit finden, und zwar schnell. Rosevil muss ihm einen Preis nennen, den er zu zahlen bereit ist. Während er sie beobachtet, wie sie gegen den Ekel ankämpft, festigt sich ein eiserner Entschluss in ihm. Er wird sich morgen um die materielle Realität kümmern; er wird dieser Stadt ihren Tribut abpressen.
Doch heute Nacht... heute Nacht wird er sie von diesem Ort wegtragen, hinein in das Rot des Samtes, wo nur ihre Haut und sein Verlangen existieren.
Fenris rührt sich nicht. Sein Blick löst sich von ihrem Gesicht und folgt jeder ihrer Bewegungen mit der unerbittlichen Präzision eines Raubtieres. Er tritt einen lautlosen Schritt vor; er ist kein Mann mehr, sondern nur noch ein Schatten, der aus der Finsternis des Ganges heraus beobachtet. Er genießt diesen Anblick, die kalkulierte Langsamkeit, die zur rituellen Schau wird - ein stilles Opferfest der Ästhetik vor dem Altar des Verfalls.
Lyra beginnt mit dem schweren Mantel. Er gleitet von ihren Schultern und fällt zu Boden, ein stummer, schwarzer Wasserfall aus Wolle und Seide, der den schmutzigen Boden unter sich begräbt. Dann tasten ihre Finger nach der Schnürung ihres Korsetts. Das Knistern der Seide und das leise Quietschen des Leders sind die einzigen Laute in der drückenden Stille. Ihre Finger gleiten über den Samt und die feine, schwarze Spitze, bis sich die Bindung öffnet und die blasse, fast marmorne Haut ihrer Taille entblößt wird. Sie zieht das Korsett langsam von ihrem Körper, Zentimeter für Zentimeter, als würde sie eine zweite, dunkle Haut abstreifen, um ihren wahren Kern freizulegen.
Fenris’ Blick ist unerschütterlich, ein brennender Fokus in der Dunkelheit. Er sieht die makellose Reinheit ihres Körpers, die scharfen, eleganten Konturen ihrer Rippen und die vollen, schweren Kurven ihrer Brüste, die nun vom Druck des Stoffes befreit sind. Die unbarmherzige Kälte des Badezimmers lässt ihre Nippel sofort hart werden - winzige, rosafarbene Knoten des Verlangens, die sich trotzig gegen die kalte Luft behaupten.
Sie streift die hohen Stiefel ab, dann die enge Lederhose, die sich mit einem sanften, fast flehenden Zischen von ihren Schenkeln löst. Jedes Kleidungsstück fällt wie ein rituelles Opfer auf den unwürdigen, schmutzigen Boden. Lyra steht nun vollkommen nackt im grauen, sterbenden Licht des Badezimmers, eine Erscheinung aus Elfenbein inmitten von Moder und Staub.
Fenris atmet schwer, die Luft in seiner Kehle ist trocken und heiß. Ihr Anblick ist brutal und rein, ein ultimativer Triumph der Leidenschaft über den Schmutz der Welt. Die unsaubere Umgebung kann ihre Schönheit nicht trüben; sie scheint sie nur noch strahlender hervorzuheben. Er spürt, wie das Verlangen in ihm aufsteigt, scharf, fordernd und absolut unvermeidlich.
Er weiß in diesem Moment, dass sie das Bett des Grafen heute Nacht dringender brauchen als alles andere - nicht nur, um zu ruhen, sondern um die materielle Leere und den nagenden Ekel des Tages mit der zerstörerischen und zugleich heilenden Macht ihrer totalen Hingabe zu füllen.
Fenris bewegt sich nun endgültig aus den Schatten heraus. Mit einer herrischen Geste öffnet er die Badezimmertür vollständig, das Knallen des Holzes gegen die Wand hallt wie ein Startschuss durch den Flur. Er tritt ein, und der ohnehin schon kleine Raum scheint unter seiner Präsenz zu schrumpfen. Er bleibt direkt vor Lyra stehen, nur Zentimeter trennen ihre nackte Haut von dem schweren Stoff seines Gehrocks. Das Verlangen füllt den Raum, dickflüssig und schwerer als der modrige Dunst des alten Hauses; es ist ein elektrisches Feld, das alles andere verdrängt.
