Lyra & Fenris - Moonbound Kapitel 5
V. I. MCMIV
Nach einer Nacht, die ihren Bund erneuert und Fenris’ Angst zum Schweigen bringt, trennen sich ihre Wege:
Während Fenris tief in die Krypten der Kathedrale hinabsteigt und dort eine Spur entdeckt, die zum zerrissenen Siegel und einem verhängnisvollen Datum führt, sucht Lyra an der Oberfläche nach Antworten.
Ihre Recherche enthüllt den Namen eines gebrochenen Adligen - doch Rosevil selbst scheint zuzuhören.
Zwischen wissenden Blicken, unheimlichen Händlern und einer Stimme, die Fenris für sich beansprucht, wird klar:
Der Anker hält noch - aber er wird bereits geprüft.
Der Morgen graut über Rosevil, aber das schwache Licht findet kaum einen Weg durch die dicken Vorhänge im Schlafzimmer. Die Nacht hat die Spannungen des Vortages ausgelöscht; sie war gefüllt mit der Wiederherstellung der Ordnung durch die Unterwerfung und die innige Leidenschaft, die ihren Pakt besiegelte.
Lyra liegt tief und fest in seinen Armen, ihr Atem ist gleichmäßig und warm gegen Fenris’ Brust. Ihre nackte Haut ist der einzige Beweis dafür, dass die Kälte des Steins und die Geister der Krypten draußen bleiben mussten.
Nur Fenris hat erneut kein Auge zugemacht. Er liegt wach, starrt in die Schatten des Raumes, gehalten von der physischen Realität von Lyras Körper. Die Angst ist wie ein feiner Draht, der sich um seine Kehle zieht. Er hat die Kontrolle über Lyras Körper in der Nacht vollständig übernommen, um zu beweisen, dass die Krypten keine Macht über sie hatten. Aber die Erkenntnis bleibt: die Stimme kennt seinen Namen, und sie hat die Stimme seiner Liebsten imitiert.
„Wenn sie Lyra etwas antun können... wenn sie sie als Waffe gegen mich nutzen...“
Fenris zieht Lyra noch enger an sich, die Geste ist nun weniger Leidenschaft als reiner Instinkt des Beschützers. Er ist der Anker, aber die Angst, dass die Strömung den Ankerplatz erreichen könnte, lässt ihn nicht los. Er muss in die Krypten zurück. Er muss die Herkunft des Zeichens finden und dieser Bedrohung ein Ende setzen, bevor die Dunkelheit des Hauses tiefer wird als die Finsternis der Kathedrale.
Fenris gleitet leise aus der Umarmung. Die bloße Stille seiner Bewegung zeugt von jahrelangem Training, das notwendig ist, um Lyra nicht zu wecken - jene Fähigkeit, die ihm in ihrer intimen Welt so oft von Nutzen war. Er geht, nackt wie er ist, ins Bad.
Er braucht die Reinigung, die profane Kälte oder Hitze, um den Dunst der übernatürlichen Angst aus seinem Kopf zu spülen. Er dreht den Hahn auf, und das Wasser beginnt mit einem zischenden Geräusch über die kalten Fliesen zu strömen.
Er tritt unter den Strahl, der ihn mit roher Intensität trifft. Das Wasser ist heiß, es soll die Kälte der Krypten und die Anspannung der Nacht vertreiben. Er lässt es einfach nur über sich laufen. Das Rauschen ist ein weißes Geräusch, ein neutraler, mechanischer Lärm, der die flüsternde Stimme und das täuschende Echo von Lyras Ruf in seinem Kopf übertönt.
Er steht da, die Hände auf die gefliesten Wände gestützt, der Dampf umgibt ihn wie ein flüchtiger Geist. Er wäscht den letzten Geruch des alten Rosevil von seiner Haut, das metallische Aroma des Kryptengeldes, den Moder der Gräber. Er muss rein sein. Er muss wieder der unerschütterliche Anker sein, bevor er in die Tiefe steigt. Der freie Kopf ist die erste Waffe.
Lyra erwacht in der dunklen, warmen Höhle ihres Bettes. Sie streicht sich das blonde Haar aus dem Gesicht, das sich in der Nacht verfangen hat, und streckt sich, die Glieder wohlig gespannt von der innigen Leidenschaft. Ihre Hand tastet neben sich - die Betthälfte ist leer, nur eine kalte Mulde zurücklassend.
Sie setzt sich auf, reibt sich die Augen und spürt die Abwesenheit Fenris'. Dann hört sie das monotone Rauschen der Dusche. Lyra steht auf. Nackt, nur im Schein des ersten Morgengrauens, geht sie lautlos zur Badezimmertür.
Sie bleibt in der Tür stehen. Die Luft ist heiß und dampfgeschwängert, und durch den Dunst sieht sie Fenris unter dem heißen Strahl. Seine Muskulatur ist angespannt, seine Hände klammern sich an die geflieste Wand, als würde er versuchen, sich selbst im Hier und Jetzt zu verankern. Er wäscht nicht einfach den Schlaf ab. Er wäscht die Angst, die Stimmen und die Versuchung des Kontrollverlusts ab, die in den Krypten lauerte.
Lyra merkt sofort, dass ihn die Sache mit der Stimme und der Bedrohung ihres Bundes immer noch schwer belastet. Die Haltung seines Körpers, die absolute Starrheit unter dem fließenden Wasser, spricht Bände über die seelische Unruhe. Er mag der Domineur sein, aber er ist auch ein Mann, dessen Anker angegriffen wurde.
Lyra tritt in das Bad, der nackte Fliesenboden ist kühl unter ihren Füßen. Sie geht direkt zur Dusche und schiebt die Glastür beiseite. Der heiße Dampf umhüllt sie sofort, und sie steigt zu Fenris unter das Wasser.
Sie bleibt hinter ihm stehen. Ihr Körper presst sich an seinen, die kühle, nasse Haut ihrer Brüste drückt sich gegen seinen angespannten Rücken. Das blonde Haar ist sofort durchnässt, und sie schlingt ihre Arme um ihn.
Fenris rührt sich nicht. Er lässt sie gewähren. Es ist genau das, was er jetzt braucht - die pure, physische Bestätigung ihrer Präsenz, auch wenn er das nie offen zugeben würde. Er genießt die unbeabsichtigte Unterwerfung ihres Körpers an seinen, wie sie sich ihm anschmiegt, um ihm Halt zu geben.
Ihre Hände legen sich auf seinen Bauch, ihre Fingerkuppen streicheln sanft über seine Haut, die durch das heiße Wasser gerötet ist. Sie sagt nichts. Sie hält ihn einfach nur so, bietet ihren Körper als stummen, warmen Anker gegen die Kälte der Verzweiflung und die akustische Täuschung der Krypten. Das Rauschen des Wassers ist der einzige Zeuge ihrer intimen, stillen Kommunikation.
