Falkensee - Kapitel 26
Der Morgen dämmert nur zögerlich, als hätte selbst der Winter keine Lust aufzustehen. Draußen fällt noch immer leichter Schnee, die Welt ist gedämpft, leise, in Watte gepackt.
Kian sitzt am Küchentisch. Vor ihm steht seine Tasse Kaffee, der Dampf kräuselt sich langsam nach oben. Er hat eine Hand um die Tasse gelegt, als würde die Wärme ihm helfen, klarer zu denken. Er sieht in den dunklen Spiegel des Kaffees – und dort spiegelt sich genau das wider, was in ihm arbeitet.
Ein Umzug. Elysia.Brunnental. Ein neues Leben.
Er streicht sich über die Stirn und lehnt sich im Stuhl zurück.
Was würde das bedeuten?
Er lässt den Gedanken bewusst zu – nicht wie einen flüchtigen Traum, sondern wie einen Plan, der Form annimmt.
Er liebt seinen Job. Er ist gut darin, hat Verantwortung, hat ein Team, das ihm vertraut. Aber…
Brunnental ist nicht aus der Welt. Vielleicht könnte er pendeln? Oder in einer angrenzenden Stadt etwas Neues finden? Er wäre kein Mann, der einfach joblos irgendwo auftaucht. Dafür ist er zu bodenständig. Zu verantwortungsvoll.
Aber Job ≠ Zuhause.
Und sein Zuhause… fühlt sich mehr und mehr dort an, wo sie ist.
Kian sieht sich kurz im Raum um. Die Küche, die er selbst renoviert hat. Die Fotos an der Wand. Die Pflanzen, die erstaunlicherweise noch leben. Seine Wohnung ist gut. Schön. Ordentlich. Aber kein Ort, an den er abends mit Herzklopfen zurückkehrt. Er lächelt schwach.
Seine Mutter wohnt nicht weit weg.
Sie würde ihn vermissen… aber sie würde sich für ihn freuen. Sie sagt ständig
„Eines Tages findest du jemanden, für den du ohne Zögern umziehst.“
Vielleicht ist dieser Tag da.
Der wichtigste Punkt.
Elysia.
Ihr Lachen. Ihre Wärme. Die Art, wie sie morgens mit zerzausten Haaren in der Küche steht. Wie sie ihn ansieht, als würde sie etwas in ihm sehen, das er selbst fast vergessen hatte.
Er denkt an sie im Wintermantel, die Wangen rot vor Kälte An ihre weichen Augen, wenn sie müde ist. An ihre Stimme, wenn sie sagt:
„Ich vermisse dich.“
Er zieht scharf Luft ein. Dieser Satz… hat ihn gestern mehr getroffen als alles andere. Er nimmt einen Schluck Kaffee. Er schmeckt bitterer als sonst. Oder vielleicht ist er selbst bitter-süßer als sonst.
Ein Leben mit Elysia. Nicht nur am Wochenende. Nicht nur im Übergang zwischen Fahrten. Richtig. Alltag. Gemeinsame Sonntage. Gemeinsames Aufwachen. Gemeinsames Leben.
Kian spürt, wie sein Herz schneller schlägt. Nicht vor Angst. Vor Vorfreude.
Er lehnt sich wieder vor, die Hände fest um die Tasse.
„Ich glaube…“, murmelt er in die Stille der Küche, „…ich bin soweit.“
Der Schnee draußen fällt leise weiter, als hätte die Welt selbst beschlossen, diesen Gedanken zu unterstreichen. Und Kian sitzt da, eine Hand an seiner Tasse, ein kleines, ehrliches Lächeln auf den Lippen – entschlossen.
Kian hat die Kaffeetasse ausgetrunken, den Mantel übergeworfen und sitzt wenige Minuten später im Auto. Der Schnee fällt in ruhigen, dichten Flocken, und die Straßen sind noch kaum befahren. Ein stiller, winterlicher Morgen, eigentlich genau das Richtige, um seine Gedanken zu sortieren.
