Falkensee - Kapitel 17



Die Sonne senkt sich langsam über Falkensee, taucht den Garten in ein warmes, goldenes Licht. Die Luft riecht nach Kräutern, Holzkohle und den letzten Sommertagen. Grillgut brutzelt leise auf dem Rost, und irgendwo in der Nachbarschaft läuft gedämpfte Musik.

 

Ben steht am Grill, die Zange in der Hand, während Hannah auf der Terrasse sitzt und Eistee in Gläser füllt.


„Weißt du, ich hätte wirklich nicht gedacht, dass sie ihn einlädt,“ sagt Hannah und wirft einen Blick zur Glastür, hinter der Elysia noch im Schlafzimmer ist.

 

„Aber als sie’s gesagt hat… da war irgendwas in ihrem Blick.“

 

Ben grinst, wendet das Fleisch und sieht sie kurz über die Schulter an. „Na, ich sag ja schon seit Monaten, dass zwischen den beiden was war. Man hat’s doch gesehen. Dieses... undefinierbare Knistern.“

 

„Knistern?“ wiederholt Hannah lachend. „Das ist kein Film, Ben.“

 

„Na und? Das ist besser als ein Film,“ entgegnet er. „Ich hab selten jemanden gesehen, der sich so unbewusst verrät, wie Kian, wenn sie zur Sprache kommt. Er tut immer so cool – aber die Augen? Die verraten alles.“

 

Hannah lehnt sich zurück, legt die Hände auf ihren leicht gewölbten Bauch.

 

„Ich glaub, sie war die Erste, die ihn wirklich berührt hat. Auf eine Weise, die nicht geplant war.“

 

Ben nickt nachdenklich. „Und er sie auch. Sonst hätt sie ihn nicht eingeladen. Elysia ist niemand, der Dinge aus Höflichkeit tut.“

 

„Das stimmt,“ sagt Hannah leise, und ihr Lächeln wird weich. „Ich glaub, sie hat in den letzten Monaten gelernt, auf ihr Herz zu hören.“

 

„Na, dann hoffen wir mal, dass Kian heute Abend nicht wieder den Gentleman spielt und alles verdrängt.“

 

„Ich glaub, das wird anders diesmal,“ murmelt Hannah, mehr zu sich selbst als zu ihm.

 

In diesem Moment öffnet sich die Terrassentür. Elysia tritt hinaus, das Sommerkleid leicht im Wind, die Haare offen. Das Licht der untergehenden Sonne legt sich wie ein goldener Schimmer auf sie.

 

Ben pfeift leise, gespielt anerkennend. „Na, wenn Kian jetzt nicht merkt, was Phase ist, dann weiß ich auch nicht.“

 

Hannah stupst ihn an. „Ben!“ flüstert sie, obwohl sie lächelt.

 

„Was?“ sagt er unschuldig. „Ich sag doch nur die Wahrheit.“

 

Elysia lacht, schüttelt leicht den Kopf. „Ich hab euch gehört, ihr wisst das, oder?“

 

„Natürlich,“ sagt Ben. „War ja Absicht.“

 

Sie lacht wieder – ehrlich, entspannt – und setzt sich zu Hannah an den Tisch. Für einen Moment ist alles ruhig, friedlich.

Dann ertönt das Knirschen von Reifen auf der Einfahrt. Ein Auto. Motor aus. Tür auf.

 

Elysia spürt, wie ihr Herz einen Schlag aussetzt.

 

Und dann steht Kian im Gartenweg. Dunkle Jeans, helles Hemd, in der Hand eine Flasche Wein. Die Sonne bricht durch die Blätter über ihm, und als er sie sieht, bleibt er kurz stehen – so, als müsste er sich vergewissern, dass das hier wirklich passiert.

 

Elysia erhebt sich langsam, ihre Lippen formen ein leises, warmes Lächeln.
„Da bist du ja,“ sagt sie nur.