Lyras Lippen berühren seine nasse Haut am Rücken. Sie beginnt, kleine, feuchte Küsse entlang seiner Wirbelsäule zu setzen, fast wie eine geheime Sprache, die nur Fenris verstehen soll. Sie rechnet mit einer Reaktion, einer Gegenwehr, einem knappen Befehl, der sie von ihm weisen würde, da er sich gerade auf seine Kontrolle konzentriert.
Doch die Gegenwehr bleibt aus. Zu ihrer Verwunderung.
Fenris bleibt starr, aber er zieht die Schultern nicht ein, er entfernt sich nicht. Die Küsse sind eine stille Zusage, eine Erlaubnis. Er akzeptiert ihren Trost.
Ihre Lippen setzen ihren Weg fort. Sie küssen über seine breiten Schultern, folgen der Kontur seiner Muskulatur, während ihre Hände unablässig über seinen Bauch streicheln. Lyra sendet ihm die Botschaft: Ich bin hier. Du bist sicher. Die Stimme ist eine Lüge.
Das heiße Wasser prasselt weiter auf sie herab, eine reinigende Hülle um ihren unzertrennlichen Bund. Fenris dreht den Kopf nicht, er spricht kein Wort, aber seine angespannten Muskeln entspannen sich spürbar unter der sanften, aber entschlossenen Berührung ihrer Hände und Lippen. Die stille Intimität ist mächtiger als jede sprachliche Versicherung.
Lyra nimmt seine passive Duldung als stilles Einverständnis, als eine seltene Lücke in seiner sonst undurchdringlichen Herrschaft. Ihre Zunge malt nun feuchte Muster auf seine nasse Haut, schmeckt das Wasser und das Salz seines Körpers. Ihre Fingernägel kratzen leicht, fast unmerklich, über seine Brustmuskulatur, eine zarte, fordernde Spur.
Sie glaubt, ja, sie ist sich fast sicher, dass Fenris einen leisen, tiefen Laut von sich gegeben hat, eine unterdrückte Reaktion auf die reine, unerwartete Sinneswahrnehmung.
Einer ihrer Hände gleitet langsam, bewusst über seinen Bauch, tiefer. Die Haut ist dort straff und warm. Sie weiß genau, was sie tut - sie sucht nach der Stelle, an der die physische Kontrolle des Domineurs beginnt und die Angst endet.
Sie spürt, wie Fenris sich unter ihrer Hand abrupt anspannt. Sein Atem stockt. Er hat das Ende ihrer Reise gespürt.
Lyra hält kurz vor ihrem Ziel inne, ihre Fingerspitzen verweilen an der Schwelle, gebannt von der plötzlichen Härte, die von ihm ausgeht.
Lyra wartet noch einen Moment ab, die Hand noch immer an der Schwelle, während sie die Küsse über seine Schultern intensiviert. Ihre Zunge erkundet die feuchte Haut, ihre Zähne beißen sacht, ein fast unschuldiger Anspruch auf seinen Körper. Sie testet die Grenzen seiner Konzentration.
Fenris rührt sich nicht, aber die Spannung in seinem Rücken ist fast gewalttätig. Er kämpft mit sich selbst, mit der Notwendigkeit der Kontrolle und dem überwältigenden Wunsch nach dem Trost, den sie ihm bietet.
Als er sich nicht weiter bewegt, setzt Lyra ihren Weg mit der Hand fort. Sie umschließt seine Länge, die unter ihrer Berührung sofort hart wird. Sie ist Kontrolle in physischer Form, und er reagiert instinktiv.
Ihre Hand bewegt sich, langsam, abwartend, eine sanfte, dominante Frage in der Hitze des Dampfes: Erlaubst du mir, dich zu befreien? Lyra spürt die Macht, die sie in diesem Augenblick über seine Fixierung hat, und sie nutzt sie mit der ganzen Sinnlichkeit ihrer dunklen Romanze. Die Dusche, die Fenris zur Reinigung nutzte, wird zum Ort der ultimativen Hingabe.
Fenris überlässt Lyra die Dominanz. Er bleibt mit dem Gesicht zur kalten, nassen Wand stehen, der dampfende Körper völlig unbewegt, außer der Reaktion, die sie ihm entlockt. Es ist eine passive Hingabe, ein Geschenk an sie, weil er weiß, dass er ihre Herrschaft über seinen Körper braucht, um seinen Geist von der Angst zu befreien. Er genießt es sogar, diese seltene Umkehrung der Kontrolle.
Doch da er mit dem Gesicht zur Wand steht, kann Lyra das ruhige, fast befriedigte Leuchten in seinen Augen nicht erkennen. Sie sieht nur die steifen Schultern und die angespannte Muskulatur. Sie interpretiert seine Stille als einen letzten Widerstand, den sie brechen muss.
Lyra wird fordernder. Ihre Küsse auf seinem Rücken werden gieriger und dringlicher, ihre Bisse fester, ein Zeichen ihres Willens, ihn vollständig in die Gegenwart zurückzuholen. Ihre Handbewegung intensiviert sich, rhythmisch und entschlossen. Sie beweist ihm durch die Sprache des Fleisches, dass sie keine zerbrechliche Täuschung ist, sondern eine unantastbare Realität, die er kontrollieren kann.
Fenris, der Domineur, wird in dieser stillen Unterwerfung befreit. Die Stimmen sind nur ein entferntes Echo; die unmittelbare, sinnliche Wahrheit von Lyras Hand ist alles, was zählt.
Fenris kann die passive Dominanz nicht länger aufrechterhalten. Die Intensität von Lyras Zuneigung, ihre gierige Suche nach der Bestätigung seiner Existenz, bricht seine letzte innere Barriere. Er dreht sich abrupt zu ihr um.
Lyra, überrascht von der plötzlichen Bewegung, hält inne. Sie blickt in seine Augen - erwartet einen Befehl, eine Erklärung oder eine stumme Aufforderung zur Beendigung des Spiels.
Doch Fenris beugt sich zu ihr und küsst sie. Er überrascht sie, denn dieser Kuss ist anders. Er ist nicht die berechnende, kontrollierte Leidenschaft, die sie kennt, um einen Pakt zu besiegeln. Er ist roh, dringend, fast verzweifelt. Er ist die Rückeroberung dessen, was die Stimme ihm nehmen wollte.
Ihre Zungen treffen sich zu einem leidenschaftlichen, stürmischen Kuss, der das Rauschen des Wassers übertönt. Es ist der Geschmack von Angst und Befreiung, von heißem Dampf und feuchter Haut. Fenris' Hände legen sich auf ihren Hintern, greifen fest zu und ziehen sie brutal eng an sich. Sie spürt seine volle, harte Länge an ihrer Mitte, ein unumstößliches Versprechen und eine eindeutige Drohung an jeden Geist, der versucht, sich zwischen sie zu stellen.