Er beginnt sie zu mustern, langsam und gemächlich, als wäre er ein Bildhauer, der den Marmor vor dem ersten Schlag prüft. Seine Augen vermessen sie neu, fordernd und absolut. Er beginnt bei ihrem Gesicht, verweilt auf den dunkel umrandeten Augen, die nun leicht zugekniffen sind - ein Zeichen ihrer totalen, fast schmerzhaften Erwartung. Ihre Schönheit ist für ihn kein Gewohnheitsrecht; sie ist eine dunkle, leuchtende Konstante, die ihn jeden Tag aufs Neue in den Abgrund zieht.
Dann wandert sein Blick tiefer. Er mustert die vollen Kurven ihrer Brüste, die der beißenden Kälte des Raumes trotzen. Der Anblick ist so rein, so unvermittelt inmitten des Schmutzes, dass er die Luft scharf einzieht - ein kurzes, hörbares Zischen durch die Zähne. Die Leidenschaft brennt ihm in der Kehle wie flüssiges Blei.
Sein Blick gleitet weiter, über die blasse Seide ihrer Haut hinweg zu ihrem flachen Bauch, dem Anker ihrer weiblichen Kraft. Lyra spannt unwillkürlich die Bauchmuskeln an, ein Zittern unter der Oberfläche. Fenris genießt diese sichtbare Reaktion; es ist die körperliche Antwort auf seine stille, unerbittliche Kontrolle.
Schließlich sinkt sein Blick noch tiefer, dorthin, wo das platinblonde Haar in die dunklen Schatten ihrer Schenkel übergeht. Dort bleibt er hängen. Ein langsames, gefährliches Lächeln formt sich auf seinen Lippen, und er leckt sich langsam über die Unterlippe, als könne er sie bereits schmecken.
Lyra spürt jeden seiner Blicke auf sich wie eine physische Berührung. Es ist, als würden seine Augen über ihre Haut brennen, als würde die Kälte des Badezimmers unter dem massiven Druck seiner Präsenz einfach verdampfen. Ein leises, tiefes Seufzen entkommt ihr - ein Laut der absoluten Hingabe, der Fenris in seiner Macht nur noch mehr bestätigt.
„Das Bett wartet, Lyra“, sagt Fenris schließlich. Seine Stimme ist rau, tief und von einer endgültigen Unwiderruflichkeit. Er greift nicht nach ihr. Er bricht den Bann nicht durch eine Berührung. Stattdessen dreht er sich auf dem Absatz um und verlässt den Raum, ohne sich noch einmal umzusehen.
„Komm.“
Fenris verlässt das Bad, und die stumme, kristallklare Aufforderung bleibt wie ein elektrisches Summen in der frostigen Luft hängen. Lyra weiß, dass Zögern ein Verrat wäre. Sie folgt ihm augenblicklich, ihre nackten Füße finden instinktiv den Weg über die gesplitterten Dielen, direkt in das Herz ihrer gemeinsamen Finsternis.
Fenris erwartet sie bereits am Fußende des Bettes des Grafen. Seine dunkle Silhouette ragt wie ein monolithisches Denkmal gegen das sterbende Licht auf, das kaum noch durch die schweren Vorhänge dringt. Lyra gibt sich dem roten Samt hin. Die schweren Kissen stützen ihren Oberkörper, während sie sich auf der weichen, blutroten Fläche ausbreitet. Ihr Atem geht schnell und flach; ihre Haut glüht - ein fiebriges Paradoxon aus der schneidenden Kälte des Raumes und dem nagenden Hunger, der ihre Eingeweide wie ein Raubtier quält.
Fenris nähert sich mit der langsamen, bedrohlichen Grazie eines Jägers. Er mustert Lyras Gesicht, liest in ihren Zügen wie in einem verbotenen Grimoire, und lässt seinen Blick dann über ihren zitternden Bauch gleiten. Die Leere dort, das Fehlen jeglicher Nahrung, lässt ihre Muskeln unter der blassen Haut beben. Lyra spürt die aufkeimende Panik vor dieser körperlichen Schwäche, doch ihr Innerstes verlangt nach etwas anderem: Sie begehrt seine Dominanz, sie sehnt sich nach dem Sturz in den Abgrund, den nur er ihr bereiten kann.
Er tritt so dicht an das Bett, dass sein Schatten sie vollständig verschlingt. Ohne ein Wort zu verlieren, presst er seine Handfläche flach neben ihren Kopf auf die rote Decke. Der Druck ist massiv, eine physische Barriere, die sie zwingt, ihm direkt in die Augen zu sehen. Sein Blick ist kein Bitten; es ist eine unerschütterliche, dunkle Forderung nach Ruhe und absoluter Kontrolle.