Normalerweise nimmt er die Hauptstraße Richtung Firma, doch heute zwingen Bauarbeiten ihn auf eine Umleitung. Ein gelbes Schild. Ein Pfeil nach links. Und in dem Moment wird ihm bewusst, welche Straße ihn erwartet.
Valerians Straße.
Kian drückt die Lippen aufeinander, der Name löst automatisch ein Stechen in seiner Brust aus. Er versucht, ruhig zu bleiben, doch als er in die Straße einbiegt, fühlt sich sein Magen plötzlich flau an.
Kians Gedanken schießen unwillkürlich zu Elysia.
Zu den Worten, die sie ihm einmal gesagt hat:
„Die Scheidung läuft. Es ist endlich vorbei.“
Vorbei… ja. Fertig noch nicht. Ganz abgeschlossen noch nicht. Und dieses „noch nicht“ sitzt Kian wie ein Stein im Hals. Er sieht kurz zum Haus, das halb im Schnee versinkt. Und plötzlich taucht ein Bild vor seinem inneren Auge auf, das er nicht haben will:
Valerian, der irgendetwas repariert, aufräumt, neu macht.
So, als würde er etwas wieder aufbauen wollen. Etwas zurückgewinnen wollen.
Elysia.
Kurz ballt Kian die Hand am Lenkrad. Nicht aus Eifersucht – nicht mehr.
Aber aus Sorge. Aus dem instinktiven Gefühl heraus, dass ein Kapitel selten ohne letzte Schatten endet. Er zwingt sich, den Blick loszureißen.
Fährt weiter. Doch seine Gedanken schweifen nicht ab.
Ob er weiß, dass ich bei ihr bin?
Ob er es akzeptiert?
Oder ob er… hofft?
Kian atmet schwer aus, als er die nächste Straße erreicht und Valerians Haus im Rückspiegel kleiner wird.
„Dann soll er hoffen“, murmelt Kian leise. „Elysia hat sich entschieden.“
Er weiß, dass das stimmt. Und trotzdem… sticht der Gedanke kurz.
Ben ist bereits im Büro, Kaffee in der Hand, und sieht sofort Kians Gesichtsausdruck.
„Du schaust, als hättest du gerade einen Geist gesehen“, sagt Ben und hebt eine Braue.
Kian hängt die Jacke weg, setzt sich langsam.
„Ich musste heute an Valerians Haus vorbei.“
Ben pfeift leise.
„Autsch. Und?“
„Er war vor dem Haus, hat irgendwas repariert.“ Kian reibt sich über den Nacken. „Es hat mich… getroffen.“
Ben setzt sich auf die Tischkante.
„Weil er noch ihr Mann ist.“
Kian nickt, ganz ehrlich.
„Ja. Genau deshalb.“
Ben sagt eine Weile nichts. Nippt an seinem Kaffee. Sieht Kian dabei ruhig an.
„Kian“, sagt er dann. „Elysia lebt getrennt. Sie hat einen Prozess angestoßen.
Aber du darfst nicht vergessen – Scheidung ist nicht nur Papier. Da hängen Erinnerungen dran. Geschichten. Brüche. Und Wunden.“
Kian nickt, hört aufmerksam zu.
„Aber weißt du, was mich beruhigt?“, fragt Ben.
„Hm?“
„Dass sie sich dir komplett geöffnet hat. Dass sie dich will. Dass sie ehrlich war. Ich hab dein Gesicht gesehen, nachdem ihr euch wiedergefunden habt, und ich hab auch ihr Gesicht gesehen, nachdem du sie heimgebracht hast.“
Kian lächelt schwach.
„Und jetzt kommst du in das Leben einer Frau, die etwas Altes beendet – und mit dir etwas Neues beginnt.“
Er atmet tief aus.
„Ich weiß. Nur… der Gedanke, dass er noch in ihrem Leben existiert, wenn auch nur auf dem Papier… das macht mich manchmal fertig.“
Ben nickt verständnisvoll.
„Normal. Menschlich. Aber überleg mal: Für wen lächelt sie? Für dich.“
Kian senkt den Blick – und lächelt.