 

„Natürlich,“ antwortet er ruhig, doch seine Stimme klingt weicher als sonst „Ich hätte das niemals ausgeschlagen.“

 

Ben kommt ihm entgegen, klopft ihm auf die Schulter. „Na endlich, Chef! Dachte schon, du überlegst’s dir noch.“

 

„Hab nur den guten Wein gesucht,“ sagt Kian schmunzelnd und hält die Flasche hoch.

 

„Dann bist du doppelt willkommen,“ ruft Ben.

 

Hannah steht auf, umarmt ihn herzlich. „Schön, dich zu sehen, Kian.“

 

„Dich auch,“ sagt er, dann wandert sein Blick wieder zu Elysia – und bleibt dort. Ein paar Sekunden, still, dicht, voll unausgesprochener Dinge.

 

„Setz dich,“ sagt sie schließlich mit einem kleinen Lächeln. „Der Abend ist schön.“

 

„Da stimme ich zu,“ antwortet Kian.

 

Und als er sich zu ihr an den Tisch setzt, während die Sonne langsam tiefer sinkt und die Gläser gefüllt werden,

spürt jeder am Tisch, dass dieser Abend anders wird – ruhig, ehrlich, bedeutungsvoll. Wie ein leiser Neubeginn, den keiner von ihnen geplant hat.

 

Der Abend senkt sich sanft über den Garten, und das Licht der kleinen Lampions, die Hannah aufgehängt hat, mischt sich mit dem goldenen Schein der letzten Sonnenstrahlen. Der Grill zischt leise, Teller klirren, und aus einem kleinen Lautsprecher klingt entspannte Musik.

 

Hannah schenkt Wein nach, für sich Eistee, Ben wendet das Fleisch auf dem Grill, und Kian sitzt da, das Glas in der Hand, während er lacht – ein ehrliches, warmes Lachen, das man bei ihm selten hört.


Elysia sitzt ihm gegenüber, die Beine locker übereinandergeschlagen, und jedes Mal, wenn sie ihn ansieht, spürt sie dieses leise Kribbeln in der Brust, das sie gleichzeitig überrascht und vertraut wirkt.

 

„Also, wer hätte gedacht,“ sagt Ben mit einem breiten Grinsen, „dass du, Mister ‚Ich bin verheiratet mit meinem Job‘, mal freiwillig an einem Freitagabend grillen gehst?“

 

Kian lacht, lehnt sich zurück. „Na ja, bei euch kann man schwer nein sagen. Außerdem…“ Er wirft einen kurzen Blick zu Elysia. „Manchmal lohnt es sich, spontan zu sein.“

 

Hannah sieht unauffällig zu Ben, und beide müssen ein Grinsen unterdrücken.


„Ach, so ist das also,“ sagt Ben gespielt ernst. „Na, dann trinken wir auf die Spontaneität!“

 

Er hebt sein Glas, Hannah und Elysia folgen, Kian ebenfalls.


„Auf spontane Entscheidungen,“ sagt Elysia mit einem kleinen, verschmitzten Lächeln, das direkt zu ihm hinübergleitet.

 

„Und auf gute Gesellschaft,“ ergänzt Kian ruhig, seine Stimme tief und warm.
Ihre Blicke treffen sich kurz über dem Glasrand – ein stiller Moment, der viel zu lange dauert, um Zufall zu sein.

 

„Na gut,“ sagt Ben lachend, „bevor ihr zwei euch noch gegenseitig hypnotisiert, sagt mir lieber einer, wo die Grillzange hingekommen ist.“

 

„Aufgegessen,“ sagt Hannah trocken, und das Gelächter, das folgt, löst die Spannung, die zwischen Kian und Elysia in der Luft liegt.

 

Das Gespräch fließt leicht – über Arbeit, über alte Geschichten, über Hannahs Heißhunger auf seltsame Essenskombinationen.