Lyra versteht das Gesetz dieses Augenblicks. Sie unterwirft ihren Willen dem Schweigen des Zimmers.
Dann beginnt Fenris, sich auszuziehen. Jede Bewegung ist von einer quälenden, rituellen Bedächtigkeit geprägt. Er löst die Knöpfe seines schweren Gehrocks, als würde er eine Rüstung ablegen, und lässt ihn mit einem dumpfen Geräusch zu Boden fallen. Dann folgt der dunkle Rollkragenpullover. Das schwarze Gewebe zieht sich langsam über die harten Konturen seiner Brustmuskeln und die Narben seiner Vergangenheit, bis auch er im Schatten verschwindet.
Lyras Augen haften an jeder Faser seiner Bewegung. Sie wagt es nicht, auch nur einen Millimeter ihrer Position zu verändern; sie ist das Opferlamm auf dem Altar des Grafen, gefesselt durch den unsichtbaren Stahl seines Befehls. Sie sieht die Spannung seiner Arme, die schwere Muskulatur seiner Brust und die dunkle Behaarung, die sich wie ein finsterer Pfad über seinen Bauch zieht. Fenris dreht sich nicht weg, er verbirgt nichts. Er bietet ihr seinen unverhohlenen, nackten Körper als monumentales Beweisstück ihrer gemeinsamen Macht und ihrer existenziellen Not an.
Lyra kann die Reaktion seines Körpers nicht ignorieren; die unwiderrufliche Erregung ist offenkundig, ein gewaltiges Zeugnis seiner Lust. Dieser Anblick trifft sie härter als jede Berührung. Es ist die ultimative Bestätigung: Er will sie, unerbittlich und total, ungeachtet des Schmutzes der Welt oder des Hungers, der an ihren Leibern nagt.
Ein heiseres Seufzen entkommt Lyra. Sie will ihn berühren, diese perfekte, gespannte Kraft mit ihren Fingern greifen, doch sie weiß: Es ist ihr verboten. In diesem rituellen Raum darf nur er agieren.
Fenris mustert ihre Reaktion mit der Präzision eines Raubtieres. Er lächelt nicht, aber seine Augen werden weicher, fast rauchig, während er sie an den Rand des Abgrunds führt. Er steigt auf das gewaltige Bett. Seine schwere, warme Masse drückt Lyra tief in die rote Samtmatratze, während er sich über sie kniet. Zuerst berührt er sie nur mit der Hitze seines Atems, der wie ein sündiges Versprechen über ihre Lippen streift.
Dann legt er seine große, kühle Hand sanft um ihren Hals. Der minimale Druck ist eine lautlose Warnung, eine Zügelung ihres Atems und ihres Willens. Er schließt seine Augen, und seine Lippen streifen die ihren in einer quälend flüchtigen Liebkosung.
„Atme nur“, haucht er, so leise, dass das Geräusch im schweren, jahrhundertealten Eichenholz des Bettes stirbt. „Ich höre alles.“
Er beginnt die Erkundung, doch nicht mit seinen Händen. Seine Lippen und seine Zunge übernehmen die Führung in diesem dunklen Spiel. Fenris beginnt an ihrem Hals, folgt der sanften Linie zu ihren Schultern und kostet die salzige Note ihrer Haut wie einen kostbaren, verbotenen Wein. Lyra schließt die Augen, ihr Atem wird flacher, schneller, ein gehetzter Rhythmus der Erwartung.
Er verweilt lange an den empfindlichsten Stellen. Seine Zunge streicht über ihre Brüste, kreist fordernd um die hart gewordenen Spitzen, bevor er sie ganz in den Mund nimmt. Lyra spannt den Rücken an, ein verzweifeltes Stöhnen formt sich in ihrer Kehle, doch der stete Druck seiner Hand an ihrem Hals erinnert sie an das Gebot: Stille.
Zwischendurch spürt sie seine Zähne – kurze, gezielte Bisse, die scharf in ihre Haut schneiden, immer dort, wo sie am verletzlichsten ist. Ein Keuchen bleibt in ihrer Kehle stecken, erstickt von seiner Dominanz. Fenris spürt jedes Zucken, jede unwillkürliche Regung ihrer Muskeln und genießt die absolute Sichtbarkeit seiner Kontrolle.