Fenris löst den stürmischen Kuss, aber die Intimität bricht nicht ab. Seine Lippen wandern über ihr Kinn, Lyra lehnt den Kopf in den Nacken, das blonde Haar tropft von der Feuchtigkeit. Fenris setzt seinen Weg fort, langsam, fast andächtig, seine Zungenspitze gleitet unter ihrem Kinn entlang, streift über ihren Hals - eine Geste der zärtlichen Besitzergreifung.
Während seine Lippen ihren Hals erkunden, fahren seine Hände über die Rundungen ihres Hinterns, streicheln, kneten und ziehen sie dabei immer wieder fest an seine Härte. Lyra keucht leise auf, ein Laut der tiefsten Erregung.
Sie genießt diese einfühlsame Art von ihm, diese langsame, fordernde Zärtlichkeit, die sie ganz am Anfang von ihm kannte, bevor die Dominanz in ihrem Leben zur täglichen Währung wurde und er sie vollständig in sein Reich der Kontrolle geführt hatte. Diese Langsamkeit ist jetzt mächtiger als jede schnelle Einnahme; sie ist die Bestätigung, dass er sie nicht nur als Unterworfene, sondern als seine unersetzliche Geliebte sieht. Die Liebe ist der wahre Anker.
Fenris, getrieben von dem Keuchen und der Sehnsucht, die er in ihr entfacht hat, dreht sich abrupt in der Dusche mit ihr um und drückt Lyra gegen die kühle, nasse Wand. Ihre Körper prallen aufeinander, das heiße Wasser prasselt über ihre ineinander verschlungenen Formen.
Seine freie Hand wandert zwischen ihre Beine. Lyra, vollkommen hingegeben, öffnet ihre Beine für ihn, eine instinktive Einladung zur Herrschaft. Sie seufzt laut auf, als seine Finger ihre heiße Mitte streicheln. Die Berührung ist langsam, suchend, eine Folter der Erwartung, bis seine Finger die kleine Perle finden.
Er beginnt, diese langsam und quälend zu massieren. Die Zärtlichkeit ist präzise, aber die Intensität ist brutal.
Lyra keucht und stöhnt. Ihre Fingernägel drücken sich fest in seine Schultern, tiefe, feine Spuren in seiner Haut, als würde sie versuchen, sich an seinem Körper festzuhalten, während die Welt unter ihr zerfließt.
Fenris genießt es. Er liebt diesen Klang, wenn sie keucht und stöhnt, wenn die Kontrolle über ihre Stimme ihm gehört - ein Gegenbeweis zur flüsternden Täuschung der Krypta. Dieses Stöhnen ist echt. Dieses Stöhnen ist sein Anker.
Fenris intensiviert die Stimulation. Er reibt die kleine Perle fordernd und fest, während ihre Zungen gierig miteinander spielen, der Kuss ebenso nass und überwältigend wie das Wasser, das sie umgibt. Lyra ist kurz davor, die Kontrolle zu verlieren, ihr Körper zittert.
Dann gleitet sein Finger tiefer. Er trennt ihre heißen, geschwollenen Lippchen, spürt die seidige Nässe, bis er den Eingang in ihr heißes Inneres findet. Er dringt in sie ein.
Langsam. Er spürt, wie sich ihr Inneres um ihn schließt, ihre tiefste Begrüßung. Fenris muss ein Keuchen unterdrücken. Die reine, elementare Reaktion ihres Körpers ist überwältigend. Er ist der Domineur, doch in diesem Moment fällt es ihm schwer, kontrolliert zu bleiben. Der Wunsch, sie vollständig und sofort zu besitzen, ringt mit der Notwendigkeit der Zärtlichkeit.
Er bewegt den Finger vorsichtig, aber tief. Er hört Lyras Atem, der sich in ein wimmerndes Stöhnen verwandelt, ihre Nägel graben sich tiefer in seine Schulter. Sie ist an der Schwelle, und er ist der alleinige Meister ihres Sturzes.
Fenris' Finger bewegen sich schneller, tiefer, und er kennt sie, ihre Atmung und ihre Reaktion verraten ihm jeden Millimeter ihrer Empfindungen. Sie ist kurz vor der Erlösung, doch auch Fenris fällt es schwer, seine Kontrolle zu behalten. Er hat fast schon vergessen, wie sie sich wirklich anfühlt, diese reine, unverstellte Ekstase, die er nur durch diese langsame, sinnliche Herrschaft freisetzen kann. Er mag es hart und kontrolliert, ja, aber das hier fühlt sich jetzt gerade gut und richtig an - eine Reinigung der Seele.
Er zieht die Finger aus ihr, und Lyra keucht, als sie die plötzliche, brutale Leere fühlt, ein winziger Moment des Verrats.
Doch sie muss nicht lange warten.
Sie spürt, wie Fenris in sie eindringt - nicht nur der Finger, sondern seine volle, harte Männlichkeit. Lyra stöhnt laut auf, ein scharfer, ekstatisch-schmerzhafter Laut, der im Dampf hallt. Und auch Fenris kann ein tiefes Keuchen nicht unterdrücken. Die Verbindung ist zu fundamental, zu notwendig. Er hat seine Angst in die Kontrolle über ihren Körper verbannt, und in dieser vollkommenen, heißen Einheit sind die Stimmen der Toten ein Nichts.
Fenris beginnt sich in ihr zu bewegen. Die ersten Stöße sind langsam, tief genießend, jede Penetration eine Betonung ihrer unbestreitbaren Zugehörigkeit. Lyra stöhnt bei jedem Mal auf, der Laut ist eine reine, unverfälschte Musik der Hingabe, die Fenris in seinen Bann zieht.
Ihre Münder treffen sich in einem gierigen Kuss, der ihren gemeinsamen Atem verschlingt. Die Zungen kämpfen, ihre Körper kämpfen gegen die Wand, gegen die Kälte des Steins, gegen die Stimmen, die sie bedrohen. Ihre Nägel ziehen sich erbarmungslos durch seine Haut an den Schultern, rote Spuren im heißen Dampf - und Fenris genießt es. Er genießt den Schmerz, der ihn erdet, der ihn daran erinnert, dass diese Verbindung real ist, fleischlich und unzerstörbar.
Er stößt fester, tiefer, mit einer plötzlichen, kontrollierten Wut, die alles andere als Lyra und ihre gemeinsame Ekstase auslöscht. Es dauert nicht lange. Ihre Stimmen verschmelzen zu einem einzigen, hohen Schrei, als Lyra ihren Höhepunkt erreicht, und Fenris, der seine Kontrolle bis zum Äußersten ausgereizt hat, stürzt ihr fast im selben Moment nach.