Ben erzählt, wie er beim letzten Mal versucht hat, zu kochen und Hannah sich übergeben musste, das ihrer Schwangerschaft geschuldet war, aber Ben persönlich genommen hat. Alle lachen. Und selbst Elysia, die sonst immer zurückhaltend lacht, hat Tränen in den Augen vor Vergnügen.

 

„Ich hab schon lange nicht mehr so gelacht,“ sagt sie schließlich leise, und Hannah legt ihr kurz die Hand auf den Arm. „Dann wurde es höchste Zeit.“

 

„Definitiv,“ sagt Kian und sieht sie wieder an.


Sein Blick ist weich, ehrlich – so, dass Elysia für einen Moment nicht weiß, wohin mit sich.

 

Die Gläser leeren sich, der Himmel färbt sich dunkelblau, und die Grillglut glimmt in rötlichen Tönen. Ein lauer Wind weht durch den Garten, trägt den Duft von Kräutern und Wein mit sich.

 

Hannah beobachtet die beiden unauffällig, wie ihre Blicke sich immer wieder treffen – kurz, still, mit dieser zarten Mischung aus Unsicherheit und Neugier, die nur zwischen zwei Menschen existiert, die etwas fühlen, aber es noch nicht zugeben wollen.

 

Ben lehnt sich zu ihr und flüstert, kaum hörbar: „Ich sag’s dir, die zwei finden  zusammen. Gib ihnen höchstens ein paar Tage.“

 

Hannah lächelt, ohne den Blick von Elysia und Kian zu nehmen.


„Ich hoffe es,“ flüstert sie zurück. „Beide haben’s verdient.“

 

Als sie die Teller abräumen, sitzen Kian und Elysia noch nebeneinander, die Stimmen etwas leiser, das Lächeln etwas weicher.

 

Der Abend liegt weich über dem Garten, die Lampions schimmern in warmem Licht, und die Luft ist erfüllt vom Klang gedämpfter Stimmen und leisem Lachen.


Elysia und Kian sitzen dicht beieinander am Tisch, die Gläser halb geleert. Sie reden – unbeschwert, lebendig, als hätten sie nie eine Pause gehabt. Ihre Stimmen klingen ruhig, aber voller Energie.


Kian erzählt mit leuchtenden Augen von seiner Arbeit – über einen Computer, der sich wie von Geisterhand selbst repariert hat.


Elysia lacht, lacht so frei, dass Hannah und Ben unwillkürlich lächeln müssen.

 

Ben lehnt sich zurück, den Arm um Hannah gelegt, und sieht sie mit diesem wissenden Blick an, den nur Menschen teilen, die genau dasselbe denken.


„Sieh sie dir an,“ murmelt er leise, während er ihr einen Kuss auf die Schläfe drückt. „Ich glaub, die beiden brauchen uns jetzt nicht mehr.“

 

Hannah sieht kurz zu Elysia und Kian hinüber – wie sie sich zueinander lehnen, wie sie lächeln, ohne sich zu zwingen, wie ihre Blicke ineinander ruhen, ohne Scheu.


„Nein,“ sagt sie leise, fast gerührt. „Ich glaub, du hast recht.“

 

Ben grinst. „Na also. Dann können wir ja jetzt offiziell in Rente gehen – als Kuppler erfolgreich abgemeldet.“

 

„Du bist unmöglich,“ flüstert Hannah, schmunzelt aber.

 

Er drückt sie sanft an sich. „Komm, wir lassen sie reden.“

 

Langsam stehen sie auf, räumen leise die leeren Gläser vom Tisch.


Kian und Elysia bemerken es kaum, sie sind zu vertieft in ihr Gespräch.


Elysia erzählt gerade von der Bäckerei, von der Freude an ihrer Arbeit –
und Kian sieht sie an, als würde er jedes einzelne Wort in sich aufnehmen.