Seine Hände sind nun überall. Sie gleiten über ihre Taille, umfassen ihre Hüften mit besitzergreifender Härte und fixieren ihre Oberschenkel. Sie mischen sich in das brennende Spiel von Lippen, Zähne und Zunge und ziehen Lyra immer weiter in den Abgrund der Empfindungen, wo die Zeit verblasst wie der Hunger in ihrem Bauch.
Sie kämpft einen verzweifelten Kampf gegen den Aufschrei, der in ihrer Kehle brennt. Ihr Kiefer spannt sich bis zum Schmerz, ihre Zähne mahlen fast hörbar aufeinander - ein mechanischer Widerstand gegen die überwältigende Ekstase. Jede Welle der Lust, die Fenris mit der grausamen Präzision eines dunklen Alchemisten auslöst, fordert ihren Tribut. Doch sie bricht das Gebot der Stille nicht; das verbotene Stöhnen verwandelt sich in ein unterdrücktes, schmerzhaftes Wimmern. Es ist ein Laut, der tiefer geht als jeder Schrei, ein Zeugnis ihrer süßen Qual und ihrer totalen Auflösung.
Fenris lässt sich nicht beirren. Er gleitet tiefer in die Schatten zwischen ihren Leibern. Seine Lippen brennen wie flüssiges Feuer auf der empfindlichen, bebenden Haut ihrer inneren Schenkel. Er führt sein rituelles Spiel der Erkundung fort, während Lyras Körper unter ihm zu einem glühenden Bekenntnis absoluter Hingabe wird. Sie ist in diesem Augenblick eine Karte aus Fleisch und Sehnsucht, die er Zentimeter für Zentimeter für sein dunkles Reich beansprucht.
Er genießt den Triumph der totalen Beherrschung. In ihren geweiteten Pupillen, die das spärliche Licht wie schwarze Löcher verschlingen, liest er die nackte, ungeschönte Wahrheit ihres Verlangens. Er sieht die Tränen der Lust, die wie flüssiges Obsidian an ihren Schläfen stehen, und spürt die Macht, die er über jede Faser ihres Seins ausübt. Diese stumme, zitternde Unterwerfung ist seine einzige, wahre Belohnung - wertvoller als jedes Gold, das sie heute verloren haben.
In diesem Moment stirbt die Welt außerhalb des massiven Eichenrahmens. Der quälende Hunger in ihren Mägen ist vergessen, der Schmutz der bröckelnden Wände ist in der gnädigen Dunkelheit versunken. Es gibt keine Zukunft und keine Vergangenheit, kein Rosevil mehr. Es herrscht nur noch das schwere, erfüllte Schweigen im Bett des Grafen, in dem ihre Seelen in der Finsternis unwiderruflich miteinander verschmelzen.
Fenris gleitet mit der Zunge die Innenseite ihres Oberschenkels entlang. Die feuchte Wärme seines Mundes ist ein scharfer Kontrast zur kalten, dunklen Eiche des Bettes, das sie umschließt. Er nähert sich ihrem weichen Fleisch, beißt fest, aber kontrolliert zu. Ein schmerzhaftes, plötzliches Verlangen schießt durch Lyra, ein elektrischer Impuls, der ihren Körper durchzuckt. Ein scharfes, heiseres Keuchen bricht aus ihr heraus, doch Fenris lässt es nicht zur Sprache werden, nicht zur Befreiung. Er beißt erneut zu, tiefer, zwingt sie zur totalen, unkontrollierten körperlichen Reaktion.
Seine Hände haben nun ihre Brüste gefunden. Er verweilt nicht sanft, sondern verwöhnt sie fest und fast grob; es ist eine leidenschaftliche Inbesitznahme. Die Daumen und Finger ziehen und drehen die Brustwarzen, verstärken die Empfindungen ins Schmerzhaft-Süße. Lyra wölbt ihren Rücken unwillkürlich, ein stummer Flehensruf, der in der finsteren Klarheit von Fenris' Augen gelesen wird.
Die Zunge wandert weiter. Sie findet ihren unfehlbaren Weg zwischen Lyras Beine, erkundet ihre Mitte mit einer Präzision und Intensität, die nur ihr gehört. Lyra atmet nicht mehr; sie hält die Luft an, ein Akt des Überlebens in dieser Flut der Sinnlichkeit. Die Gier in Fenris' Bewegungen ist ein Befehl, der keine Verhandlung zulässt, eine dunkle Bestätigung, dass ihre Körperlichkeit ihm nun vollständig gehört.