Die Welt reduziert sich auf das Prasseln des Wassers und das Zittern ihrer Glieder.
Sie bleiben einen Moment so stehen. Fenris tief in ihr, ihre Beine um ihn geschlossen, ihre Körper noch immer zitternd unter dem heißen Wasser. Seine Hände halten sie fest, und ihre Blicke treffen sich in der verschwommenen, dampfenden Luft.
Keiner der beiden sagt etwas. Sie wissen, dass das eben besonders war, anders als ihre üblichen Rituale, mehr von roher Notwendigkeit als von strategischer Dominanz getrieben. Und doch hat es sich für beide richtig und gut angefühlt - eine essentielle Wiederherstellung ihres Bundes.
Fenris küsst sie kurz, fest auf den Mund, die Geste ist nun sanft, aber endgültig. Er setzt sie ab, und die physische Verbindung bricht.
Sie beenden die Dusche, seifen sich ein, duschen sich ab und gehen zurück ins Schlafzimmer, um sich anzuziehen. Fenris muss kurz schmunzeln, eine Seltenheit, die Lyra sofort bemerkt.
Sie sieht ihn mit einem kleinen, amüsierten Lächeln an, während sie ihre schwarze Spitzenunterwäsche anzieht - das Fundament ihrer dunklen Romantik. „Was?“, fragt sie, ihre Stimme ist noch immer heiser vom Stöhnen.
Fenris schüttelt nur mit dem Kopf, ein zufriedenes, dunkles Glühen in seinen Augen. „Ich muss mich beeilen. Zweiter Tag, und ich komme zu spät“, sagt er, aber ganz sicher nicht wütend. Die Verspätung ist es wert.
Er zieht sich fertig an, seine Kleidung ist die übliche dunkle, maßgeschneiderte Rüstung des Kontrolleurs. Lyra sitzt auf der Bettkante und wartet auf seine Anweisungen, das Lächeln nun ersetzt durch die erwartungsvolle Haltung.
„Du weißt, was deine Mission ist“, sagt Fenris, während er seine Uhr anlegt; das kalte, harte Metall schimmert im Halbdunkel.
Er teilt ihre Aufgaben in drei Bereiche ein, seine Stimme ist klar, eindringlich und fordernd - die Gewohnheit des Befehls, die in ihren intensiven Momenten geschmiedet wurde.
„ Du bleibst hier im Haus. Keine unnötigen Ausflüge, Lyra. Nur, wenn es um die Gestaltung geht, und dann nur zu den von mir genehmigten Quellen. Ich möchte, dass du heute die Stoffproben für das Schlafzimmer und das Wohnzimmer besorgst. Schwere Samte, Lyra. Wir brauchen absolute Finsternis, also: kein Licht.
Finde alles über das Siegel. Das gezeichnete Symbol - nutze deine Verbindungen. Suche nach okkulten oder esoterischen Gruppen, die dieses zerrissene Wappen benutzt haben könnten. Konzentriere dich auf das 19. Jahrhundert, auf lokale Adelige, die zur Kirche gestanden haben, oder auf gebrochene Pakte in dieser Region.
Solltest du das Gefühl haben, dass du nicht allein bist, oder sollte die Stimme dich rufen, verlasse sofort das Haus und rufe mich an. Unter keinen Umständen antwortest du.“
Er tritt vor sie und hebt ihr Kinn an. „Bist du mein Anker, Lyra? Der Grund, warum ich zurückkomme?“
„Ja“, antwortet sie fest, ihre Augen zeigen keinerlei Zweifel an der Tiefe ihres Bundes. „Ich bin dein Anker, Fenris.“
Fenris nickt, ein seltener, bestätigender Blick. „Ich werde heute tiefer gehen. Finde den Namen, der zum Symbol gehört. Wir sehen uns, wenn die Schatten lang werden.“
Er gibt ihr einen letzten, fordernden Kuss. Dann ist er fort. Die Haustür fällt ins Schloss. Lyra ist allein, mit ihrem schwarzen, romantischen Pakt und einer gefährlichen Aufgabe.
Lyra beendet die Ankleide. Heute trägt sie kein Kleid; die Arbeit im kühlen, unbeheizten Haus erfordert Zweckmäßigkeit. Sie wählt eine schwarze, gut sitzende Hose und einen dicken, schwarzen Pullover. Es ist kalt im Haus, und sie weiß, dass ihre erste Priorität neben der Recherche darin liegen wird, eine Quelle zu finden, die Wärme spendet - ein Kamin, ein antiker Ofen, etwas, das zur Ästhetik des schwarzen Zufluchtsortes passt.
Sie ist noch ganz erfüllt von der Dusche. Fenris’ unkontrollierte Leidenschaft, seine Notwendigkeit und seine zärtliche Übergabe der Kontrolle - das alles wärmt sie mehr als jeder Ofen. Ein Lächeln stiehlt sich auf ihre Lippen. So wie heute hat sie Fenris lange nicht erlebt, und es macht sie glücklich. Es beweist ihr, dass ihre Liebe, ihr Bund, stärker ist als der Schrecken, der in der Kathedrale lauert.
Sie stellt heißes Wasser für einen starken Kaffee auf. Dann nimmt sie ihr Handy und beginnt die Recherche. Das zerrissene Siegel, die gebrochenen Pakte des 19. Jahrhunderts. Der Anker muss halten.
Zur gleichen Zeit nähert sich Fenris der Kathedrale. Er weiß, dass er zu spät ist. Die Minuten, die er Lyra in der Dusche geschenkt hat, sind unbezahlbar, aber sie kosten ihn nun seine Pünktlichkeit - eine Seltenheit in seiner disziplinierten Existenz.
Er parkt den schwarzen Käfer am Rand des Platzes und steigt aus. Er geht mit schnellen, effizienten Schritten, der Mantel flattert kaum.
Er wird schon erwartet, doch nicht freundlich. Elias, der junge Priester, der Fenris Zugang zu den Krypten verschafft hat, steht im Schatten des riesigen Portals, die Arme verschränkt. Elias ist aufgebracht; er hasst Unpünktlichkeit, vor allem wenn die Gefahr der Entdeckung so real ist. Seine Geduld ist am Ende.
„Du bist zu spät, Fenris“, zischelt Elias, seine Stimme kaum mehr als ein zorniges Flüstern. „Du bringst uns beide in Gefahr. Was ist wichtiger als die Sicherheit dieser Stadt?“
Fenris ignoriert die Zornesröte auf Elias' Gesicht. Er weiß, dass er unpünktlich ist, aber Lyra war wichtiger. Das muss Elias nicht wissen.
