Falkensee - Kapitel 9



Sechs Wochen sind vergangen. Falkensee liegt in gleißendem Sonnenlicht, der Sommer hat die Stadt fest im Griff. Die Straßen flimmern in der Hitze, irgendwo zirpen Grillen, und selbst der See scheint in der Sonne zu atmen.

 

Kian sitzt im Büro von TechCore Solutions, die Fenster weit geöffnet, der Ventilator surrt träge in der Ecke. Sein Schreibtisch ist voller Skizzen, Notizen und halb geleerter Kaffeebecher – ein geordnetes Chaos, das inzwischen typisch für ihn ist.

 

Ben sitzt auf der Tischkante gegenüber, barfuß, die Schuhe unter dem Schreibtisch.


„Ich schwöre dir,“ sagt er mit einem Lächeln, „wenn es noch heißer wird, arbeite ich nur noch im See. Laptop auf’m Surfbrett, fertig.“

 

Kian lacht leise, lehnt sich im Stuhl zurück.


„Du würdest wirklich mit einem Laptop baden gehen.“


„Na klar. Effizienz kennt keine Grenzen.“

 

Sie lachen beide – leicht, vertraut, wie Freunde, die sich blind verstehen.
Aus der anfänglichen Kollegenschaft ist längst eine echte Freundschaft geworden. Ben bringt Leichtigkeit in Kians Leben, und Kian ist der ruhige Pol, den Ben manchmal braucht.

 

„Hannah bringt später noch Eiskaffee vorbei,“ meint Ben beiläufig, während er die Klimaanlage mit einem Blick mustert, der nicht gerade Vertrauen ausdrückt.


„Dann ist der Tag gerettet,“ sagt Kian. „Ich frag mich nur, wie sie das aushält – bei der Hitze in der Bank.“


„Sie ist tougher, als sie aussieht,“ grinst Ben.

 

Kian nickt lächelnd und seine Gedanken springen dabei plötzlich zu Elysia.

Sein Blick wandert für einen Moment aus dem Fenster, hinüber zum hellen Himmel, in die flirrende Ferne über den Dächern. Er denkt nicht mehr oft an sie – aber manchmal, in solchen Momenten, taucht sie wieder auf. Wie ein Bild, das das Licht kurz sichtbar macht und dann wieder verblassen lässt.

 

Er weiß nur, dass sie fort ist. Ein Ort, an dem sie neu angefangen hat.
Mehr nicht. Und vielleicht ist das gut so.

 

Ben sieht den Ausdruck in seinem Gesicht, aber sagt nichts.
Er weiß, wann man schweigen muss. Stattdessen klopft er ihm auf die Schulter.


„Komm, Chef. Noch drei Stunden, dann Feierabend. Ich hab ein Grillfest bei mir im Hof organisiert. Du kommst, oder?“

 

Kian lächelt. „Nur, wenn du versprichst, nicht selbst zu grillen.“


„Versprochen,“ lacht Ben. „Hannah macht den Kartoffelsalat. Ich bring die Getränke. Du bringst dich. Deal?“


„Deal.“

 

Der Nachmittag zieht sich träge dahin, das Sonnenlicht wandert langsam über den Boden, und das Büro füllt sich mit dem Geräusch von Tastaturen und leisem Summen der Klimaanlage.

 

Kian arbeitet, konzentriert und ruhig. Aber als er später kurz den Kopf hebt, sieht er für einen Moment hinaus – auf den See in der Ferne, auf das Glitzern des Wassers – und denkt, ohne es zu wollen:

 

Ich hoffe, du bist glücklich, Elysia.

 

Dann wendet er sich wieder dem Bildschirm zu. Und arbeitet weiter.

 

Ben liegt halb über seinem Schreibtisch, ein Stift in der Hand, aber keine Spur von Motivation.


„Ich sag’s dir, Kian,“ murmelt er, „wenn’s noch heißer wird, kündige ich und werd werde Eisverkäufer am Strand.“

 

„Mit deinem Charme würdest du nicht mal Eis am Stiel loswerden,“ meint Kian trocken.

 

In dem Moment geht die Tür auf – und Hannah tritt ein.


Sommerkleid, Sonnenbrille im Haar, zwei Pappbecher Eiskaffee in der Hand und ein schelmisches Lächeln auf den Lippen.

 

„Rettung ist da,“ sagt sie und stellt die Becher auf den Tisch. „Mit extra Eis. Ihr seht aus, als würdet ihr gleich schmelzen.“

 

„Heilige Erlösung in Plastik,“ sagt Ben und greift sofort zu. „Ich heirate dich, Hannah.“


„Zu spät,“ lacht sie. „Verheiratet bin ich schon mit einem Ventilator hier, der immerhin noch durchhält.“

 

Kian grinst, lehnt sich zurück. „Ich sag ja, du bist die wahre Heldin dieser Stadt.“


„Endlich erkennt’s mal jemand,“ kontert Hannah und schiebt ihm einen Becher hin.