Ihre Stille ist nun endgültig gebrochen. Sie wird durchzogen von leisen, flehenden Wimmern, die Fenris zwar zulässt, die jedoch niemals die bleiernen Oberflächen des Raumes erreichen. Sie bleiben wie Gefangene in der schweren, roten Samtdecke und dem flüsternden dunklen Holz des Grafenbettes hängen, als würde das Möbelstück die Töne ihrer Hingabe gierig aufsaugen. Fenris hört jede Nuance ihrer Qual. Er spürt die unaufhaltsame Unterwerfung unter seinem Blick, und diese totale, unerschütterliche Kontrolle ist in der düsteren Welt von Rosevil seine einzige, wahre Währung.
Lyra steht unmittelbar am Rand des Abgrunds, kurz vor dem rettenden, vernichtenden Höhepunkt, und Fenris spürt es mit der Hellsichtigkeit eines Besessenen. Der flache, fast schon panische Atem in ihrer Kehle verrät sie gnadenlos; die kleinen, stoßenden Zuckungen ihres Körpers sind ein Signal, das in diesem Raum lauter schreit als jeder physische Ruf.
In genau diesem Moment lässt er abrupt von ihr ab.
Die plötzliche, schneidende Kälte, die Lyra trifft, wirkt wie ein Schock - so hart und unerbittlich wie das uralte Eichenholz unter ihr. Sie keucht auf, ein verzweifeltes, gebrochenes Wimmern der Enttäuschung entweicht ihren Lippen. Fenris rührt sich nicht. Er mustert ihre Mitte, wie sie feucht im schwachen Licht der Kerze glänzt und pulsierend in verzweifelter Erwartung zuckt. Lyra hebt ihr Becken instinktiv empor, eine stumme, flehende Einladung, ein letztes, großes Opfer, damit er ihr endlich den Rest gibt und sie von dieser Qual befreit.
Doch er genießt diesen Anblick des totalen Ausgeliefertseins. Er labt sich an dem feuchten Glitzern, den kleinen, rhythmischen Kontraktionen und der absoluten Unterwerfung im Verlangen, die er nun wie ein morbides Kunstwerk betrachtet.
Seine Hände bleiben dabei jedoch nicht untätig. Er verlegt seine ganze, grausame Aufmerksamkeit auf ihre Brustwarzen, die er verwöhnt - doch er tut es quälend langsam. Seine Daumen kreisen nun mit einer subtilen, beinahe sadistischen Langsamkeit auf dem hochempfindlichen Gewebe, eine Tortur, die Lyra fast den Verstand raubt. Jede Bewegung zieht die Lust erneut auf die äußerste Spitze und verwehrt ihr im selben Atemzug die rettende Erlösung.
Tief in seinem Inneren spürt Fenris jedoch, wie der eiserne Ring um seine eigene Beherrschung gefährlich zu bröckeln beginnt. Der Anblick ihrer nassen und pulsierenden Mitte und das Wissen um ihre totale Abhängigkeit von seiner Gnade bringen ihn fast um den Verstand, ein Feuer, das heißer brennt als jeder Hunger. Doch kein Muskel in seinem Gesicht verrät ihn. Seine Dominanz darf keinen Riss zeigen, keine Schwäche offenbaren. Er ist der Herr dieses Augenblicks, der Priester an diesem dunklen Altar, und Rosevil schaut durch das schweigende Holz des Bettes zu.
„Gib es mir“, flüstert Fenris. Seine Stimme ist nun tief, rau und von einer kaum beherrschten Gier durchzogen, doch der Befehl ist nicht an Lyra gerichtet. Er ist ein verzweifelter, fast magischer Aufruf an seine eigene, beinahe verlorene Kontrolle, an die elementaren Kräfte der Leidenschaft, die in ihm toben.
Er greift Lyras Hüften, hebt sie mit brutaler, entschlossener Kraft in die Luft und stößt mit einer unvermittelten, archaischen Härte in sie hinein. Die Stille des Raumes bricht nicht, aber der körperliche Aufprall ist ein universelles, grollendes Geräusch, das in der tiefen Resonanz des Grafenbettes hallt. Er bewegt sich nun, der Rhythmus ist tief, fordernd und unerbittlich.