„Es gab eine unvorhergesehene Verzögerung“, sagt Fenris nur, seine Stimme ist tief und kontrolliert, bar jeder Emotion oder Entschuldigung. Er gibt keinen Raum für weitere Diskussionen. „Das wird nicht wieder vorkommen.“
Er nickt knapp. „Ich brauche den Zugang. Jetzt.“
Elias knirscht mit den Zähnen, aber er weiß, dass Fenris der Einzige ist, der diese Aufgabe erledigen kann. Der Priester dreht sich widerwillig um und führt Fenris durch eine unscheinbare Seitentür in das Innere der Kathedrale. Die große Halle ist kalt und leer, der Vormittag noch zu früh für die wenigen Gläubigen.
Sie gehen nicht zum Hauptkirchenschiff. Elias führt Fenris direkt in eine dunkle Sakristei und öffnet einen schweren, versteckten Steinboden. Ein metallischer Geruch steigt sofort auf.
„Du weißt, was zu tun ist“, raunt Elias, sein Blick ist besorgt. „Ich warte nicht. Wenn du bis zum Einbruch der Dunkelheit nicht zurück bist, verschließe ich den Zugang. Und ich werde die Behörden rufen.“
Fenris steigt ohne ein Wort in die Krypta hinab. Er hat sein Ziel - das Siegel - und nun seinen Anker. Die Angst aus der Nacht ist durch Lyras Berührung vertrieben. Er ist bereit für die Dunkelheit.
Fenris schiebt die alte, knarrende Schubkarre vor sich her, ihr rostiges Quietschen hallt gespenstisch von den feuchten Kryptenwänden wider. Er verschafft sich Licht mit einer leistungsstarken Taschenlampe, deren greller Strahl die Dunkelheit durchschneidet und die vergilbten Knochen und schimmeligen Särge gespenstisch beleuchtet. Der Geruch von feuchter Erde, Moder und Verfall beißt in der Nase.
Er stellt die Schubkarre ab. Sie ist sein Werkzeug, sein Mittel, um die Hindernisse zu beseitigen. Er beginnt die Suche nach dem Grab mit dem Siegel.
Ein zerbrochener Marmorsarkophag liegt quer im Gang, als hätte eine unsichtbare Hand ihn beiseite geschoben. Fenris muss ihn mit Schulter und reiner Kraft verschieben, das Krachen des Steins ist laut in der Stille. Weiter hinten ist ein Gang durch einen Haufen alter, zerfallener Holzsärge blockiert, deren morsches Holz bei Berührung zu Staub zerfällt. Er muss sich bücken und die fragilen Reste beiseiteschieben, ein makabrer Tanz mit den Überresten der Toten.
Bei jedem Schritt überprüft er die Inschriften auf den wenigen unbeschädigten Grabplatten, sucht nach einer Spur, einem Hinweis auf das zerrissene Siegel. Doch die Namen sind alt, die Schriften verblasst, und die Zeit hat ihre gnadenlose Arbeit getan. Die Angst, die Stimme Lyra noch einmal zu hören, nagt nicht mehr an ihm. Nur noch die kühle, berechnende Entschlossenheit, seine Mission zu erfüllen.
Fenris arbeitet sich tiefer in die Krypten vor. Die kleinen Hindernisse haben ihn nur langsamer, nicht entmutigter gemacht. Die Gänge werden enger, die Luft feuchter und der Boden ist tückisch, bedeckt mit feinem, staubigem Schutt.
Er erreicht eine Sektion, die älter zu sein scheint als der Rest. Die Grabplatten hier sind nicht aus Marmor, sondern aus dunklem, bröseligem Stein. Er leuchtet die Taschenlampe über eine Reihe von Namen, die ihm nichts sagen, verliert fast die Hoffnung, dass die gesuchte Signatur hier zu finden ist.
Da bemerkt er etwas: Hinter einer massiven, steinernen Säule, die halb in den Putz versunken ist, liegt ein kleiner, unscheinbarer Steinblock. Es ist kein Grab, sondern ein einfacher Sockel, auf dem vielleicht einst eine Büste oder eine Gedenktafel stand.
Er schiebt die Schubkarre näher und kniet nieder. Die Oberfläche des Sockels ist glatt und dunkel, doch seine Lampe fängt einen feinen, unnatürlichen Glanz ein. Er fährt mit den Fingern über den Stein und spürt eine frischere Einkerbung als die umgebenden Jahrhunderte alten Inschriften. Es ist kein Name, sondern eine Zahl, römisch und tief, die auf den ersten Blick wie eine gewöhnliche Datumsangabe erscheint:
V. I. MCMIV
Fenris runzelt die Stirn. Der 5. Januar 1904. Ein Datum. Aber was noch? Er wischt den Staub weg. Direkt unter der Jahreszahl, kaum sichtbar, ist das gesuchte Symbol eilig und doch mit Kraft eingekratzt: Das zerrissene Siegel. Es ist kleiner als auf dem Sarkophag, aber unverkennbar.
Die Stimme hat hier gewartet. Oder wer auch immer die Stimme ist, war zuletzt hier.
Fenris blickt sich um. Ein einzelnes Datum, ein Siegel, und eine frische Spur. Er weiß, dass er eine Verbindung braucht - ein Grab, das dieses Datum trägt, oder einen Namen, der mit der Zahl 5 oder dem Jahr 1904 in Verbindung steht.
Im Haus ist Lyra bei ihrer Arbeit. Der starke Kaffee dampft neben ihr auf dem Küchentisch. Die Wärme des Getränks und die Erinnerung an Fenris in der Dusche halten die Kälte des Steinhauses vorerst in Schach.
Sie sitzt vor dem Handy und hat ihre Suche auf das zerrissene Siegel konzentriert, wie Fenris es angewiesen hat. Sie nutzt ihre privaten, schwer zugänglichen Archive - die Art von Datenbanken, die von Sammlern dunkler Artefakte und esoterischer Historiker gepflegt werden.
Ihre Finger tippen schnell und präzise. Sie sucht nach Kombinationen: Siegel, Kreis, zerrissen, Pakt, Rosevil, Adel, 19. Jahrhundert.
Die ersten Ergebnisse sind vage: allgemeine Symbole für gebrochene Eide oder das Ende geheimer Gesellschaften. Doch Lyra filtert weiter, fokussiert sich auf die lokale Geschichte von Rosevil.
Schließlich stößt sie auf einen unscheinbaren Eintrag in einem digitalisierten Dokument aus einem lokalen, historischen Archiv. Es ist ein Artikel, der nur kurz ein Ereignis erwähnt, das in den späten 1800er Jahren in der Nähe der heutigen Kathedrale stattfand.
Der Artikel spricht von der "Affäre des Grafen Lorcan" - ein junger, einflussreicher Adliger, der in der örtlichen Kirche eine Position innehatte und in einen Skandal verwickelt war, der seine Familie ruinierte. Der Text selbst ist vage, spricht nur von „gottlosen Praktiken“ und „einem Pakt, der zerbrochen wurde und zur Verbannung des Lichts führte“.