„Ja“, flüstert er. „Für mich.“
Und in diesem Moment wird ihm wieder klar: Der Umzug wäre nicht nur eine Bauchentscheidung. Es wäre eine Herzenentscheidung.
Der Schnee fällt noch immer leise, als Valerian in seinem frisch renovierten Wohnzimmer steht. Die Wände sind neu gestrichen, ein helles Grau, modern und neutral. Viel anders als vorher. Er hat das Gefühl, dass das Haus neu werden muss. Dass alles neu werden muss. Für einen Neuanfang, sagt er sich.
Für sie.
Er streicht sich über den Bart, blickt hinaus in den verschneiten Garten und denkt an Elysia. Wie sie früher dort gestanden hatte, mit einer Tasse Tee in der Hand. Wie sie gelacht hatte, wenn die ersten Schneeflocken fielen. Wie sie abends auf dem Sofa eingeschlafen war, den Kopf an seiner Schulter.
„Sie kommt zurück“, murmelt er.
Fast so, als würde er sich selbst davon überzeugen müssen. Hinter ihm räumt die Haushälterin – Frau Schubert – die Küche auf. Sie ist seit Jahren im Haus, hat Valerian und Elysia durch Höhen und Tiefen erlebt. Sie kennt beide besser, als sie zugeben würden.
„Herr Auberon?“ ruft sie schließlich. „Wollen Sie einen Tee?“
„Ja, gern“, antwortet er.
Als Frau Schubert ihm die Tasse bringt und auf den kleinen Glastisch vor ihm stellt, bleibt sie stehen. Einen Moment zu lange.
Valerian bemerkt es. Er kennt diesen Blick von ihr.
„Sie wollen etwas sagen. Also sagen Sie es.“
Frau Schubert räuspert sich, nestelt an der Schürze.
„Ich wollte nur fragen… ob Sie wirklich glauben, dass Frau Auberon zurückkommt.“
Er atmet tief ein.
„Natürlich tut sie das. Sie ist verwirrt. Überfordert. Sie hat viel durchgemacht.
Sie braucht Zeit, das ist alles.“
Frau Schubert nickt langsam.
„Zeit… ja. Das braucht sie bestimmt.“ Doch ihr Gesicht verrät Zweifel.
Valerian verengt die Augen.
„Aber?“
Frau Schubert atmet leise aus.
„Ich möchte ehrlich zu Ihnen sein, Herr Auberon. Sie wissen, ich bin Ihnen und Frau Auberon immer verbunden gewesen. Aber…“ Sie zögert kurz. Sucht nach den richtigen Worten. „Ich glaube nicht, dass sie zurückkommt.“
Valerian wirkt getroffen – als hätte sie ihm gerade eine Ohrfeige gegeben.
„Wie kommen Sie darauf?“
Frau Schubert sieht ihn ruhig an. Mit dem Blick einer Frau, die schon zu viele gebrochene Herzen im Leben gesehen hat.
„Weil ich sie lange genug kenne. Weil ich gesehen habe, wie sie die letzten Jahre hier… gegangen ist. Nicht körperlich, aber innerlich.“ Sie senkt die Stimme. „Und weil ich gehört habe, dass sie aufblüht, seit sie weg ist.“
Valerian starrt sie an.
„Das… ist nicht wahr.“
Frau Schubert hebt die Augenbrauen nur leicht.
„Doch.“
Er schüttelt den Kopf. Fast wütend, aber mehr verzweifelt.
„Sie… sie weiß nicht, was sie tut. Es war nur eine Phase. Stress. Ich habe Fehler gemacht, ja, aber… wir hatten doch einen Neuanfang geplant. Wir waren doch...“
„Herr Auberon.“ Ihre Stimme ist sanft, aber bestimmt. „Mit Verlaub: Sie hatten einen Neuanfang geplant. Frau Auberon wirkte zufrieden als sie hier war.“
Valerian verstummt.
Es ist selten, dass Frau Schubert so direkt wird.
Valerians Kiefer spannt sich. Ein bitteres Lächeln.
„Wegen ihm, meinen Sie?“
Frau Schubert senkt den Blick.