 

Die drei lachen, der Moment ist leicht, sommerlich, normal – bis Hannahs Handy in ihrer Tasche vibriert. Sie runzelt die Stirn, zieht es hervor – und als sie die Nummer auf dem Display sieht, verändert sich ihr Gesichtsausdruck.
Nicht erschrocken, aber angespannt.

 

„Sorry, ich muss kurz ran,“ sagt sie leise.

 

Ben schaut auf, nimmt einen Schluck Eiskaffee.


„Klar. Wenn’s dein Chef ist, richte ihm aus, dass wir Urlaub brauch.“

 

Sie antwortet nicht, nur ein knappes Lächeln, und verlässt den Raum, zieht die Tür hinter sich zu. Draußen im Flur drückt sie das Handy ans Ohr, die Stimme gedämpft, fast flüsternd.

 

„Elysia?“

 

Ein leises Atmen, dann eine vertraute Stimme.


„Ja. Ich wollte nur kurz hören, wie’s euch geht.“

 

Hannah lächelt unwillkürlich. „Uns geht’s gut. Aber ich kann gerade nicht sprechen… ich bin im Büro. Bei Ben und Kian.“


Am anderen Ende Stille – dann ein leises, trauriges „Oh“.

 

„Ich ruf dich später zurück, ja?“ sagt Hannah sanft. „Versprochen.“

 

Sie legt auf, atmet tief durch und sieht kurz auf ihr Handy, bevor sie es wegsteckt. Ihr Blick geht zur Bürotür. Ein Teil von ihr wünscht, sie könnte ihnen sagen, wer gerade angerufen hat. Aber ein Versprechen bleibt ein Versprechen.

 

Drinnen herrscht für einen Moment Schweigen, als sie wieder eintritt.


Kian arbeitet am Laptop, aber Ben sieht sie aufmerksam an.

 

„Alles okay?“ fragt er beiläufig, aber mit einem Ton, der neugierig klingt.

 

„Ja,“ sagt Hannah schnell, vielleicht zu schnell. „Nur… ein Anruf.“

 

„Klang geheimnisvoll,“ meint Ben grinsend. „Ich wette, das war der geheimnisvolle Typ, von dem du uns nie erzählst.“ Hannah zieht nur eine Augenbraue hoch. „Vielleicht. Vielleicht auch nicht.“

 

Ben lacht, aber in seinen Augen glimmt etwas wie Misstrauen – halb Scherz, halb Nachdenken.


Kian sagt nichts.


Er sieht nur kurz zu Hannah hinüber, sein Blick ruhig, suchend, als spüre er, dass da mehr war, als sie sagen wollte. Doch er fragt nicht. Er lächelt nur schwach und nippt an seinem Eiskaffee.

 

Hannah blickt auf die Uhr und seufzt.


„Ich muss zurück. Wenn ich noch länger bleibe, denkt mein Chef, ich hab gekündigt.“


Sie greift nach ihrer Tasche und lächelt die beiden Männer an. „Lasst euch den Eiskaffee schmecken – und Ben, denk dran: Gleich nach Hause kommen. Das Grillfest.“

 

„Natürlich. Ohne den Grillmeister läuft schließlich gar nichts!“ sagt er lachend, doch sie winkt schon ab und verschwindet zur Tür hinaus.


Ein kurzer Duft nach Sommerparfum bleibt zurück, dann fällt die Tür leise ins Schloss. Einen Moment lang ist es still. Nur das Summen des Ventilators und das gelegentliche Klackern einer Tastatur im Nachbarbüro.

 

Ben lehnt sich auf seinem Stuhl zurück, sieht zur Tür, dann zu Kian.


„Sag mal…“ beginnt er langsam, „findest du, Hannah benimmt sich in letzter Zeit irgendwie komisch?“

 

Kian hebt den Blick vom Bildschirm. „Komisch? Inwiefern?“

 

Ben zuckt mit den Schultern, aber sein Gesicht wirkt nachdenklich.


„Na ja… diese Anrufe. Immer so plötzlich. Immer so… heimlich.“

 

„Heimlich?“ wiederholt Kian, leicht schmunzelnd. „Du meinst, sie lügt dich an, was die Anrufe betrifft?“

 

„Ich weiß nicht,“ sagt Ben und lehnt sich vor. „Ich mein, sie wird sofort leiser, wenn ich im Raum bin. Wenn ich frage, wer dran war, sagt sie ‚nur eine Freundin‘ oder ‚nichts Wichtiges‘. Und wenn ich nachhake, wird sie patzig. So… abwehrend.“

 

Kian sieht ihn einen Moment ruhig an. „Vielleicht bildest du dir da was ein?“

 

Ben nickt, aber sein Blick bleibt unruhig.