Lyras unterdrückte Wimmern verwandelt sich in ein kontrolliertes Stöhnen, das in ihrem eigenen Mund erstickt wird. Ihre Hände krallen sich in Fenris' Schultern; seine Muskeln sind hart und unveränderlich wie das Eichenholz unter ihnen. Sie wird zur reinen, instinktiven Reaktion, zu einem Gefäß für seine Dominanz. Ihre Nägel ziehen sich tief und fest durch seine Haut und hinterlassen blutende Spuren. Das zwingt ihm einen dunklen, kehlig knurrenden Laut der Befriedigung und des Schmerzes zugleich hervor. Die Dunkelheit des Zimmers, die sündige Geschichte des Bettes und der Hunger nach Erlösung verschmelzen zu einem einzigen, glühenden Augenblick der totalen, ekstatischen Kontrolle.
Fenris hält ihren Blick fest, seine Augen sind wie zwei dunkle Abgründe, in denen sich ihre Seele spiegelt. Er sieht, wie die totale Hingabe Lyras Augen füllt - ein schwarzer Ozean aus Sehnsucht, Schmerz und absolutem Einverständnis. Die Kontrolle ist seine, unangefochten und herrisch, aber die Ekstase ist geteilt, ein gemeinsamer Sturz in die Tiefe. Das Knistern des alten Eichenholzes scheint im Takt ihres dunklen Triumphs zu ächzen, als würde das Bett des Grafen selbst zum Leben erwachen und sich an der Hitze ihrer Körper nähren.
Fenris erreicht den Gipfel. Ein tiefer, stummer Laut entkommt ihm, der Lyras Kehle wie eine physische Erschütterung trifft. Mit einem letzten, urwüchsigen Stoß drückt er sie tief in den roten Samt, der sie wie ein blutiges Leichentuch umschließt.
Die absolute Erfüllung lässt Lyra in einem gewaltigen, stillen Bekenntnis zusammenzucken. Ihr gesamter Körper wird von einer Welle der Elektrizität durchlaufen, die sie fast zerreißt. Sie beißt sich so fest auf die Lippen, dass sie beinahe Blut schmeckt, um das alles verzehrende Aufstöhnen zu unterdrücken - ein letzter Akt der Unterwerfung unter das Gebot der Stille. Der körperliche Schock wäscht alles von ihr fort: den Ekel vor dem Schmutz, den nagenden Hunger und die Angst vor der Zukunft. Sie ist rein, gezeichnet nur noch von seiner Präsenz.
Fenris fällt schwer auf sie, ein erschöpftes Raubtier. Seine Hitze brennt auf ihrer Haut, seine Atmung geht stoßweise und rau in die kühle Zimmerluft. Er bleibt einen Moment so liegen, die schwere Last seines Körpers eine Bestätigung seines Besitzes. Dann bewegt er sich langsam zur Seite und zieht Lyra mit einer überraschenden Zärtlichkeit in die Enge seiner Arme. Er hält sie fest, beschützend und besitzergreifend zugleich, als wäre sie das Einzige, was in der Dunkelheit von Rosevil Bestand hat.
Sie liegen auf dem roten Samt, ihre Körper verschwitzt, glänzend und endlich zufrieden. Die Stille des Hauses kehrt zurück, doch sie ist nun gesättigt von ihrer Leidenschaft. Neben ihnen, fast vergessen in den Falten der Decke, liegt die zerknitterte Visitenkarte der Verkäuferin - eine stumme, weiße Mahnung, dass das „großartige Leben“, das ihnen versprochen wurde, gerade erst seinen ersten Tribut gefordert hat.
„Das war besser als Essen“, haucht Lyra gegen die bebende Haut seiner Brust. Ihre Stimme ist tief, belegt und so heiser, als hätte sie die letzten Stunden geschrien - obwohl sie dem Gebot der Stille gehorcht hat.
Fenris nickt nur, ein stummes Echo in der Finsternis des Raumes. Er spürt die tiefe, fast unnatürliche Ruhe, die nun von ihr ausgeht - jene totale, schweigende Unterwerfung, die er wie Sauerstoff zum Atmen braucht, um seine eigene innere Dunkelheit zu bändigen. Das Bett des Grafen hat sein Versprechen gehalten; es hat ihre Körper verschlungen und ihre Seelen für einen Moment in einem zeitlosen Abgrund aneinandergekettet. Die Währung der Dunkelheit ist in dieser Nacht mit Schweiß, Schmerz und Ekstase bezahlt worden.