 

„Na ihr zwei,“ sagt Ben schließlich mit gespieltem Ernst, „wir hauen uns jetzt aufs Ohr. Ihr habt den Garten für euch allein – aber wehe, ihr nutzt die Chance nicht.“

 

Elysia lacht, etwas verlegen. „Wir geben uns Mühe.“

 

„Das hoffe ich,“ meint Ben und blinzelt ihr schelmisch zu.

 

Hannah schüttelt den Kopf, lacht leise. „Gute Nacht, ihr zwei.“


Sie sieht Elysia an – kurz, warm, bedeutungsvoll – und in diesem Blick liegt all das, was sie nicht laut sagt: Trau dich. Lass es zu.

 

„Schlaft gut,“ sagt Kian ruhig, „und danke für den schönen Abend.“

 

„Ihr habt ihn schön gemacht,“ antwortet Hannah, und dann verschwinden sie ins Haus.


Die Terrassentür fällt leise ins Schloss.

 

Zurück bleibt nur das Knistern der letzten Kohlen, das Zirpen der Grillen –
und zwei Menschen, die sich endlich wiedergefunden haben,
unter einem Himmel, der langsam in Sterne übergeht.

 

Der Garten liegt still in der Nacht. Nur das leise Zirpen der Grillen und das sanfte Knistern der letzten Kohlen sind zu hören. Über ihnen spannt sich ein samtblauer Himmel, übersät mit Sternen.


Die Lampions werfen ein weiches Licht auf ihre Gesichter, und der Duft von gegrilltem Fleisch und Rosmarin hängt noch in der Luft. Elysia und Kian sitzen nebeneinander am Tisch, beide mit einem Glas Wein in der Hand.


Seit Ben und Hannah ins Haus gegangen sind, ist es ruhig geworden – eine angenehme, fast vertraute Ruhe. Sie reden nicht sofort weiter, sondern genießen diesen Moment, in dem alles leicht und friedlich wirkt.

 

Elysia nippt an ihrem Glas, blickt dann zu Kian hinüber. Sein Profil wird vom warmen Licht gestreift – die markanten Züge, der kurze Bart, die ruhige Haltung. Er wirkt gelassen, doch seine Augen verraten, dass in ihm immer etwas arbeitet.

 

„Es ist… schön hier,“ sagt sie schließlich leise, fast beiläufig, um das Schweigen zu brechen.

 

Kian lächelt kaum merklich. „Ja. Ich mag die Abende, wenn’s ruhig wird. Wenn alles irgendwie… echt ist.“

 

Sie nickt, sieht kurz in ihr Glas. „Echt. Das ist ein gutes Wort.“

 

Ein paar Sekunden vergehen, dann stellt er das Glas beiseite und lehnt sich leicht vor. Seine Stimme ist ruhig, aber ernst.


„Wie geht’s dir wirklich, Elysia?“

 

Sie hebt den Blick – überrascht, vielleicht auch ertappt.


„Ich… hab doch gesagt, mir geht’s gut.“

 

„Das sagst du,“ antwortet er sanft. „Aber das war nicht meine Frage.“

 

Elysia atmet tief durch. Ihre Finger umschließen das Weinglas fester. Sie sieht auf den Tisch, dann wieder zu ihm. In seinem Blick liegt kein Druck, kein Misstrauen – nur ehrliches Interesse.

 

„Morgen,“ beginnt sie leise, „fahr ich zu Valerian. Um meine Sachen zu holen.“
Sie pausiert kurz, ihre Stimme wird noch leiser. „Ich hab Angst davor.“

 

Kian sagt nichts, er lässt sie reden.

 

„Nicht, weil ich denke, dass er mir etwas antun würde,“ fährt sie fort. „Aber… weil ich nicht weiß, wie es sich anfühlen wird, dorthin zurückzukehren. In dieses Haus. In diese Räume, die sich immer leer angefühlt haben, obwohl sie voll waren. Ich hab’s so lange gemieden, dass allein der Gedanke daran mich… schwach macht.“

 

Kian nickt langsam. „Das versteh ich.“

 

Sie sieht ihn an, ein flüchtiges, gequältes Lächeln. „Ich weiß, es ist dumm. Es sind nur Wände, Möbel, Erinnerungen. Aber es fühlt sich an, als würde ich in ein altes Leben zurückkehren, das ich eigentlich begraben wollte.“

 

„Es ist nicht dumm,“ sagt Kian ruhig. „Es ist menschlich.“


Er lehnt sich zurück, sein Blick wandert kurz über den dunklen Garten.