„Ja, vielleicht. Aber mein Bauch sagt mir was anderes. Ich kenn sie. Und das ist nicht normal. Sie ist ein ehrlicher Mensch – manchmal zu ehrlich. Aber jetzt…“

 

Er seufzt, stützt die Arme auf den Tisch.


„Ich will ja nichts unterstellen, aber manchmal hab ich echt das Gefühl, da ist jemand anderes.“

 

Kian lehnt sich zurück, verschränkt die Arme.


„Ben, du machst dich verrückt,“ sagt er ruhig. „Du musst mit ihr reden. Einen anderen Weg gibt es nicht. Aber wenn sie sagt, da ist nichts, dann ist da nichts.“

 

Ben lächelt schmal. „Ja. Und genau das macht’s ja so schwer. Ich will ihr glauben. Aber manchmal… weißt du, wenn jemand etwas verbergen will, sieht man das. In kleinen Dingen. In einem Blick. In der Art, wie jemand ’ne Pause macht, bevor er antwortet.“ Er schüttelt den Kopf, nimmt einen großen Schluck Eiskaffee. „Vielleicht bild ich’s mir auch nur ein.“

 

„Vielleicht,“ sagt Kian leise, aber sein Blick bleibt kurz an der Tür hängen, durch die Hannah eben verschwunden ist. Einen Moment lang sagt keiner von beiden etwas.

Ben seufzt schließlich. „Ich werd sie einfach mal lassen. Wenn sie mir was sagen will, wird sie’s tun.“

 

Kian nickt. „Das ist wahrscheinlich das Beste.“

 

Aber während Ben wieder zur Tastatur greift, denkt Kian unwillkürlich an den Moment, in dem Hannah so plötzlich gegangen war – und an den Ausdruck in ihren Augen, als sie den Anruf entgegennahm.

 

Er sagt nichts. Aber in seinem Inneren ahnt er, dass Ben sich vielleicht doch nicht täuscht.

 

Die Sonne brennt gnadenlos auf den Asphalt.
Hannah läuft die Hauptstraße entlang, den Eiskaffee-Becher längst leer, die Tasche über der Schulter. Der Wind weht warm durch die Straßen, trägt den Duft von Sommerblumen herüber. Aber Hannah spürt nichts davon.
In ihrem Kopf ist es laut.

 

Mit jedem Schritt hallen die letzten Minuten im Büro nach – Bens Blick, diese Mischung aus Neugier und Zweifel.


Seine Frage: „Alles okay?“
Ihr zu schnelles „Ja“.

 

Sie weiß, dass er es gemerkt hat. Er merkt immer, wenn sie etwas zurückhält.

Und genau das nagt an ihr. Sie biegt in die Straße zur Bank ein. Noch bevor sie die Tür erreicht, zieht sie das Handy aus der Tasche, sieht auf den Bildschirm –
Elysias Name leuchtet dort noch auf, vom letzten Anruf.

 

Ein kurzer Druck im Magen.


Schuld, gemischt mit Zuneigung. Hannah bleibt stehen, mitten auf dem Bürgersteig. Die Sonne spiegelt sich in dem Bankgebäude, Menschen gehen an ihr vorbei, ein Auto hupt.

 

Alles ist Alltag – nur in ihr nicht.

Sie liebt Ben. Ehrlich, tief, ohne Spielchen. Und trotzdem hat sie ihn belogen.

Sie wollte Elysia schützen, ja – aber je länger das dauert, desto stärker spürt sie, dass sie damit Ben weh tut. Er hat recht, sie benimmt sich anders. Ausweichend. Geheimnisvoll.


Genau das, was sie nie sein wollte. Sie steckt das Handy wieder weg und atmet tief durch.


„Das muss ein Ende haben,“ murmelt sie.

 

Sie weiß, was sie tun wird. Heute Abend, nach der Arbeit. Kein Drumherum, kein weiteres Verstecken. Sie wird Ben alles sagen – von Elysia, vom Anruf, von ihrem Versprechen. Und hoffen, dass er versteht. Dass er nicht nur hört, was sie getan hat, sondern warum.

 

Langsam geht sie weiter, schiebt die Glastür der Bank auf. Die kühle Luft schlägt ihr entgegen, angenehm nach der Hitze draußen. Ein Kunde grüßt, sie lächelt automatisch zurück, setzt sich an ihren Schreibtisch. Doch in Gedanken ist sie schon beim Abend. Bei dem Gespräch, das alles ändern könnte.


Der Raum riecht nach Papier und frisch gebrühtem Kaffee. Die Luft steht still, nur das leise klackern einer Tastatur füllt die Stille.