Sie sagen beide nichts mehr. Die totale Stille füllt den Raum wie zäher, schwarzer Nebel, nur unterbrochen vom schweren, nachklingenden Atem des anderen, der sich in der kühlen Zimmerluft bricht. Fenris zieht sie fester in seinen Arm, eine besitzergreifende Geste, die keinen Raum für Zweifel lässt. Seine Hand, die eben noch fordernd und hart war, streicht nun beruhigend und beinahe sanft über Lyras Rücken, als würde er die Spuren des Sturms glätten.
Lyra schließt die Augen und gibt sich der Schwere ihrer Glieder hin. Ihre Brustwarzen brennen noch immer von der harten, unnachgiebigen Berührung seiner Finger, und ihre Mitte fühlt sich wund an, gezeichnet von der rohen Gewalt seiner Stöße. Doch dieser süße, pochende Schmerz ist ihr Anker. Der quälende Hunger, der Schmutz der zerfallenden Wände und die bedrohliche Ungewissheit von Rosevil sind bedeutungslos geworden. Die unerbittliche Kontrolle, die Fenris über sie ausgeübt hat, hat ihr die einzige Ruhe gebracht, die sie in dieser chaotischen Welt finden kann: die heilige Ruhe der absoluten Hingabe.
Fenris zieht sie noch enger an sich, eine Bewegung so besitzergreifend und endgültig, als wollte er ihre Körper für immer miteinander verschmelzen lassen. Dann rollt er die schwere, tiefrote Samtdecke vorsichtig über sie beide. Die Last des blutroten Stoffes senkt sich auf sie nieder wie ein heiliges Siegel über einem verbotenen Pakt. Unter diesem schützenden Tuch liegen sie nun verborgen vor der Welt - zwei Getriebene, zwei Flüchtlinge der Moderne, die endlich angekommen sind. Sie sind am Ziel ihrer dunklen Reise: in der Finsternis, im Herzen der Domäne des Grafen.
Lyra gibt sich der Erschöpfung hin und schläft ein. Ihr Atem wird gleichmäßig und tief, ein sanfter Rhythmus gegen Fenris' nackte Brust. Die massive Schwere der Samtdecke wirkt wie ein Kokon, der die letzte, fiebrige Glut ihrer Leidenschaft und die Hitze ihrer Haut gefangen hält. In dieser vollkommenen Dunkelheit liegt Lyra nun da - erfüllt, rein und für den Moment geheilt von dem nagenden Ekel vor dem Schmutz und dem brennenden Hunger in ihrem Leib. Sie hat ihren Frieden in der Unterwerfung gefunden.
Fenris jedoch liegt noch wach. Seine Augen sind weit geöffnet und suchen in der Schwärze nach Antworten. Die Stille, die den Raum erfüllt, ist nicht beruhigend; sie ist erwartungsvoll, fast schon lauernd, als würde das Haus selbst den Atem anhalten, um sie zu beobachten. Sein Blick starrt in die Leere des Zimmers, dorthin, wo das massive, geschnitzte Eichenholz des Bettes mit der Finsternis zu verschmelzen scheint.
Es wirkt fast so, als würde das Bett sie beide langsam in die Eingeweide von Rosevil ziehen, tiefer hinein in eine Geschichte, die gerade erst begonnen hat, ihren Preis einzufordern.
Seine Gedanken hängen an der kalten, unbarmherzigen Realität. Sie sind unüberlegt in diese andere Welt gefahren, berauscht von der Vision einer Freiheit, die nach Moder und alten Legenden schmeckt. Rosevil ist zwar genau das Refugium der Finsternis, das sie gesucht haben, aber im Rausch der Ästhetik haben sie die profanen Mittel ignoriert. Das Geld ist weg, verbrannt auf dem Altar dieses monströsen Bettes.
Fenris spürt Lyras gleichmäßigen Atem an seiner Haut, und ein brennender Beschützerinstinkt lodert in ihm auf. Sie darf nicht wieder hungern. Sie darf nicht in diesem Schmutz verkommen. Das ist sein ungeschriebenes, sakrales Gesetz: Er ist der Herr dieses Exils, und er muss für die Reinheit ihres Abgrunds garantieren. Die Währung der Dunkelheit muss gefunden werden, koste es, was es wolle.