Noch wichtiger: Im Begleitmaterial des Archivs findet Lyra eine kleine, schwarz-weiß Fotografie der Gräber der Lorcan-Familie, bevor sie nach einem Brand um 1905 neu gestaltet wurden. Auf der ältesten Grabplatte, die auf dem Foto nur unscharf zu sehen ist, erkennt Lyra etwas. Sie vergrößert das Bild auf dem Handy, bis die Pixel fast zerfließen.
Es ist eine Wappen-Änderung.
Die Familie Lorcan verwendete ein Wappen: ein voller, geschlossener Kreis als Symbol der ewigen Bindung an die Kirche. Aber auf dieser alten, abgebildeten Grabplatte ist dieser Kreis klar durchtrennt; es ist das zerrissene Siegel.
Lyra spürt, wie die Freude über den Fund ihre Erfüllung vom Morgen überlagert.
Lorcan. Der Graf Lorcan war es. Und er hatte einen Pakt, der zerbrach.
Lyra zögert keinen Augenblick. Dieses Wissen ist zu kritisch, um es für sich zu behalten; es ist die Brücke zwischen dem Symbol und einem Namen.
Sie kopiert den Link zu dem digitalisierten Archivartikel über die „Affäre des Grafen Lorcan“ und das alte Foto des Familiensiegels. Sie weiß, dass Fenris die Verbindung sofort herstellen wird: Lorcan ist der Name, der zum zerrissenen Siegel gehört.
Lyra öffnet Fenris' Chat und tippt schnell eine Nachricht. Sie hält sie knapp, denn Fenris duldet keine überflüssigen Worte bei der Arbeit.
Lyra: Graf Lorcan. Lokaler Adel. Ende 19. Jhd. Der Pakt ist gebrochen. Der Name gehört zum Siegel.
Sie schickt die Nachricht ab. Danach folgt der Link zum Artikel.
Der Kaffee ist noch heiß, aber Lyra lehnt sich zurück, die Anspannung hat ihre Wirkung nicht verfehlt. Jetzt kann sie nur warten, während Fenris, tief unter der Erde, hoffentlich den Empfang hat, um die Information zu erhalten.
Die Information ist gesendet. Jetzt heißt es warten, aber Lyra ist nicht der Typ Mensch, der untätig sitzt. Die Recherche hat ihr den Adrenalinschub gegeben, den sie braucht. Ein neues Lächeln huscht über ihre Lippen. Fenris hat ihr eine Mission gegeben, und sie wird ihn nicht enttäuschen. Der Anker muss stark sein, in allen Facetten ihres gemeinsamen Lebens.
Sie zieht sich ihren schwarzen, schweren gotischen Mantel über den Pullover. Der Samt ist kühl, aber beruhigend. Sie nimmt ihre Handtasche und die Liste der genehmigten Stoffquellen, die Fenris gestern Abend auf einer Serviette notiert hatte - exklusive, kleine Läden, die die Art von Luxus führen, die sie in ihrem Haus brauchen.
Sie verlässt das Haus, schließt die Tür fest hinter sich ab und macht sich auf den Weg in den Ort.
Ihre Aufgabe ist es, absolute Finsternis zu beschaffen. Sie sucht nach dem schwersten Samt, einem Tuch, das das Licht nicht nur blockiert, sondern verschluckt, das die Außenwelt in der Kathedrale und in ihrem privaten Refugium draußen hält.
Die geschäftige Welt draußen, die belebten Straßen und die modernen Gebäude, bilden einen krassen Kontrast zu ihrer dunklen Romanze und der makabren Arbeit Fenris'. Lyra bewegt sich schnell und effizient durch die Menge, ihre Schritte sind entschlossen. Das Lächeln kehrt zurück, nicht nur wegen der Erinnerung an Fenris’ Härte, sondern weil sie weiß, dass sie mit jeder Faser Stoff, die sie kauft, ihren Schutz, ihr gemeinsames Reich, stärkt.
Lyra bewegt sich durch Rosevil. Die Stadt ist nicht belebt, nicht geschäftig. Das Leben hier ist langsam und geheimnisvoll, umhüllt von einer fast mittelalterlichen Stille, die Lyra und Fenris so schätzen.
Auf den kopfsteingepflasterten Straßen sind nur wenige Menschen unterwegs - ein älterer Mann, der hastig vorbeigeht, eine verschleierte Frau, die in einem Ladeneingang verschwindet. Lyra und Fenris sind noch nicht auf andere Menschen gestoßen, die ihre Aufmerksamkeit verdienen, außer den stillen Ladenbesitzern, die ihre Waren anbieten, und Elias, dem Hüter der Krypta.
Lyra betritt den ersten Stoffladen - eine winzige Boutique, deren Fenster mit schweren, dunklen Stoffen verhängt sind. Der Raum riecht nach Wolle und altem Holz.
Die Verkäuferin, eine schmale, ernste Frau, die Lyra mit einem neugierigen, aber respektvollen Blick mustert, nähert sich.
„Guten Tag. Ich suche nach dem schwersten Samt, den Sie haben. Absolut lichtundurchlässig. Ein tiefes, reines Schwarz“, erklärt Lyra.
Die Frau nickt, als wüsste sie genau, wofür dieser Stoff bestimmt ist. „Für die Finsternis, gnädige Frau. Ich habe genau das Richtige für Sie. Es ist ein königlicher Samt, der das Licht frisst.“
Sie führt Lyra zu einem Regal. Dort liegt ein Stoff, dessen Schwarz so tief ist, dass es fast die Farbe anderer Stoffe in seiner Nähe absorbiert. Lyra berührt ihn; er ist schwer, dicht und kühl. Perfekt. Es ist nicht nur ein Vorhang, es ist eine Barriere gegen die Außenwelt, ein Versprechen an Fenris, dass ihr Heim und ihr Bund unverletzlich bleiben.
Lyra nickt, zufrieden mit der Qualität des Samtes. „Ich nehme diesen für das Schlafzimmer und das Wohnzimmer. Die Maße habe ich hier.“ Sie legt die Notiz von Fenris auf den Tresen.
Während die Verkäuferin beginnt, den Stoff auf das Maß zuzuschneiden, blickt sie Lyra mit einer neugierigen Intensität an. „Sind Sie erst kürzlich in unsere Stadt gezogen?“, fragt sie, obwohl Lyra genau weiß, dass sich die Ankunft eines so unkonventionellen Paares wie ihr und Fenris längst in Rosevil herumgesprochen haben muss - in einer Stadt, in der das Leben so langsam und geheimnisvoll verläuft.