 

„Manchmal sind’s genau die Orte, die am meisten wehtun, die man einmal loslassen muss, um wirklich frei zu sein.“

 

Elysia lächelt schwach, aber ehrlich. „Das klingt so einfach, wenn du’s sagst.“

 

„Einfach ist es nie,“ entgegnet er. „Aber du bist stärker, als du glaubst. Das hast du schon bewiesen.“

 

Sie hält seinem Blick stand, und für einen Augenblick wird die Welt ganz still.
Keine Worte, kein Lächeln – nur zwei Menschen, die sich wirklich sehen.

 

„Danke,“ sagt sie schließlich, fast flüsternd. „Für… alles. Für damals. Für jetzt.“

 

Kian schüttelt leicht den Kopf, seine Stimme ist weich. „Du musst mir nicht danken. Ich bin froh, dass du da bist.“

 

Ein Hauch von Wind weht durch den Garten, bewegt eine Haarsträhne an Elysias Wange.


Kian beobachtet, wie sie sie mit den Fingern zur Seite streicht, und in seinem Innern regt sich etwas, das er lange verdrängt hat – dieses warme, gefährlich vertraute Gefühl.

 

„Ich wünsch dir, dass morgen gut wird,“ sagt er schließlich. „Und dass du’s hinter dir lassen kannst.“

 

Elysia nickt, sieht zu den Sternen hinauf.


„Ich hoffe es auch,“ murmelt sie.

 

Dann schweigen sie wieder, trinken den letzten Schluck Wein –
und irgendwo zwischen den Schatten des Gartens und dem leisen Zirpen der Nacht wächst etwas.

 

Der Wein ist fast leer, das Licht der Lampions flackert sachte im warmen Sommerwind. Das Schweigen zwischen ihnen ist nicht unangenehm, sondern schwer von Gedanken, die beide nicht aussprechen.


Dann stellt Kian plötzlich das Glas ab, stützt die Unterarme auf den Tisch und sieht in die Dunkelheit hinaus.

 

„Weißt du,“ beginnt er leise, „ich versteh deine Angst vor dem, was morgen kommt. Ich hab auch mal festgehangen… in etwas, das ich loslassen musste, obwohl ich’s nicht wollte.“

 

Elysia sieht ihn an, aufmerksam, ihre Finger spielen gedankenverloren mit dem Glasrand.


„Du meinst… deine letzte Beziehung?“ fragt sie vorsichtig.

 

Er nickt. „Ja. Drei Jahre war ich mit ihr zusammen. Julia.“ Er lächelt kurz, aber ohne Wärme. „Wir haben zusammengelebt, Pläne gemacht, Urlaube gebucht… Das ganze Paket. Ich dachte, sie ist die Eine. Und sie hat mich immer wieder überzeugt, dass ich ihr vertrauen kann.

 

Selbst dann, als mir längst klar war, dass da was nicht stimmt.“ Er schüttelt leicht den Kopf, sein Blick verliert sich kurz im Garten. „Ich hab’s verdrängt. Wollte’s nicht sehen. Freunde haben mich gewarnt, aber ich hab an das Bild geglaubt, das ich von ihr hatte. Bis irgendwann die Wahrheit so offensichtlich war, dass ich sie nicht mehr ignorieren konnte.“

 

Elysia schweigt. Sie sieht die Ruhe in seinem Gesicht, aber auch diesen Hauch von Verletzlichkeit, der sich darin spiegelt.


„Und dann bist du gegangen,“ sagt sie leise.