Als er so in den Strudel seiner Sorgen versinkt, passiert es. Zuerst nimmt er es nur als ein leises, bösartiges Zischen wahr, das aus den massiven Holzpfosten des Bettes zu kriechen scheint. Es ist das Geräusch von trockenem Holz, das sich dehnt, oder von Insekten, die in den Ritzen nagen - so versucht sein Verstand es zu ordnen. Doch das Zischen verdichtet sich, wird rhythmisch und formt sich schließlich zu Worten, die keine Luftbewegung brauchen.
Eine leise, flehende Frauenstimme flüstert aus der absoluten Dunkelheit der kunstvollen Schnitzereien. Sie klingt wie das Rascheln von vertrockneten Rosenblättern auf einem Grabstein.
„Fenris…“
Nur sein Name. Ein Hauch von Klang, der direkt aus dem schwarzen Eichenholz zu kommen scheint. Er versucht, den Laut als Einbildung abzutun, als das Ächzen des alten Hauses oder den Wind, der durch die zerbrochenen Dachpfannen pfeift. Aber es ist zu klar, zu nah, zu intim. Die Stimme flüstert immer wieder, dringlicher nun, als würde sie direkt in sein Ohr kriechen. Es ist kein Geräusch, das im Raum hallt; es ist ein Echo, das in den tiefsten Windungen seines eigenen Kopfes widerhallt.
„Fenris…“
Das Bett des Grafen beginnt, seine wahre Geschichte zu erzählen, und der Preis dafür scheint sein eigener Verstand zu sein.
Fenris spannt sich augenblicklich an, seine Muskeln werden hart wie der gehauene Fels der umliegenden Gruften. Er ist hellwach, jedes Sinnesorgan auf die drohende Gefahr oder das Unbegreifliche ausgerichtet. Lyra rührt sich nicht; sie liegt in der tiefen, unschuldigen Bewusstlosigkeit der Erschöpfung an seiner Seite. Doch die Stimme in seinem Kopf verändert sich. Das Zischen weicht einer melancholischen, fast unerträglichen Traurigkeit, die so schwer wiegt wie der bleierne Himmel über Rosevil.
„Fenris, erlöse mich.“
Die Legende des Grafenbettes, die ihnen die hageren Verkäuferin mit den Obsidianaugen erzählt hat, schießt ihm durch den Verstand. Graf Lorcan von Valerius liegt irgendwo unter der Erde dieser verfluchten Stadt, und jede Frau, die in diesem Bett ruht, soll seine Wollust erben oder seinen Atem hören. Doch dies ist keine maskuline, herrische Stimme. Es ist der klagende Hauch der jungen Frau, die einst ihren Geist gegen die Leidenschaft des Grafen eintauschte und dabei alles verlor, was sie ausmachte.
Sie bittet ihn um Erlösung.
Fenris schließt die Augen, und in diesem Moment spürt er einen starken, fast physischen Sog in die Tiefe. Es ist ein unwiderstehlicher Zug, als würde die Schwärze des Bettes ihn hinabziehen wollen in die vergessenen Krypten unter Rosevil. Dieses unheimliche Flüstern ist das erste Geschenk der Stadt - und zugleich ihre erste, blutige Forderung. Rosevil fordert nicht nur Geld; Rosevil fordert Hingabe.
Er öffnet die Augen wieder. Die erste Schrecksekunde ist vergangen, und die Angst wird durch eine eiserne, kalte Entschlossenheit ersetzt. Er ist kein Opfer; er ist ein Jäger. Er muss verstehen, was dieses Echo der Vergangenheit von ihm will. Er muss die wahre Geschichte hinter den Schnitzereien finden, um die Quelle dieser Stimme zu lokalisieren - und er muss die Währung der Dunkelheit finden, um Lyra vor dem Wahnsinn zu schützen, der dieses Bett seit Jahrhunderten heimsucht.
Er liegt noch lange wach, die Hand fest auf Lyras Rücken ruhend, als wäre er ihr einziger Anker in einer Welt, die sie zu verschlingen droht. Die Stimme flüstert weiter in der unerbittlichen Dunkelheit, ein trauriger Refrain des Verfalls, aber Fenris antwortet nicht. Er hütet Lyras Schlaf und wartet auf das erste, graue Licht des Morgens.