Lyra nickt knapp. „Ja. Wir richten uns gerade ein.“
Die Frau lächelt nicht mit dem Mund, sondern mit den Augen, und dieses Lächeln jagt Lyra einen kalten Schauer über den Rücken. Die Frau kommt ihr unheimlich vor; sie hat ein seltsames, fast wissendes Leuchten in den Augen. Es ist nicht das Leuchten der Freundlichkeit, sondern das einer tiefen, ungesunden Erkenntnis. Es ist, als könnte sie durch Lyras dicken Samtmantel und in ihre dunkelsten Geheimnisse blicken.
Diese Verkäuferin erinnert Lyra an die Frau aus dem Laden am Hafen, wo sie das antike Bett gekauft hatten - jene andere Händlerin, die ihre Waren mit einer ähnlichen, beunruhigenden Gewissheit über die Bedürfnisse ihrer Kunden feilbot. Es scheint, als sei Rosevil voll von solchen Menschen, die ihre Rolle spielen, aber tief in etwas viel Älteres und Dunkleres verstrickt sind.
„Schwere Samte. Das ist klug“, murmelt die Frau, während sie den Stoff zusammenlegt, ohne zu erklären, warum es klug ist. „Manchmal muss man die Mauern dicker machen, wenn man etwas sehr Wertvolles besitzt.“
Lyra lässt sich nicht beunruhigen. Die Verkäuferin hat ihre Neugier geweckt. Lyra ist es gewohnt, in dunklen Gewässern zu fischen, und diese Frau scheint eine unerwartete Quelle zu sein.
„Was meinen Sie damit?“, fragt Lyra, ihre Stimme ist ruhig, aber scharf. „Was macht dicke Mauern im Moment so klug, und was genau ist sehr wertvoll?“
Die Verkäuferin hält mit dem Zuschneiden inne und blickt Lyra direkt an, das seltsame Leuchten in ihren Augen wird intensiver, fast fieberhaft. Es ist, als würde sie eine alte, längst vergessene Sprache sprechen.
„Rosevil ist ein Ort der Echos, gnädige Frau“, raunt die Frau, ihre Stimme ist trocken wie Pergament. „Die Vergangenheit stirbt hier nicht. Sie schläft nur, tief unter dem Stein. Wenn etwas so Altes und so Mächtiges erwacht, sucht es sich immer das Schönste und das Stärkste, um sich daran zu nähren. Es sucht Anker.“
Sie lächelt leicht, fast mitleidig, und Lyra spürt, wie ihr das Blut in den Adern gefriert, denn die Frau hat Fenris’ genaues Wort verwendet.
„Ein so intensiver Bund, wie Sie ihn mit Ihrem Begleiter teilen - diese Leidenschaft, die spürt man selbst durch unsere dicken Mauern hindurch. Und wenn man etwas besitzt, das so viel Licht enthält, muss man es schützen. Manchmal ist die dunkelste Finsternis die beste Verteidigung.“
Sie legt den fertigen Samt vor Lyra hin. „Die Dunkelheit hält die Toten draußen. Und die neugierigen Blicke der Lebenden gleich mit.“
Lyra zieht ihre Brieftasche aus der Tasche und legt die Münzen für den kostbaren, lichtschluckenden Samt auf den Tresen. Die Verkäuferin nimmt das Geld entgegen, ohne es zu zählen, ihre unheimlich leuchtenden Augen weichen nicht von Lyras Gesicht. Die Bemerkung über den „Anker“ hallt in Lyras Kopf nach.
„Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Einrichtung“, sagt die Frau leise, das Lächeln erreicht ihre Augen nicht.
Lyra nickt, nimmt das schwere Paket mit dem Stoff unter den Arm und geht zur Tür. Sie muss hier raus. Die Atmosphäre ist zu dicht, zu wissend.
Bevor sie hinaus in die kühle Stille von Rosevil tritt, blickt sie sich noch einmal kurz zur Verkäuferin um. Die Frau steht unbewegt da, wie eine Wächterin der Schatten, und ihr Blick scheint Lyra bis auf die Knochen zu durchdringen. Lyra schließt die Tür.
Ihr Gefühl sagt ihr nichts Gutes. Es ist nicht nur die latente Gefahr, die Fenris in die Krypta geführt hat; es ist eine übergreifende, dunkle Resonanz in dieser Stadt selbst. Sie weiß nicht, wohin diese seltsamen Begegnungen führen werden. Sie weiß nur, dass etwas in Rosevil sehr, sehr seltsam ist - die Lebenden scheinen genauso tief in die Vergangenheit verstrickt zu sein wie die Toten.
Die schwere Dunkelheit des Samtes unter ihrem Arm ist ein physisches Versprechen an Fenris. Es wird eine dicke Mauer zwischen ihnen und der neugierigen, unheimlichen Welt Rosevils errichten.
Lyra eilt durch die engen Gassen von Rosevil zum nächsten Laden auf Fenris' Liste. Sie hat das schwere Paket mit dem tiefschwarzen Samt fest unter dem Arm. Die Stadt ist still, die Architektur ist alt und drückend, und die Sonnenstrahlen, die den Ort erreichen, wirken kalt.
Sie ist so auf ihre Gedanken an Fenris und die beunruhigenden Worte der Verkäuferin konzentriert, dass sie es zunächst als Einbildung abtut: einen Schatten.
Es ist kein menschlicher Schatten, sondern ein Gefühl, als wäre die kalte Luft um sie herum plötzlich dichter geworden. Sie blickt sich kurz um, sieht nichts Auffälliges, nur die hohen Steinmauern und die verschlossenen Fenster. Sie schiebt es auf ihre Müdigkeit und die gespannte Atmosphäre des Morgens.
Doch je enger die Straße zum nächsten Laden wird - eine Gasse, die kaum breiter ist als Lyras ausgebreitete Arme - desto deutlicher wird es. Sie spürt es. Es ist keine Sichtung, sondern eine unsichtbare Präsenz, die ihr folgt, die mit jedem ihrer Schritte synchronisiert ist. Es ist ein kaltes, nagendes Gefühl der Beobachtung, als wäre sie plötzlich in den Fokus eines Raubtiers geraten, das in den Schatten lauert.
Lyra strafft die Schultern. Sie beschleunigt ihren Schritt, den Samt noch fester an sich gedrückt. Sie ist Fenris' Anker. Sie darf sich jetzt nicht einschüchtern lassen. Aber das kalte Gefühl, dass etwas aus den Mauern Rosevils herausgetreten ist, lässt sich nicht länger ignorieren.
Lyra ignoriert die Kälte und die wachsende Angst. Sie muss sich konzentrieren, muss sich an Fenris’ klaren Befehlen festhalten. Sie zieht den zerknitterten Zettel aus der Tasche, auf dem Fenris ihr die Namen der genehmigten Läden notiert hat, mit seiner festen, autoritären Handschrift.