„Vielleicht. Vielleicht auch einfach wegen sich selbst.“
Valerian stellt die Tasse ab, seine Hände zittern leicht.
„Ich liebe sie. Ich habe nie aufgehört, sie zu lieben.“
Helene sieht ihn mitfühlend an.
„Ich weiß.“
„Und ich tue alles für sie. Ich baue das Haus um. Ich… ändere mich.“
„Für sie? Oder für die Vorstellung von ihr?“ Frau Schuberts Stimme ist weich, aber scharf wie ein Skalpell.
Valerian atmet schwer. Seine Augen sind feucht.
„Sie kommt zurück“, sagt er noch einmal – aber diesmal klingt es weniger überzeugend. Mehr flehend. Mehr hoffend.
„Lassen Sie ihr die Freiheit, zu entscheiden“, sagt Frau Schubert.
Er sieht sie an. Ein verletzter Mann, der an einer Vergangenheit festhält, die längst keine Gegenwart mehr ist.
„Und wenn ihre Entscheidung nicht Sie ist…?“ fragt Frau Schubert leise.
Valerian schließt die Augen.
„Das… akzeptiere ich nicht.“
Frau Schubert senkt den Kopf, traurig.
„Dann werden Sie noch sehr viel Schmerz erleben, Herr Auberon.“
Frau Schubert hat das Wohnzimmer längst verlassen. Doch ihre Worte hängen noch immer wie kalter Nebel in der Luft.
„Ich glaube nicht, dass sie zurückkommt.“
„Lassen Sie ihr die Freiheit, zu entscheiden.“
„Und wenn ihre Entscheidung nicht Sie ist…?“
Valerian steht mitten im halbleeren Raum, den er für Elysia renovieren ließ.
Für sie. Für den Neubeginn, den er sich ausgemalt hat. Nicht für die Realität.
Er starrt auf die frisch gestrichene Wand, aber sieht in Gedanken nur ihr Gesicht. Ihr trauriges Lächeln das so stark wirkte. Ihre feste Stimme.
Ihre ruhige Hand, mit der sie den Schlüssel auf den Tisch gelegt hatte. Und plötzlich ist die Verzweiflung wieder da. Ungezähmt. Laut.
„Ich lasse sie nicht los“, flüstert er, fast unhörbar.
Er setzt sich auf die Kante des Sofas, vergräbt das Gesicht in den Händen.
Die Stille drückt auf seine Brust. Es ist diese Leere, die ihn antreibt – die Angst davor, wirklich allein zu sein. Langsam hebt er den Kopf. Etwas in ihm kippt.
Von Traurigkeit zu Entschlossenheit. Von Hoffnung zu… Kampfgeist.
Er steht auf, greift nach seinem Handy. Zuerst zögert er.
Aber nur kurz. Dann tippt er die Nummer.
Sein Anwalt.
Nach zwei Freizeichen meldet sich eine Stimme:
„Herr Auberon? Alles in Ordnung?“
„Ich möchte das Scheidungsverfahren… verlangsamen“, sagt Valerian mit gewohnter Kälte.
Ein Moment Stille.
„Wie meinen Sie das?“
Valerian blickt wieder zur frisch gestrichenen Wand.
„Ich werde nicht zustimmen. Noch nicht. Es ist… zu früh.“
„Aber Frau Auberon...“
„Elysia braucht Zeit!“ Seine Stimme bricht kurz, doch er fängt sich sofort „Ich… ich will nicht, dass das so schnell vorbei ist. Ich bin noch ihr Mann.“
Der Anwalt räuspert sich.
„Rein rechtlich können Sie Verzögerungen bewirken. Aber es macht die Lage… kompliziert.“
„Gut“, sagt Valerian leise. „Dann machen wir es kompliziert.“
Er atmet tief ein, die Augen brennen. „Ich werde um sie kämpfen.“ Die Worte klingen mehr nach einem Schwur als nach einem Plan.
„Wie Sie wünschen“, sagt der Anwalt.
Valerian beendet das Gespräch indem er einfach auflegt - ohne einen konkreten Plan zu haben. Er hält das Handy noch eine Weile in der Hand, starrt darauf, als würde er das Schicksal selbst festhalten.