Elysia sitzt auf einem schmalen Stuhl neben ihrer Mutter, die ihre Hand hält – fest, warm, beruhigend. Das kleine Wartezimmer der Kanzlei ist schlicht: hell gestrichene Wände, ein Bücherregal mit Aktenordnern, ein Fenster, durch das Sommersonne fällt.
Draußen rauscht der Verkehr, Kinderlachen erfüllt die Stille. Das Leben geht weiter – und zum ersten Mal seit Jahren fühlt Elysia, dass sie dazugehört. Sie trägt eine hellblaue Bluse und eine schlichte weiße Jeans, ihre Haare hat sie locker hochgesteckt. Kein Schmuck, nur dezentes Make up, keine Fassade. Nur sie. Ihre Mutter sieht sie an, prüfend, aber stolz.


„Bist du sicher, mein Schatz?“


Elysia nickt langsam. „Ja. Ich will nicht mehr so leben. Ich will wieder ich selbst sein.“ Sie spricht ruhig, fast leise, aber in ihrer Stimme liegt eine Sicherheit, die neu ist.


„Ich hab so lange geglaubt, ich könnte es aushalten. Dass ich es ihm recht machen müsste. Aber das war nie Liebe. Das war Angst. Und Bequemlichkeit.“

 

Ihre Mutter drückt ihre Hand fester. „Es ist gut, dass du das erkennst. Du bist stark, Elysia. Stärker, als du denkst.“

 

Elysia lächelt schwach. „Ich fühl mich endlich wieder frei. Zum ersten Mal seit… ich weiß nicht, wie lange.“

 

Sie blickt kurz auf ihre Handtasche, aus der ein  Zettel herausragt – der Arbeitsplan der Bäckerei, in der sie seit zwei Wochen arbeitet. Frühmorgens, ab fünf Uhr. Der Duft von frischem Brot, Lachen, Menschen, die freundlich

„Guten Morgen“ sagen.


Es ist kein glamouröser Job, aber er gehört ihr. Und das allein bedeutet mehr als alles, was sie je mit Valerian besessen hat. Die Tür zum Büro öffnet sich, ein älterer Anwalt tritt heraus. Er hat graue Schläfen und ein ruhiges, freundliches Gesicht.


„Frau Auberon?“

 

Elysia steht auf, richtet kurz die Bluse, atmet tief durch. Ihre Mutter nickt ihr zu, ein stummes Du schaffst das.

 

Elysia erwidert das Nicken und folgt dem Anwalt ins Zimmer. Die Tür schließt sich leise hinter ihr.

 

Ein Kapitel endet.
Ein neues beginnt.

 

Das Büro des Anwalts ist hell und aufgeräumt, ein großer Schreibtisch aus dunklem Holz dominiert den Raum. Aktenstapel, ein Computer, eine Kaffeetasse – nüchtern, funktional.


Elysia sitzt ihm gegenüber, die Hände ruhig im Schoß gefaltet. Ihre Mutter hat draußen Platz genommen, auf ihren Wunsch hin. Der Anwalt, ein Mann Mitte fünfzig mit freundlichen Augen, blättert kurz in der Mappe vor sich.


„Sie sind also Frau Auberon, geborene von Kaltenthal,“ sagt er, ohne die Lesebrille abzusetzen. „Und Sie möchten sich scheiden lassen.“

 

Elysia nickt. „Ja. So schnell wie möglich.“ Ihre Stimme ist fest. Kein Zittern, kein Zögern.

 

Der Anwalt lehnt sich zurück, faltet die Hände.


„Verstehe. Dann sollten wir als Erstes die rechtliche Grundlage klären. Sie erwähnten am Telefon, dass Sie und Ihr Ehemann Gütertrennung vereinbart haben?“

 

„Ja,“ sagt sie. „Das war sein Wunsch, und ich habe damals unterschrieben. Ich wollte keinen Streit – und ich dachte, das wäre normal.“

 

Er nickt langsam. „Das ist häufig der Fall in vermögenden Ehen. Für Sie bedeutet das, dass Sie keinen Anspruch auf sein Vermögen haben – alles, was er vor und während der Ehe erwirtschaftet hat, bleibt sein Eigentum. Aber: was Sie selbst besitzen, bleibt Ihnen ebenso unangetastet.“

 

Elysia nickt, ruhig.


„Das ist mir egal. Ich will nichts von ihm. Ich will nur frei sein.“

 

Der Anwalt lächelt leicht – kein mitleidiges, sondern ein respektvolles Lächeln.