 

„Ja,“ murmelt er. „Ich hab meine Sachen gepackt, später die Stadt verlassen und bin hierher. Falkensee war nie geplant – aber irgendwie… fühlt es sich richtig an, hier zu sein. Ein Neuanfang. Kein Ballast, keine Erinnerungen an sie. Nur… Luft zum Atmen.“

 

Elysia betrachtet ihn einen Moment lang. Wie er da sitzt – offen, ehrlich, ohne Bitterkeit. Sie sieht seine Stärke, aber auch den stillen Schmerz, den er hinter diesem ruhigen Lächeln trägt. Und sie denkt, dass es unbegreiflich ist, wie jemand so einen Mann betrügen konnte.

 

„Ich versteh nicht,“ sagt sie leise, „wie man so jemanden wie dich betrügen kann.“

 

Er sieht sie an, überrascht von ihrer Direktheit. Ein Lächeln huscht über seine Lippen – kein selbstbewusstes, sondern ein ehrliches, fast schüchternes.


„Ich war wahrscheinlich zu gutgläubig,“ sagt er. „Oder einfach blind vor Liebe.“

 

„Oder sie hat nicht erkannt, was sie hatte,“ erwidert Elysia ruhig. Ihre Worte hängen kurz zwischen ihnen, warm, ehrlich.


Kian hält ihrem Blick stand, und in seinem Ausdruck liegt Dankbarkeit – und ein leises, tiefes Staunen darüber, dass jemand seine Geschichte nicht mit Mitleid, sondern mit Verständnis hört.

 

„Vielleicht,“ sagt er schließlich. „Aber heute bin ich froh, dass es so gekommen ist. Sonst wär ich nicht hier. Und… hätte dich nie getroffen.“

 

Elysia spürt, wie ihr das Herz einen Schlag aussetzt. Sie will etwas sagen, findet aber keine Worte. Also lächelt sie nur, zart und aufrichtig, und ihre Augen verraten mehr, als sie sagen könnte.

 

„Das Leben meint es manchmal eigenartig gut mit uns,“ sagt sie leise.

 

„Ja,“ antwortet Kian, und sein Blick bleibt auf ihr. „Manchmal eben genau dann, wenn man’s am wenigsten erwartet.“

 

Ein leises Lächeln breitet sich auf beiden Gesichtern aus. Und in der warmen Stille, die folgt, scheint die Nacht den Atem anzuhalten – als hätte sie verstanden, dass hier gerade etwas beginnt, das keiner von ihnen geplant hat.

 

Das Gespräch nimmt langsam wieder eine leichtere Wendung.
Die Schatten der Nacht liegen sanft über dem Garten, und das Licht der Lampions wird schwächer, flackert im warmen Wind.


Kian und Elysia lehnen sich entspannt zurück, und aus ernsten Gedanken wird nach und nach leises Lachen.

 

„Also du willst mir wirklich erzählen,“ sagt Elysia und hebt eine Augenbraue, „dass du deinen Schrank absichtlich schief aufgebaut hast?“

 

Kian zieht gespielt beleidigt die Brauen zusammen. „Ich hatte eine Anleitung! Sie war nur… unbrauchbar. Darum ist er heute schief.“

 

Elysia lacht so herzlich, dass sie sich kaum halten kann. „Unbrauchbar? Du hast wahrscheinlich die Hälfte ignoriert!“

 

„Das war kreative Freiheit,“ kontert er trocken. „Ich wollte einen individuellen Schrank.“

 

„Und? Steht er noch?“

 

„Na ja…schief aber er steht noch.“

 

Elysia schüttelt lachend den Kopf. „Das ist wirklich beeindruckend. Drei Jahre Informatik, aber ein Regal bringt dich an deine Grenzen.“

 

„Hey,“ ruft Kian und lacht, „Computer sind berechenbar. Regale nicht!“

 

Sie lachen beide, so frei und unbeschwert, dass sie völlig das Zeitgefühl verlieren. Witze, kleine Neckereien, Geschichten aus dem Alltag – alles fließt, als wären sie alte Freunde, die sich nach Jahren wiedergefunden haben.