Dann legt er es langsam weg. Er spürt die Konsequenzen. Er weiß, dass diese Entscheidung Kreise ziehen wird. Aber in seinem Herzen fühlt es sich an wie der einzige Weg, nicht kampflos aufzugeben.
„Elysia soll wissen“, flüstert er, „dass wir nicht am Ende sind.“
Doch der Winter vor seinem Fenster weiß es besser. Die Schneeflocken fallen leise, aber unerbittlich. Und irgendwo in Brunnental ahnt Elysia noch nichts davon … dass Valerian nicht bereit ist, loszulassen.
Noch lange nicht.
Frau Schubert sitzt am kleinen Küchentisch, die Hände gefaltet, der Blick nach innen gerichtet. Draußen fällt der Schnee sanft, friedlich – ein irritierender Kontrast zu dem, was sie fühlt.
Sie kennt Valerian seit vielen Jahren. Sie erlebt, wie er liebt, wie er kämpft, wie er leidet. Und sie erinnert sich genau an die Zeit, in der seine Liebe sich verändert. Anfangs behandelt er Elysia wie etwas Kostbares. Zärtlich. Aufmerksam.
Doch irgendwann wird er ungeduldig. Sein Temperament zeigt sich immer öfter. Das scharfe Einatmen, wenn etwas nicht nach Plan läuft. Der Blick, der plötzlich dunkel wird. Die Stimme, die zu laut wird. Die Türen, die knallen. Die Schritte, die zu hastig sind. Er schlägt nie zu.
Nie.
Aber manchmal muss ein Mann nicht schlagen, damit eine Frau Angst bekommt.
Manchmal reicht die Anspannung im Raum. Die kontrollierte Wut in seinen Schultern. Die Art, wie er den Kiefer presst. Frau Schubert sah Elysia damals jeden Tag.
Wie sie zusammenzuckte, wenn Valerian unerwartet ins Zimmer kam.
Wie sie nervös an ihrer Halskette spielte.
Wie sie ihre Stimme senkte, um ihn nicht zu reizen.
Wie sie stiller wurde. Blasser. Müder.
Und dann kam dieser Tag, den Frau Schubert nie vergisst:
Elysia stand in der Küche, die Tasse zitterte in ihren Händen, ihre Augen waren glasig vor Erschöpfung.
Sie flüsterte:
„Ich habe Angst, Frau Schubert.
Nicht vor dem, was er tut.
Sondern davor, was er tun könnte.“
Dieser Satz brannt sich bis heute in Frau Schuberts Herz. Seit Elysia ausgezogen ist, hofft Frau Schubert, dass Valerian endlich zur Ruhe kommt. Dass er akzeptiert. Dass er loslässt.
Doch heute – nachdem er sagte:
„Ich werde um sie kämpfen.“
„Ich bin noch ihr Mann.“
und nachdem er das Scheidungsverfahren absichtlich verlangsamen will…
Heute spürt Frau Schubert wieder diese alte Beklemmung. Dieses Gefühl, das sie immer hatte, kurz bevor ein Streit ausbrach. Ein Gefühl wie ein kalter Schatten im Haus.
Valerian ist kein schlechter Mensch. Aber er ist aufbrausend. Impulsiv.
Und er verliert den Boden, wenn er emotional unter Druck steht.
Wenn er in dieser Hoffnung stecken bleibt…
Wenn seine Verzweiflung wächst…
Wenn seine Enttäuschung sich in Wut verwandelt…
Dann könnte es gefährlich werden.Für ihn selbst.
Und für Elysia.
Frau Schubert steht langsam auf. Sie löst die Hände voneinander, streicht die Schürze glatt und atmet tief ein. Sie muss etwas tun. Sie muss Elysia warnen.
Bevor alte Ängste zurückkehren. Bevor Valerians Schmerz ihn an einen dunklen Ort führt.
Der Schnee fällt leise weiter. Und in Frau Schuberts Brust wächst die Gewissheit:
Wenn sie jetzt nichts sagt, dann sagt vielleicht bald jemand anderes –
zu spät.