„Diese Haltung ist ungewöhnlich klar. Und sie wird Ihnen helfen. Ich kann den Antrag vorbereiten. Da Sie Gütertrennung haben und keine Kinder, wird das Verfahren voraussichtlich unkompliziert verlaufen.“

 

„Wie lange wird es dauern?“


„Wenn Ihr Mann einwilligt, wenige Monate. Wenn er sich querstellt, kann es länger dauern. Wir können das Verfahren aber einleiten, sobald der Trennungszeitraum bestätigt ist.“

 

Elysia runzelt die Stirn. „Wir leben seit fast zwei Monaten getrennt. Ich bin bei meinen Eltern. Reicht das?“

 

„Das ist ein Anfang,“ sagt er. „Wir dokumentieren das, reichen es ein. Danach liegt es in der Hand des Gerichts. Ich übernehme alle Formalitäten, Sie müssen nur unterschreiben, sobald alles vorbereitet ist.“

 

Elysia atmet langsam aus. Die Worte des Anwalts wirken sachlich, aber in ihr hallen sie nach – wie Schritte auf festem Boden nach Jahren des Stolperns.

 

„Danke,“ sagt sie leise. „Ich hätte das früher tun sollen.“

 

Der Anwalt lächelt erneut, diesmal wärmer. „Man tut Dinge, wenn man bereit ist. Nicht früher.“

 

Sie nickt, steht auf, streicht sich unbewusst über die Bluse.


„Ich bin bereit.“

 

Er reicht ihr die Hand, ein fester, ehrlicher Händedruck.


„Dann lassen Sie uns anfangen, Frau Auberon.“

 

Elysia steht schon in der Tür, bereit, das Büro zu verlassen. Doch in dem Moment, als sie den Türgriff berührt, fällt es ihr ein – ein Gedanke, klein und unscheinbar, aber mit einer Wucht, die sie selbst überrascht. Sie dreht sich noch einmal um.


„Herr Dr. Weiss?“

 

Der Anwalt blickt von seinen Unterlagen auf. „Ja, Frau Auberon?“

 

Sie zögert kurz, dann hebt sie das Kinn leicht.


„Ich… möchte meinen Mädchennamen wieder annehmen. Von Kaltenthal. Können Sie das veranlassen?“

 

Einen Moment lang ist es still, dann nickt er, ruhig und mit einem Anflug von Anerkennung in seinem Blick.

 

„Ja, natürlich,“ sagt er. „Das können wir im Zuge des Verfahrens beantragen. Sobald die Scheidung rechtskräftig ist, wird der Name offiziell geändert.“

 

Elysia atmet tief durch – als hätte sie gerade etwas ausgesprochen, das längst in ihr gewartet hat.


„Danke,“ sagt sie leise.

 

Dr. Weiss lächelt, diesmal fast freundlich.


„Ein guter Schritt. Namen tragen Gewicht. Und manchmal auch Fesseln.“

 

Sie nickt. „Ich weiß.“

 

Als sie das Büro endgültig verlässt, spürt sie, dass sich etwas in ihr verändert hat. Nur ein Wort – ein Name – aber es ist, als hätte sie ein Stück von sich selbst zurückgewonnen. Ihre Mutter steht im Flur, sieht sie fragend an.


„Alles in Ordnung?“

 

Elysia lächelt sanft.


„Ja,“ sagt sie. „Jetzt schon.“

 

Draußen blendet die Sonne sie, als sie auf die Straße tritt. Die Hitze des Tages legt sich wie ein Schleier auf ihre Haut, doch innerlich fühlt sie sich leicht. Zum ersten Mal seit Jahren trägt sie wieder ihren eigenen Namen in Gedanken – und er klingt wie ein Versprechen:

 

Elysia von Kaltenthal.


Nicht mehr die Frau an jemandes Seite. Sondern sie selbst.


Der Spätnachmittag liegt golden über Falkensee. Die Hitze des Tages weicht langsam einer angenehmen Wärme, das Licht schimmert weich über die Gärten. Grillduft hängt schon in der Luft, irgendwo läuft Musik – leise, fröhlich, passend zum Sommer.

 

Kian trägt ein helles T-Shirt, Jeans und Sonnenbrille. Er balanciert zwei Tüten voller Getränke und einen Beutel mit Brot und Marinaden über den schmalen Gartenweg, der zu Bens Haus führt. Vom Tor aus sieht er schon, dass der Grill brennt.

 

„Da ist er ja! Der Retter des Abends!“ ruft Ben, als er ihn entdeckt.


Er steht am Grill, die Zange in der Hand, und schwitzt trotz der Brise wie ein Marathonläufer.

 

„Wenn das Fleisch verbrennt, bist du schuld,“ ruft Kian zurück und stellt die Tüten auf den Tisch.


„Ich? Ich bin nur der Grillmeister, du bist der kulinarische Sicherheitsbeauftragte,“ grinst Ben.