Sie blickt auf den letzten Namen - ein Antiquitätenhändler, der sich auf dunkle Hölzer spezialisiert hat. In diesem Augenblick, als ihre Augen auf dem Namen ruhen, geschieht es.
Eine Stimme, kalt und scharf, erklingt dicht an ihrem Ohr, so nah, dass Lyra den Atem anhalten muss. Es ist kein Flüstern von weit weg, sondern ein intimes, bösartiges Rauschen, das ihren ganzen Körper erstarren lässt.
„Ich hole mir Fenris, Lyra. Er gehört mir.“
Die unsichtbare Präsenz hat einen Namen und eine Absicht. Es ist dieselbe Stimme, die Fenris in der Krypta quält, die er in der Dusche zu unterdrücken versuchte. Es ist real.
Lyra zuckt zusammen, ihr Herz rast. Der Samt fällt fast zu Boden. Sie dreht sich nicht um. Sie erinnert sich an Fenris’ Befehl: Unter keinen Umständen antwortest du.
Lyra ignoriert die Präsenz. Die kalte Drohung der Stimme - „Er gehört mir“ - wirkt wie ein Peitschenhieb, der ihre Angst in puren Trotz verwandelt. Fenris gehört ihr, und sie wird nicht zulassen, dass ein geisterhafter Rivale sie von ihrer Mission abhält.
Sie bewegt sich wie erstarrt weiter. Der schwere Samt liegt wie ein Schutzschild in ihrem Arm. Sie erreicht den Laden, dessen Fenster fast vollständig von dunklen, geschnitzten Holzrahmen verdeckt sind.
Sie stößt die Tür auf, hastet hinein und schließt sie mit einem scharfen metallischen Klicken hinter sich. Sie lehnt sich mit dem Rücken gegen das Holz, atmet stoßweise aus und versucht, die Kälte der Stimme abzuschütteln.
Sie blickt auf, um den Verkäufer zu suchen und ihre Bestellung für die dunklen Hölzer aufzugeben. Doch was sie dann sieht, lässt ihren Atem erneut stocken.
Der Mann hinter dem Tresen, umgeben von Schatten und antiken, makabren Gegenständen, hat dieselbe unheimliche Intensität in den Augen wie die Samtverkäuferin. Das seltsame, wissende Leuchten ist wieder da, als würde er nicht nur sie sehen, sondern auch die Blutspur, die Fenris unter der Kathedrale hinterlässt. Er ist nicht alt, aber seine Augen wirken es.
Lyra ist klar: Diese Stadt ist nicht von normalen Menschen bewohnt. Es sind entweder Hüter oder Komplizen der dunklen Mächte.
Der Mann lächelt freundlich, aber die Wirkung ist entsetzlich. „Guten Tag. Sie sind die junge Frau, die die dunklen Hölzer für das alte Anwesen sucht, nicht wahr? Ich habe die passenden Stücke für Sie bereitgelegt.“
Lyra traut ihren Ohren nicht. Woher weiß dieser Mann, was sie für Hölzer will? Fenris hatte die Details der Inneneinrichtung nur ihr und sich mitgeteilt. Es war keine allgemeine Bestellung. Die Geschwindigkeit, mit der sich hier Informationen verbreiten, ist unnatürlich, oder es ist mehr als nur Klatsch.
Sie überlegt kurz, den Laden zu verlassen, ihren Instinkten nachzugeben und zu fliehen. Doch die Stimme in der Gasse hat sie wütend gemacht, und der Gedanke, Fenris im Stich zu lassen, ist unerträglich. Sie sammelt sich. Die Angst weicht einer kühlen Entschlossenheit.
Sie tritt dem Mann hinterm Tresen entgegen. Er ist groß und hager, sein Lächeln bleibt seltsam unberührt.
„Sie irren sich nicht“, sagt Lyra, ihre Stimme ist wieder fest. „Ich brauche die dunklen Hölzer. Für die Verkleidungen und die neuen Türrahmen. Schwere Eiche, schwarz gebeizt. Und eine spezielle Art von Holz für den Schutz des Kamins.“
Der Mann nickt, das Licht in seinen Augen flackert kurz auf. „Wir wussten, dass Sie kommen. Wir bereiten seit Generationen die Materialien für Ihre Art von Mauern vor.“ Er zeigt auf eine Reihe von perfekt geschnittenen, tiefschwarzen Holzbalken. „Die Eiche ist fertig. Und für den Kamin habe ich Ihnen eine spezielle Schwarznuss vorbereitet. Sie absorbiert die Hitze, nicht nur die thermische.“
Lyra spürt, wie die Gänsehaut aufsteigt. „Ich wünsche, dass es schnellstmöglich geliefert wird.“
„Es wird noch heute Abend geliefert“, verspricht der Händler. „Rechtzeitig, um die Kälte abzuhalten. Sie können sich darauf verlassen.“
Lyra zahlt. Sie verlässt den Laden, ohne sich umzublicken, der Samt fest gegen ihre Brust gedrückt. Sie hat, was Fenris brauchte, aber die Begegnungen haben ihr gezeigt, dass ihre „Sicherheit“ ein Trugbild ist.
Lyra eilt, fast rennt sie durch die engen Gassen zurück zum Haus. Der schwere Samt und die unheimlichen Begegnungen belasten sie, aber die Stimme in der Gasse hat die größte Angst in ihr ausgelöst. Sie ist der Anker, aber sie ist auch das Ziel.
Sie weiß, dass die Heimkehr keine Sicherheit garantiert. Wenn die Geister und Stimmen - oder wer auch immer diese unheimlichen Händler sind - zu ihr wollen, dann werden sie sie auch dort erreichen. Das Haus ist nur ein Container, kein Bollwerk.
Sie erreicht die Vordertür, schließt sie auf und wirft die schwere Tür hinter sich ins Schloss. Das Geräusch ist laut, ein vergeblicher Versuch, die Außenwelt auszusperren. Lyra atmet tief durch.
Sie trägt den dicken, lichtschluckenden Samt in die Küche und wirft ihn auf den sauberen Küchentisch. Das tiefe Schwarz des Stoffes breitet sich aus, eine Decke der symbolischen Finsternis.
Lyra lehnt sich gegen die kühle Arbeitsplatte, die Hände aufgestützt, und starrt auf das Handy. Sie weiß, dass irgendetwas passieren wird. Sie fühlt es einfach - ein kalter, vorahnender Knoten im Magen. Die Intensität von Fenris’ Leidenschaft heute Morgen, die Geschwindigkeit des Fundes über Lorcan und die seltsamen, wissenden Augen der Stadt haben eine Kette von Ereignissen in Gang gesetzt, die ihren Höhepunkt finden muss.
Sie muss Fenris anrufen. Jetzt.