 

Elysia lehnt sich irgendwann zurück, wischt sich lachend eine Träne aus dem Augenwinkel. „Ich hab schon lange nicht mehr so viel gelacht.“

 

Kian sieht sie an, sein Blick ist weich, fast nachdenklich. „Das ist schön. Du solltest öfter so lachen.“

 

Sie hält kurz inne, erwidert seinen Blick – und dann, um das flatternde Gefühl in ihrer Brust zu vertreiben, stößt sie ihn leicht mit dem Ellbogen an.

 

„Komplimente sind also auch Teil deiner Abendunterhaltung?“

 

„Nur, wenn sie ehrlich sind,“ erwidert er ruhig.

 

Einen Moment lang ist es still zwischen ihnen, dieses angenehme, vertraute Schweigen, das sich einstellt, wenn Worte nicht nötig sind.

 

Dann zieht Kian sein Handy aus der Hosentasche, wirft einen Blick auf die Uhr – und runzelt überrascht die Stirn.


„Oh wow. Es ist… halb vier.“

 

„Was?“ Elysia lacht ungläubig, beugt sich vor. „Nein!“

 

„Doch,“ sagt Kian und zeigt ihr das Display. „Offiziell haben wir die Nacht durchgeredet.“

 

„Das glaub ich jetzt nicht,“ murmelt sie, steht auf und streckt sich. „Kein Wunder, dass mir die Augen brennen.“

 

Kian erhebt sich ebenfalls, nimmt seine Jacke vom Stuhl. „Ich sollte dann wohl besser los, bevor Hannah denkt, ich hab hier Wurzeln geschlagen.“

 

Elysia lacht leise. „Zu spät. Ich glaub, sie hat längst Verdacht geschöpft.“

 

„Oh nein,“ sagt Kian gespielt entsetzt. „Dann muss ich wohl fliehen.“

 

„Ich bring dich noch zum Auto,“ sagt sie, und er nickt.

 

Sie gehen gemeinsam durch den stillen Garten. Die Nacht ist lau, der Himmel voller Sterne. Das Gras unter ihren Füßen glitzert vom Tau. Am Auto angekommen, bleibt Kian stehen, dreht sich zu ihr um.


„Danke für den Abend,“ sagt er leise. „Ich… hab das genossen.“

 

Elysia lächelt, ihre Augen spiegeln das Licht der Straßenlaterne. „Ich auch.“

 

Ein kurzer Moment Stille. Dann tritt sie einen Schritt näher, zögert kurz – und umarmt ihn. Er erwidert die Umarmung sofort, sanft, aber fest. Es ist kein flüchtiges, höfliches „Danke-und-gute-Nacht“-Drücken.


Es ist warm, ehrlich, still.

 

Ihre Körper ruhen einen Herzschlag zu lang aneinander, ihre Atmung passt sich an, und Kian spürt den vertrauten Duft ihres Haares, dieses weiche Gefühl, das ihn unerwartet trifft.


Sie lösen sich nur langsam voneinander, und für einen Augenblick bleibt ihr Blick in seinem hängen.

 

„Schlaf gut,“ sagt sie leise.

 

„Du auch,“ antwortet er, seine Stimme tiefer als sonst.

 

Er steigt ins Auto, und als er den Motor startet und losfährt, sieht sie ihm nach, bis die Rücklichter hinter der Biegung verschwinden.


Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht, sie legt die Arme um sich selbst – nicht, weil ihr kalt ist, sondern weil sich alles in ihr seltsam lebendig anfühlt. Und irgendwo, auf der nächtlichen Straße, fährt Kian mit einem Grinsen nach Hause, während in seinem Kopf nur ein einziger Gedanke kreist:

 

Manchmal passieren die schönsten Dinge, wenn man sie am wenigsten erwartet.