 

Der Garten ist voller Leben. Ein paar Freunde aus der Firma sind da, Nachbarn, Hannah, die mit einem Lächeln Getränke verteilt und hin und wieder die Haare aus dem Gesicht streicht.


Auf dem Tisch stehen Schalen mit Salaten, Obst, Baguette – und in der Luft liegt dieses Gefühl von Sommer, das man kaum beschreiben kann.

 

Kian nimmt sich ein Glas, füllt es mit kalter Limonade und lehnt sich an den Zaun.


„Nicht schlecht,“ sagt er, während er den Blick über die kleine, fröhliche Runde schweifen lässt.


Ben nickt zufrieden. „Ich hab’s ja gesagt. Dieses Jahr wird’s perfekt.“

 

„Bis auf den Rauch,“ murmelt Hannah, die mit einem Augenzwinkern an ihnen vorbeigeht.


Ben fuchtelt mit der Grillzange. „Rauch gehört dazu! Das ist Atmosphäre!“

 

„Das sagst du jedes Jahr,“ lacht sie, und für einen Moment ist alles so leicht, so vertraut, dass Kian einfach nur lächelt. Er fühlt sich wohl.

Nicht so, wie man sich nach einem Umzug oder einer neuen Arbeit einlebt –
sondern wirklich angekommen.


In dieser Stadt.In dieser Freundschaft.

 

Ben kommt zu ihm, klopft ihm auf die Schulter.


„Na, siehst du? Kein Drama, keine Überraschungen, nur gutes Essen und Sonne. So mag ich das.“

 

„Du und Ruhe – das ist eine seltene Kombination,“ kontert Kian.


„Tja,“ grinst Ben, „vielleicht steckt’s an.“

 

Sie lachen, stoßen mit ihren Gläsern an, und der Abend nimmt seinen Lauf.
Musik, Gespräche, das Knistern des Grills – und dieses Gefühl, dass die Welt für einen Moment genau richtig ist.

 

Kian sieht kurz hinüber zu Hannah, die mit einer Kollegin redet und lacht.


Ben beobachtet sie einen Moment zu lange, der Blick verrät, dass in ihm noch Gedanken an das Gespräch von vorhin arbeiten. Doch er sagt nichts. Heute nicht.

 

Kian atmet tief ein, das Licht der sinkenden Sonne spiegelt sich im Glas in seiner Hand. Es riecht nach Sommer, Leben, und allem, was möglich ist.

 

Die Sonne ist fast untergegangen, der Himmel über Falkensee glüht in einem sanften Orange-Rosa. Das Gelächter im Garten klingt unbeschwert, Gläser klirren, Musik läuft im Hintergrund – nicht zu laut, aber fröhlich.


Ben hat seinen Grill inzwischen perfektioniert erklärt, Hannah rollt mit den Augen, und Kian sitzt entspannt am Gartentisch, die Arme auf der Lehne seines Stuhls, ein Bier in der Hand.

 

„Ich sag’s dir,“ ruft Ben lachend, „mein Grill und ich – wir sind jetzt ein eingespieltes Team!“


„Ja,“ ruft Hannah zurück, „diesmal ist wenigstens nichts angebrannt!“

 

Die Runde lacht, jemand legt neues Fleisch auf, der Rauch zieht in die warme Sommerluft.


Alles ist leicht. Einfach nur Leben.

 

Kian nimmt einen Schluck, lehnt sich zurück und lässt den Blick schweifen – über den Tisch, die lachenden Gesichter, die Gläser, die im Sonnenlicht funkeln. Da öffnet sich das Gartentor. Eine Frau tritt ein – unaufgeregt, aber selbstbewusst, als wäre sie längst Teil der Runde.


Ben ruft: „Ah, Frau Nachbarin! Ich hab gehofft, Sie kommen doch noch!“

 

Kian hebt den Kopf – und bleibt einen Moment lang einfach nur still. Sie ist vielleicht Ende zwanzig, trägt ein Sommerkleid in einem satten Grün, das ihre Augen fast zum Leuchten bringt. Dunkelrot gelocktes Haar fällt ihr bis zu den Schultern, die Sonne fängt sich darin wie in Kupferfäden. Ein Lächeln huscht über ihre Lippen, offen, freundlich, ganz ohne Aufgesetztsein.

 

„Ich hoffe, ich stör nicht,“ sagt sie, ihre Stimme warm und melodisch.


„Nie im Leben!“ ruft Ben und wedelt mit der Grillzange. „Je mehr Leute, desto besser! Kommen Sie rein!“

 

Sie lacht, ein helles, angenehmes Lachen, und tritt näher an die Runde.


Kian beobachtet sie, ohne sich dessen bewusst zu sein. Etwas an ihrer Ausstrahlung zieht ihn an – nicht das Äußere allein, sondern diese Leichtigkeit, die sie mitbringt.

 

Ben stellt sie vor: „Das ist meine Nachbarin Liora. Wohnt seit ein paar Monaten zwei Häuser weiter. Und das da ist Kian – der Typ, der mir jeden Tag auf der Arbeit das Leben schwer macht.“

 

„Oh,“ sagt sie mit einem Schmunzeln, „dann schulde ich Ihnen wohl Mitleid.“

 

Kian lacht, steht auf und streckt ihr die Hand entgegen.


„Kian Sterling.“


„Liora Schwan,“ antwortet sie und legt ihre Hand in seine – fest, warm, mit einem Funken, den er nicht erwartet hatte.

 

„Setzen Sie sich,“ sagt Ben, „es gibt noch Fleisch, Salat und, äh – das, was Kian großzügig als ‚Gute Laune‘ mitgebracht hat.“

 

„Dann bin ich wohl zu spät für die Arbeit, aber genau richtig fürs Vergnügen,“ meint Liora und lässt sich auf den freien Stuhl zwischen Hannah und Kian nieder.

 

Das Gespräch fließt weiter, Gelächter mischt sich mit dem Klingen von Besteck und Musik.


Kian lehnt sich zurück, hört halb zu, halb nicht – und erwischt sich dabei, wie er Liora von der Seite ansieht. Die Art, wie sie spricht, lacht, mit den Händen gestikuliert – sie wirkt echt. Erdig. Frei.

 

Für einen Moment spürt er wieder dieses leise Kribbeln, das er lange nicht mehr gefühlt hat.Kein schweres Denken, kein Grübeln – nur das Hier und Jetzt.
Sommer, Licht, Leben. Und eine Frau mit rotgelocktem Haar, die ihn unbewusst lächeln lässt.

 

Die Sonne ist längst hinter den Bäumen verschwunden, aber der Himmel glüht noch in warmem Gold und Purpur. Lichterketten hängen über dem Garten, summen leise im Wind. Aus einem kleinen Lautsprecher erklingt Musik, leise genug, um Gespräche nicht zu übertönen.

 

Kian sitzt neben Liora, ein halbvolles Glas in der Hand. Sie hat die Beine locker überschlagen, redet mit ihm, als würden sie sich schon ewig kennen.

 

„Also, du bist erst seit ein paar Monaten hier?“ fragt sie und streicht sich eine Locke aus dem Gesicht.


„Ja,“ sagt Kian. „Bin wegen der Arbeit hergezogen. IT-Kram, nicht sonderlich spannend.“

 

„Ach, bitte!“ lacht sie. „Ohne IT würde die halbe Welt stillstehen. Ich sag’s dir, ich hab neulich versucht, meinen Router zu resetten – ich dachte, ich hätte das Internet kaputt gemacht.“

 

Kian lacht laut auf. „Na, dann weiß ich ja, bei wem ich in Zukunft aufpassen muss.“


„Keine Sorge,“ sagt sie, schmunzelnd, „ich fass nichts mehr an, was blinkt.“

 

Ben, der in der Nähe steht, grinst breit. „Ich sag’s euch, die zwei verstehen sich schon wie alte Freunde. Und das, obwohl Kian sonst ewig braucht, um mit jemandem warm zu werden.“

 

„Vielleicht liegt’s am Wein,“ wirft Liora ein, und ihre grünen Augen funkeln im Licht der Lichterkette.


„Oder einfach an guter Gesellschaft,“ erwidert Kian, sein Ton spielerisch, aber ehrlich.

 

Sie stoßen an – Glas an Glas – und für einen kurzen Moment hält die Zeit an.
Ihr Lächeln ist offen, leicht, und er erwidert es, ohne nachzudenken.

 

„Du darfst übrigens ‚du‘ sagen,“ meint sie nach einem Moment, in dem sich ihre Blicke treffen.


„Ich dachte, ich tu das schon,“ sagt er, ein kleines Schmunzeln auf den Lippen.


„Stimmt,“ antwortet sie, und beide müssen lachen.

 

„Und du?“ fragt Kian, nachdem sie sich beruhigt haben. „Was machst du so, wenn du nicht Router zerstörst?“


„Ich arbeite in einer kleinen Galerie. Kunst, Ausstellungen, sowas. Nicht spektakulär, aber ich liebe es.“

 

„Klingt ziemlich gut,“ sagt Kian ehrlich. „Ich beneide Menschen, die das tun, was sie lieben.“


„Dann beneide ich dich nicht,“ erwidert sie, „du wirkst, als würdest du dein Leben ganz gut mögen.“

 

Kian hebt eine Braue. „So sieht das aus?“


„Ja,“ sagt sie ruhig. „Bodenständig. Zufrieden. Nicht so gehetzt wie viele Männer.“

 

„Vielleicht kommt das mit dem Alter,“ sagt er lachend.


„Oder mit der Erfahrung,“ kontert sie, und ihre Blicke treffen sich wieder – kurz, aber intensiv genug, dass beide unbewusst ein bisschen länger lächeln.

 

Hannah ruft vom Tisch herüber: „Kommt ihr noch? Es gibt Nachtisch!“


„Wenn’s kein Salat ist,“ ruft Ben, „dann sofort!“

 

Liora erhebt sich, streicht das Kleid glatt und sieht Kian an.


„Kommst du, IT-Kram?“


„Nur, wenn du mir versprichst, keinen Knopf zu drücken,“ erwidert er grinsend.

 

Der Garten ist in goldenes Licht getaucht. Die Sonne ist längst untergegangen, und die Lichterketten spenden ein weiches, warmes Schimmern. Von der Terrasse her hört man Musik und Stimmen, das Klingen von Gläsern, hin und wieder ein lautes Lachen.

 

Kian und Liora haben sich ein Stück Kuchen genommen, zwei Gläser Wein und die Flasche gleich mit. Sie haben sich an den Rand des Gartens zurückgezogen, dorthin, wo eine alte Bank unter einem Apfelbaum steht. Die Luft ist still, nur das Zirpen der Grillen begleitet sie.

 

„Ich mag solche Abende,“ sagt Liora, als sie sich setzt. „Nicht zu laut, nicht zu steif. Nur Menschen, die sich wohlfühlen.“


„Dann bist du bei Ben richtig,“ meint Kian und lacht leise. „Er hat ein Talent dafür, aus jedem Abend ein kleines Fest zu machen.“

 

„Man merkt, dass ihr euch gut versteht,“ sagt sie, den Kopf leicht zur Seite geneigt. „Ihr seid wie Brüder, irgendwie.“

 

„Ja,“ antwortet Kian nachdenklich. „Wir sind ziemlich unterschiedlich, aber genau das funktioniert. Er redet – ich hör zu.“

 

„Eine gute Kombination,“ lächelt sie, „ich bin auch eher der Typ Zuhörerin. Vielleicht deshalb verstehen wir uns so gut.“

 

Er sieht sie an, und in der Dunkelheit glänzen ihre grünen Augen im Licht der kleinen Glühbirnen. Es ist kein aufdringlicher Blick, nur ein stilles Erkennen.
Diese seltene Art von Moment, in dem Worte überflüssig werden.

 

„Also,“ sagt sie schließlich mit einem leisen Lächeln, „was hat dich nach Falkensee verschlagen? Zufall?“

 

„Ein bisschen. Ich brauchte Abstand,“ sagt Kian ruhig, ohne zu zögern.


„Von was?“ fragt sie, nicht neugierig, sondern sanft.

 

Er zuckt die Schultern, nippt an seinem Wein. „Von einer Vergangenheit, die zu laut geworden war.“ Ein kurzes Schweigen, dann fügt er hinzu: „Aber hier ist es… stiller. Klarer. Ich mag das.“

 

Liora nickt, versteht mehr, als er sagt.


„Manchmal muss man weglaufen, um wieder stehen zu bleiben.“

 

Kian lächelt schwach. „Klingt nach Lebenserfahrung.“


„Oder nach einer guten Portion Chaos,“ sagt sie lachend. „Ich hab selbst genug davon.“

 

Sie reden weiter – über Reisen, Musik, kleine Zufälle des Lebens.
Es fühlt sich an, als würden sie sich schon ewig kennen. Jedes Thema fließt mühelos ins nächste, jedes Lachen ist ehrlich, jedes Schweigen angenehm.

 

Kian schenkt Wein nach, ihre Hände berühren sich kurz dabei.
Nicht geplant, nicht forciert – einfach da. Ein kurzer Stromstoß, ein stilles Lächeln beiderseits.

 

„Du bist anders, weißt du?“ sagt Liora irgendwann, fast beiläufig.


„Anders als was?“


„Als die meisten. Du redest nicht, um etwas zu sagen. Du sagst etwas, wenn’s wichtig ist.“

 

Kian sieht sie an, sein Blick weich. „Und du hörst zu, als würde es dir wirklich was bedeuten.“

 

Für einen Moment ist alles still.
Nur das ferne Lachen von Ben, das Klirren von Gläsern, das Rascheln der Blätter über ihnen. Liora hebt ihr Glas, ihr Lächeln warm.


„Auf den Sommer,“ sagt sie leise.


„Und auf gute Gespräche,“ ergänzt Kian.

 

Sie stoßen an, und als sich ihre Gläser berühren, schwingt in der Luft etwas mit, das neu ist. Zart. Ungezwungen. Wie ein Beginn, den keiner von beiden geplant hat – aber keiner verhindern möchte.